Dienstag, 23. Oktober 2018

Enterbte


Jede dumpfe Umkehr der Welt hat solche Enterbte,
denen das Frühere nicht und noch nicht das Nächste gehört.
Denn auch das Nächste ist weit für die Menschen. Uns soll
dies nicht verwirren; es stärke in uns die Bewahrung
der noch erkannten Gestalt. - Dies stand einmal unter Menschen,
mitten im Schicksal stands, im vernichtenden, mitten
im Nichtwissen-Wohin stand es, wie seiend, und bog
Sterne zu sich aus gesicherten Himmeln. Engel,
dir noch zeig ich es, da! ...
....
                                                           Rainer Maria Rilke
- in der Siebten der Duineser Elegien, 1922 (Gutenberg)
Gesprochen wird hier von dem kulturellen Erbe, das in Form der in Jahrhunderten und Jahrtausenden geschaffenen Musik und Architektur hineinragt in unser 20. und 21. Jahrhundert, in unsere "dumpfe Umkehr der Welt" (Rilke), in unsere Zeit der "Todesnot des Gottesbewußtseins" (M. Ludendorff), in der wir "Enterbte" zu Millionen ein - schwer einzuordnendes - Dasein haben.

Dienstag, 9. Oktober 2018

"Du bist uns Künder längst vergangner Zeiten ..."

Der Reiter im Dom
Du bist uns Künder längst vergangner Zeiten,
Ein herrlich Sinnbild unsrer eignen Art,
Du heißt uns schweigend für die Freiheit streiten,
Daß Deutsches Wesen ewig rein bewahrt.

In weite Fernen ist dein Blick gerichtet,
Dich engt der Dom nicht, der dich rings umstellt,
Was unter dir auf Volk und Stolz verzichtet,
Das bleibt dir immer eine fremde Welt.

Noch wölkt der Weihrauch deinem Roß zu Füßen,
Noch weihn sich Deutsche einer fremden Macht,
Doch überall in Deutschen Landen grüßen
Dich freie Menschen, deren Blut erwacht.
                                                       Erich Limpach 
Der "Bamberger Reiter" (Wiki) - er wird schon seit vielen Jahrzehnten und Jahrhunderten zu den bedeutendsten Werken der europäischen Kunstgeschichte gezählt. Seit seiner Entstehung steht er an einem Pfeiler inmitten des weiten, geräumigen Bamberger Domes. Er bildet um sich eine eigene Welt (Abb. 1 und 2).


Abb. 1: Der Bamberger Reiter (Wiki)

Immer wieder verlockt er zu fragen, in welcher gedanklichen Welt sich der unbekannte Künstler bewegte, der ihn schuf. Geschaffen und aufgestellt wurde er vermutlich im Jahr 1237. Das war dreißig Jahre, nachdem in Bamberg der deutsche König Philipp von Schwaben ermordet und beigesetzt worden war. Dieser war 25 Jahre zuvor von Kaiser Friedrich dem Zweiten in den Dom von Speyer umgebettet worden. Der deutsche Dichter Walter von der Vogelweide hatte zu Lebzeiten von Philipp von Schwaben der deutschen Sehnsucht nach würdevoller Herrschaft - im Angesicht der Zerrissenheit von Investiturstreit und staufisch-welfischem Thronstreit - immer wieder erneut Ausdruck verliehen.

Einen noch viel würdevolleren Ausdruck dieser Sehnsucht als er in den Dichtungen von Walter von der Vogelweide enthalten ist, schuf der unbekannte Künstler in Bamberg mit dem Bamberger Reiter.

Seit vielen Generationen gilt der Bamberger Reiter - zusammen mit der etwa zeitgleich in Naumburg entstandenen "Uta von Naumburg" (Wiki) - als ein Ausdruck des unverkennbar "Deutschen" in der Kunst. Er gilt als ein Ausdruck des deutschen Wesens, der deutschen Volksseele, des deutschen Volkscharakters, des auch womöglich eigentümlich deutschen Sehnens nach würdevollem Leben, würdevollem Herrschen, nach würdevollem Repräsentieren. Auf Wikipedia ist zu Uta von Naumberg festgehalten (Wiki):
Als Tonfiguren für den privaten Haushalt wurde sie oft zusammen mit dem Bamberger Reiter aufgehängt, Ikonen der Idealvorstellungen vom deutschen Mann und der edlen deutschen Frau.
Und genau so hängen sie bis heute auch in dem Haushalt der Eltern des Verfassers dieser Zeilen. Es fasziniert jedes mal aufs Neue, daß es ein solches Kunstwerk wie den Bamberger Reiter überhaupt gibt, daß es ein solches geben kann. Wie aus einer anderen Welt schaut dieses Kunstwerk zu uns herüber, als ob es eine eigene Welt für sich bilde.

Abb. 2: Der Bamberger Reiter (Wiki)

Wenn im eingangs gebrachten Gedicht die Phrase "deren Blut erwacht" ist, enthalten ist, so ist das ein Ausdruck wie er in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland üblich war. Es sollte das Erwachen der deutschen "Volksseele" damit gekennzeichnet sein, das Erwachen eines neuen Bewußtseins dafür, was es heißen könnte, deutsch zu sein, deutsch zu denken, deutsch zu fühlen, deutsch zu handeln.

Gebannt fahren Deutsche immer wieder aufs Neue nach Bamberg. Sie erfreuen sich der schönen Stadt mit ihrem schönen Fluß. Und sie stehen immer wieder erneut - erstaunt und erschüttert - im Dom und blicken hinauf und hinüber zu diesem "Künder längst vergangner Zeiten".

Der Reiter im Dom
Du bist uns Künder längst vergangner Zeiten,
Ein herrlich Sinnbild unsrer eignen Art,
Du heißt uns schweigend für die Freiheit streiten,
Daß Deutsches Wesen ewig rein bewahrt.

In weite Fernen ist dein Blick gerichtet,
Dich engt der Dom nicht, der dich rings umstellt,
Was unter dir auf Volk und Stolz verzichtet,
Das bleibt dir immer eine fremde Welt.

Noch wölkt der Weihrauch deinem Roß zu Füßen,
Noch weihn sich Deutsche einer fremden Macht,
Doch überall in Deutschen Landen grüßen
Dich freie Menschen, deren Blut erwacht.
                                                       Erich Limpach