Dienstag, 22. Januar 2019

Elly Ney - Discographie

Die Sprache der Musik klingt unmittelbar von Ohr zu Ohr. Sie bedarf keiner Worte. Wer Beethovens fünftes Klavierkonzert, gespielt von Elly Ney (1882-1962) (Wiki) zusammen mit den Berliner Philharmonikern unter Hermann Abendroth (1883-1956) (Wiki), aufgenommen am 13. Oktober 1944 in Berlin, gehört hat, bedarf keiner Worte mehr. (Zumindest zunächst und fürs weitere.)

Ebensowenig bedarf der Worte, wer das Klaviertrio Nr. 1, op.  8 von Johannes Brahms gehört hat, aufgenommen 1933 von dem damals so berümhten Elly Ney-Trio.

Auch bedarf keiner Worte, wer Schumann's "Sinfonische Etüden", op. 13, gespielt von Elly Ney gehört hat, aufgenommen 1962, fünf Jahre vor ihrem Tod. Aber natürlich hat auch mancher - Jahre später vielleicht - Worte gefunden. Zum Beispiel diese:
Wer von den Älteren noch das Glück hatte, Künstler aus der Generation um Elly Ney zu erleben, wird nie die Kraft der dauerhaften Verwandlung vergessen, die von solchen Musikern ausging: Sichtbare und klingende Gesten öffneten das Tor zu einem erträumten Land der Schönheit, die einen fortan begleitete.
Was für Worte. Auf Tonträger gebannte Musik ist von Elly Ney in ihren beiden letzten Lebensjahrzehnten fast durchgängig im "Colosseum Musikstudio" in Nürnberg entstanden. Und dieses "Colloseum Musikstudio" hat im Jahr 2003 eine Gesamtausgabe all dieser Aufnahmen auf 12 CD's  herausgegeben und diese aus diesem Anlaß mit den angeführten Worten begleitet (CD 4). Zu CD 1 wurde festgehalten (1-4):
Mittlerweile sind gut vier Jahrzehnte vergangen, seit Elly Ney am 31. März 1968 in Tutzing starb. Noch zwei Monate zuvor war sie ein letztes Mal ins Studio gegangen, um die Sonaten op. 110 und op. 111 von Ludwig van Beethoven einzuspielen - das Schlußwort eines Lebens.
Schon zwei Aufsätze sind hier auf dem Blog über die Pianistin Elly Ney erschienen (DVHS 1, 2). Die Beschäftigung mit dieser Künstlerin läßt einen aber auch dann noch nicht los. Unsere beiden bisherigen Aufsätze scheinen uns auch noch viel zu sehr motiviert zu sein davon, eine Abwehr von Mißverständnissen zu leisten, als sich einfach offen und herzlich auf das Musizieren dieser Elly Ney selbst nun auch einlassen. Und so arbeiten wir also gerade an einem weiteren Beitrag über Elly Ney.

Abb. 1: Elly Ney

In Vorbereitung darauf scheint es uns nun sinnvoll zu sein, ein möglichst vollständiges Verzeichnis aller zugänglichen Aufnahmen des Musizierens von Elly Ney zusammen zu stellen. Dieses bildet denn auch den Kern dieses Beitrages. Aber dieses Verzeichnis muß natürlich noch nach und nach natürlich ergänzt werden. Fast jeden Monat erscheinen auf Youtube und anderwärts neue, bislang unbekannte Aufnahmen. Eine gute Orientierung insgesamt aber bietet nun die eben genannte Gesamtausgabe des "Colosseum Musikstudios" aus dem Jahr 2003 (1, 2).*) Auch um der Ehrfurcht willen dem Musizieren von Elly Ney gegenüber, die auf den Umschlägen dieser CD's in Worten zum Ausdruck gebracht wird, ist man von dieser Gesamtausgabe berührt. So etwa auch durch die Worte (zu CD 6):
Nicht nur für "Jäger und Sammler" verlorener musikalischer Schätze oder für nostalgische Kenner und Liebhaber, die noch das Glück hatten, Elly Ney in einem ihrer unvergeßlichen Live-Auftritte zu erleben, ist die große Edition aus dem Hause Colosseum ein unschätzbares Objekt: Das eigenwillige, von höchsten Idealen getragene Sendungsbewußtsein der Pianistin, ihr ganz persönlicher Blick auf die Meister der Klassik und der Romantik vermögen, wie sich inzwischen immer deutlicher zeigt, auch jüngere Generationen anzusprechen, die sich auf der Suche nach Leitbildern nicht mit der "Tagessuppe" bescheiden, sondern sich ein wenig längerfristig ausrichten wollen. (...)
Solch massive und trotz aller Verinnerlichung des Ausdrucks nie "zerdachten" Einspielungen wie das hier vorliegende fünfte Klavierkonzert oder die brodelnd dramatische Appassionata sind Höhepunkte einer historischen Ära, die gerade erst wieder ihre Renaissance erlebt.
Wer sich als gänzlicher Laie mit dem Musizieren von Elly Ney beschäftigt - wie der Autor dieser Zeilen - kann über dieses sogar einen ganz neuen Zugang zu so bedeutenden Werken wie denen von Brahms, Schumann oder Beethoven bekommen, so etwa auch zu anspruchsvollerer Kammermusik, ja, auch insbesondere auch zum Spätwerk von Ludwig van Beethoven, von dessen schierem Vorhandensein ein musikalischer Laie ja erst einmal Kenntnis erlangen muß, und für das er doch auch erst einmal begeistert werden muß. Denn gerade dieses Spätwerk scheint doch auch noch einmal besonders anziehend zu sein. Und das ist ja auch die Aufgabe der Interpreten der großen Komponisten: Frische, neue, ungeteilte Anteilnahme für ihre unsterblichen Kompositionen zu wecken.

Abb. 2: Elly Ney


Und so wird man noch viele Entdeckungen machen können, wenn man sich heute - im Internet und anderwärts - auf die Suche nach "Elly Ney" macht. Erstaunlich, wie viele überlieferte Aufnahmen im Internet schon zugänglich sind. Und es kommen geradezu täglich neue dazu.

Die Tatsache, daß Elly Ney - "landläufig" - einen so "schlechten" Ruf hat, hat - bei dem Verfasser dieser Zeilen - eine gegenteilige Wirkung. Er hat angefangen, Elly Ney für sich zu entdecken, musikalisch am meisten wohl zunächst durch so manche Kammermusik-Aufnahme von Elly Ney.

Um so mehr man sich mit dem Musizieren und Leben von Elly Ney beschäftigt, um so mehr verlieren die Vorwürfe politischer Art alle Bedeutung. (Und zwar schlichtweg: alle Bedeutung.) Es ist - im Angesicht der Musik und ihrer immensen Bedeutung - ganz absurd, viel zu weit entfernt, um sich mit ihnen auch nur ansatzweise zu beschäftigen.

Und gerade die unglaubliche Kleingeistigkeit in der Beurteilung von Elly Ney durch manche heutige Zeitgenossen ist es, die einem den Zugang zu Elly Ney anfangs so außerordentlich schlimm versperren kann. Was ist der Zweck? Das darf sich jeder selbst fragen. - Aber nun war es genau das Ärgernis, das in dem Autor dieser Zeilen über diesen versperrten Zugang entsteht, der immer mehr zur Veranlassung wurde, sich mit Elly Ney wohl noch intensiver auseinander zu setzen als stünde die Kritik von Zeitgenossen ihr mehr oder weniger gleichgültig gegenüber. Und so kommt es, daß Elly Ney für den Verfasser dieser Zeilen, der sich viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lang mit nur wenig Intensität überhaupt mit klassischer Musik beschäftigt hat, von Elly Ney den Weg zu manchem, ihm bislang unbekannten oder wenig bekannten Werk weisen läßt. Er hat die Erfahrung gemacht, daß der Weg, den man mit Elly Ney zu diesen Werken macht, niemals enttäuscht, niemals gehaltlos ist. Man braucht sich nicht unbedingt sicher sein, ob das für jede Interpretation dieser Werke gilt. Jedenfalls scheint man hier - sozusagen - immer auf "sicherem Boden" zu stehen.

Auch Beethovens Streichquartett Nr. 14 cis-Moll op. 131 (Wiki) wird hierdurch ganz neu von dem Autor dieser Zeilen entdeckt. Es ist im Juli 1826 - unmittelbar auf die Komposition der "Großen Fuge" aus dem vorherigen Streichquartett Nr. 13 B-Dur op. 130 (Wiki) - komponiert worden, ein dreiviertel Jahr vor seinem Tod. In diesem Blogbeitrag geht es aber vor allem um ein Verzeichnis aller verfügbaren Aufnahmen von Elly Ney und auch - nach und nach - von einigen jener Musiker, mit denen sie zusammen musiziert hat. Außerdem dient dieser Blogbeitrag dazu, Fotografien aus der ersten Lebensphase von Elly Ney zusammen zu stellen, Fotografien, auf denen sie jung ist, und auf denen man womöglich ihr unverstelltes Innenleben, ihre Persönlichkeit "leichter" wiederfindet als auf so vielen Altersaufnahmen, die einem doch von so mancher Verbitterung mit gezeichnet zu sein scheinen. Unberechtigter Verbitterung - wie wir meinen. Beides, die Vereichnisse wie die Fotografien, sollen nach und nach noch ergänzt werden, ebenso natürlich die Textpassagen. ("Work in progress" also, wie es auf Neudeutsch heißt.)

Die Wanderer-Fantasie von Schubert, die Elly Ney 1966 aufnahm, entstand 1822 kurz nachdem Schubert seine Sinfonie "Die Unvollendete" abgebrochen hatte (Wiki engl). Franz Liszt war sehr fasziniert von der klanglichen Vielfalt der Wanderer-Fantasie, führte sie selbst häufig auf, bearbeitete sie mehrfach, unter anderem für Klavier und Orchester, fügte auch eigene Variationen hinzu. Technisch ist es das anspruchsvollste Werk Schuberts. Er selbst soll einbekannt haben, es nicht spielen zu können mit den Worten: "Der Teufel soll dieses Zeug spielen!" (Wiki)

Aus neu bekannt gewordenen Briefen von Elly Ney

Am 20. November 1938 schreibt Elley Ney aus dem Hotel "Fürstenhof" am Potsdamer Platz in Berlin an Signe Fiedler, die Ehefrau des damals 79-jährigen Dirigenten Max Fiedler (1859-1939) (Wiki) (Ebay 02/2019):
Liebe verehrte Frau Signe!
In größter Bedrängnis und Not schreibe ich Ihnen. Ich soll am 25.11. im Stockholmer Sender spielen B dur Konzert von Brahms. Als Dirigent war Karajan vorgesehen, der aber heute schreibt, daß er abgesagt hätte. Könnte ich denn dann nicht mit Ihrem Mann spielen? Hoffentlich ist es nicht zu spät. (...) Ich komme allein und bin ein wenig unruhig, weil ich fürchte, in dem Orchester sitzen unfreundlich gesinnte Leute und möchte gerne nicht allein hingehen. (...) - Am 26. spiele ich in Kopenhagen im Radio. (...) Ich spiele am 22. in Bremen und bin dort (...) telegrafisch erreichbar.
Mit den herzlichsten Grüßen!
Ihre sich freuende Elly Ney
Auf Wikipedia ist verzeichnet, daß Max Fiedler nach einer internationalen Laufbahn in seinen letzten Lebensjahren vor allem in Berlin und Stockholm als Gastdirigent tätig war. Womöglich ist das Konzert zustande gekommen. Im Jahr 1939 nahm Elly Ney dasselbe Konzert mit den Berliner Philharmonikern unter Max Fiedler auf. Genau ein Jahr später, am 1. Dezember 1939, ist er auch in Stockholm mit 80 Jahren gestorben. Als weiterer Brief findet sich der folgende (Ebay 2018/19):
Unterwegs, Okt. 1942
Verehrter, lieber Herr Reichelt!
Die Herzlichkeit Ihres gütigen Gedenkens hat mich aufs tiefste bewegt und beglückt. Nehmen Sie bitte meinen, durch eine Auslandsreise leider sehr verspäteten, deswegen aber nicht minder herzlichen und aufrichtigen Dank entgegen. ihre wundervollen Worte verpflichten mich aufs neue tief, alle Kräfte einzusetzen in den Dienst der Volksbetreuung durch unsere herrliche deutsche Musik.
Mit herzlichen Grüßen bin ich Ihre
Elly Ney.
Im Mai 1943 schrieb ihr eine 22-jährige Verehrerin in Leipzig einen außerordentlich überschwenglichen Brief, einen Brief wie Elly Ney solche wohl oft bekommen hat. In ihm hieß es unter anderem (Ebay 01/2019):
Ich bin ergriffen von Ihrer Hingabe an die Musik, wie Sie ihr dienen, das ist bewundernswürdig, solchem Künstlertum kann man nur mit tiefer Ehrfurcht nähertreten. (...) Solange es noch solche Menschen gibt wie Sie, so lange kann ich nie ganz unglücklich sein. So viel hat mein Herz Ihnen zu sagen (...), Sie Hohepriesterin der Musik! usw.
Elly Ney antwortete mit einer Postkarte (Ebay 01/2019):
Unterwegs, Mai 1943.
Liebes Fräulein Raatz-Sanio!
Herzlich danke ich Ihnen für Ihre lieben Zeilen.
Möchte die Musik unseres großen Beethoven allmählich so in Sie hineindringen, daß Sie Spieler und Instrument vergessen und nur erfüllt sind von den Klängen dieses großen Meisters. Ich selbst bin ja nur Werkzeug und habe nur den Wunsch, daß die Musik unserer großen Meister als Kraft- und Trostquelle von den Menschen aufgenommen wird und eine Bereicherung ihres Lebens bildet.
Mit herzlichen Grüßen bin ich Ihre Elly Ney
Sie antwortet also ganz natürlich und versucht auch, die Verehrerin wieder ein wenig herunter auf den Boden der Tatsachen zu bringen.

Elly Ney - Verzeichnis verfügbarer Aufnahmen ("Discographie")


(Discography)

(Rot jene Aufnahmen, die den Verfasser dieses Beitrages in letzter Zeit am meisten angesprochen haben.)

Frühe Aufnahmen  (1906 bis 1930)

1930er Jahre

1940er Jahre

1955 bis 1960

1961

1962

1964

1965

  • Ney, Elly: Beethoven Albumblatt für Elise WoO 59 a-moll (1810), Beethoven-Haus Bonn 1965
  • Elly Ney: Beethovens Sechs Variationen für Klavier auf das Duett "Nel cor piu non mi sento" ("Mich fliehen alle Freuden") aus der Oper "La molinara" ("Die schöne Müllerin") von Giovanni Paisiello (1795), Beethoven-Haus Bonn 1965.
  • Ney, Elly: Beethovens letzte Klaviersonate Nr. 32 c-moll, op. 111 (1821/22), Beethoven-Haus Bonn 1965.
  • Ney, Elly: Beethovens Klaviersonate Nr. 12 in As-Dur, op. 26 (1800/01). Ein Film von Alfred Braun (historisches Archivmaterial), 1965; enthalten auf der CD-Box Mondscheinsonate - Die Volkspianistin Elly Ney, Arthaus Musik GmbH 2017, http://arthaus-musik.com/de/dvd/sondereditionen/media/details/Mondscheinsonate.html

1967 und 1968

ohne Jahr bislang

Der Jahrzehnte lange Trio-Partner von Elly Ney war Ludwig Hoelscher. Auch ein so ernstes, gehaltvolles Musizieren wie das seine scheint uns ein wertvoller, gehaltvoller Weg zu so manchem bedeutenden Werk unserer Musiküberlieferung zu sein.

Ludwig Hoelscher

Das eben Gesagte scheint uns auch für die Brüder Busch zu gelten, die man auf frühen Fotografien von Elly Ney finden kann, die also eine Rolle in ihrem Leben und Musizieren gespielt haben werden. (Welche, ist noch herauszusuchen.)

Busch-Quartett

(Wiki)

1914 gründete Elly Ney zusammen mit dem Cellisten Fritz Reitz (1885-1969) ihr erstes Trio (Dt. Biog.). 1918 wurde ihre Tochter Eleonore Baldauf van Hoogstraaten geboren. Diese wurde später Schauspielerin. Ihr biologischer Vater ist - so wurde vermutungsweise wir in früheren Blogbeiträgen ausgesprochen - Fritz Reitz gewesen (was aber diese Tochter selbst erst nach dem Tod ihrer Mutter durch Studium in deren Unterlagen heraus bekam).

Abb.: Elly Ney und der Geiger ...?., 1917

Der Bratschist Karl Reitz (1887-1943)(Wiki) spielte 1919 bis 1921 im Busch-Quartett (Wiki) mit, das von jenem Geiger Adolf Busch (1891-1952) (Wiki) schon vor dem Ersten Weltkrieg gegründet worden war, der auch 1917 zusammen mit Elly Ney fotografiert worden ist.

  
Abb.: Elly Ney und der Geiger Adolf Busch (1891-1952), 1917
Über das Busch-Quartett ist zu erfahren (6):
Das Busch-Quartett galt in den Zwanziger und Dreißiger Jahren als das führende Streichquartett-Ensemble. (...) Das Busch-Quartett war immer bestrebt, die Vorherrschaft der Ersten Violine dem Gesamtklang unterzuordnen – in der damaligen Zeit ein ungewöhnlich moderner Anspruch. (...) Zwar spielte Adolf Busch, der Primarius und Namensgeber des Quartetts, formal "die erste Geige", aber die traditionelle Musizierhaltung, wonach alle anderen Stimmen sich der vermeintlichen Hauptstimme unterzuordnen haben und nur Begleitfunktion besitzen, diese strikte Hierarchie war aufgehoben. Nicht die "schöne" Melodie steht im Vordergrund; das Busch-Quartett wollte vielmehr das dichte Klang-Gewebe von vier eigenständigen Stimmen hörbar werden lassen, um damit die Schönheit der musikalischen Struktur zu erhellen.
Adolf Busch wurde später der Lehrer von niemand geringerem als Yehudin Menuhin. Adolf Busch war - was ihn sehr sypmathisch erscheinen läßt - ein erklärter Gegner der Nationalsozialisten. Auf den Versuch, ihn für Deutschland zurück zu gewinnen, antwortete er, daß er "mit Freuden an dem Tag zurückkehren" werde, da "Hitler, Goebbels und Göring öffentlich gehängt" würden (Wiki). Immerhin ein klarer, unzweideutiger Standpunkt. Mit solchen Leuten hat Elly Ney also bis 1933 auch musiziert. Das darf doch einmal festgehalten werden. Es muß dem Gehalt des Musizierens keinen Abbruch tun, wenn man sich 1933 für unterschiedliche politische Einstellungen entschied. So möchten wir meinen.

Abb.: Elly Ney, 1922 (Wiki)

Im folgenden weitere, gelungene, schöne fotografische Aufnahmen von Elly Ney.

Abb.: Elly Ney
Elly Ney mit Blumen.

Abb.: Auf der Überfahrt nach den USA, 1922 (?) - ... , Gieseking (?), Elly Ney, Willem van Hoogstraaten

Elly Ney in Gesellschaft von Musikern.

Abb.: Beethovenfestival Bonn, 1927 - Links von Elly Ney der Dirigent Fritz Busch, außerdem Karl Erb und andere

Auf dem Beethovenfestival in Bonn 1927 arbeitete Elly Ney mit dem Dirigenten Fritz Busch (1890-1951)(Wiki) zusammen, so entnehmen wir einer Fotografie. Es handelte sich um den Bruder von Adolf Busch. Auch Fritz Busch ließ sich 1933 von den Nationalsozialisten nicht zu einer Zusammenarbeit zwingen. Männerstolz vor Königsthronen. Schon die Tatsache, daß die Nationalsozialisten Druck auf Künstler ausübten, zeigt doch im Grunde, wes Geistes Kind sie waren, wie kleingeistig sie waren.


Abb.: Elly Ney, 1949

Ende 1948 versendete Elly Ney eine Grußkarte in die USA mit ihrer Fotografie (die im Internet zum Verkauf angeboten wird):
"To my dear friend Alice Caldwell with heartiest greetings and best wishes for 1949. Thankful, Elly Ney."


Abb.: Elly Ney mit Albert Schweitzer

Der Weltanschauung Albert Schweitzers fühlte sich Elly Ney verbunden.

Künftig soll es hier in diesem Beitrag, bzw. hier auf dem Blog auch um eine Hinführung zu den bedeutendsten Werken der Kammermusik (7), bzw. zu Kammermusik-Ensembles gehen, die uns einen besonders beseelten Weg zu den großen Werken unserer großen musikalischen Überlieferung zeigen, eröffnen wollen und können. Wer uns noch Hinweise dazu geben will, ist herzlich eingeladen, das zu tun. Denn dieser Blog wird von einem musikalischen Laien betrieben.

Siehe übrigens auch (8).
/Letzte Ergänzung:
10.2.2019/

*) Mehr als bezeichnend ist, mit was für einem respektlosen - nein haßerfüllten - Tonfall noch 2003 (!) im Deutschlandfunk auf diese Neuerscheinung hingewiesen werden konnte (3). Was für ein Haß auf Seele, auf Musik, auf das Musikalische an sich spricht sich hie aus.
_____________________________________________
  1. Elly Ney - Gesamtausgabe aller späten Aufnahmen. Box-Set mit 12 CD's. Colosseum Classics 2003, 2009, https://colosseum.de/js_albums/elly-ney-box/, https://www.amazon.de/Elly-Ney-Gesamtausgabe-sp%C3%A4ten-Aufnahmen/dp/B00008WG3I.
  2. Elly Ney Gesamtausgabe, Colosseum  CD 1, 2003, https://colosseum.de/js_albums/ney-elly-cd-1-beethoven/.
  3. Colosseum Musikstudio Nürnberg, Bayernstraße 100, stellt sich vor. http://www.original-heuss.de/de/privat/Download/ColosseumTonstudio1.pdf
  4. Elly Ney - CD 2 - Der Graf Flügel im Beethoven-Haus in Bonn, https://colosseum.de/js_albums/ney-elly-cd-2-graf-fluegel/, CD 3, https://colosseum.de/js_albums/elly-ney-cd-3/, CD 4, CD 5, CD 6CD 7, CD 8, CD 9, CD 10.
  5. Ely, Norbert: „Elly Ney – Gesamtausgabe aller späten Aufnahmen“. Deutschlandfunk 27.7.2003, https://www.deutschlandfunk.de/elly-ney-gesamtausgabe-aller-spaeten-aufnahmen.727.de.html?dram:article_id=100931.
  6. Das Busch-Quartett in Aufnahmen aus den 1930er Jahren. Sendemanuskript für den Deutschlandfunk, Deutschlandfunk, Köln (Sendung: 10.6.1990 – "Historische Aufnahmen"). http://www.koelnklavier.de/texte/interpreten/busch-quartett.html.
  7. Die fünf besten Streichquartette aller Zeiten. Posted on 9. Juni 2013  by  sal, http://de.brilliantclassics.com/2013/06/die-funf-besten-streichquartette-aller-zeiten/ (die Auswahl dieser Internetseite scheint bei genauerem Hinsehen recht willkürlich, sie kann nicht wirklich empfohlen werden).
  8. Die fünf besten Sinfonien aller Zeiten. Posted on 25. April 2013  by  sal, http://de.brilliantclassics.com/2013/04/die-funf-besten-sinfonien-aller-zeiten/.

Donnerstag, 10. Januar 2019

Werner Heisenberg - Seine erste große unerfüllte Liebe

"Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll" (Februar 1936)

Der Atomphysiker Werner Heisenberg (1901-1976) (Wiki) war ein sehr nach innen gekehrter Mensch, der in Mitteilungen über sein Innenleben und Gefühlsleben Zeit seines Lebens sehr zurückhaltend, man möchte sagen: fast schamhaft war. Dieser Umstand macht vielleicht das Besondere an dem Menschen Werner Heisenberg aus. Wenn man aber genau liest und hinter her horcht, wie er sich äußert, wird man doch manche sehr deutliche Hinweise auf dieses Innenleben finden. So etwa in seinen 2003 veröffentlichten Briefen an seine Eltern (1). In ihnen fallen Sätze wie der folgende vom 28. Februar 1936 (1, S. 248):
Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll.
Was für ein Satz! Dieser Satz wurde nicht nur niedergeschrieben von einem Professor für Physik an der Universität Leipzig, nein, er ist nieder geschrieben worden vier Jahre nachdem ihm vor aller Welt der Physik-Nobelpreis des Jahres 1932 verliehen worden war!

Abb. 1: Professor Werner Heisenberg und sein Assistent Carl Friedrich von Weizsäcker in Leipzig 1934

Allein dieser kurze Satz zeigt, daß für Werner Heisenberg selbst ein Nobelpreis kein Zeichen dafür war, daß aus ein Menschenleben - insgesamt und in letzter Instanz - als ein gelungenes angesehen werde kann oder nicht. Darüber entschied für ihn offensichtlich erst der letzte Tag des Lebens dieses Menschen. Bis dahin konnte alles noch auf des Messers Schneide stehen. Und es entschied sich das für ihn offenbar auch innerhalb von Bereichen, an die diesbezüglich nicht jeder Mensch als erstes denken wird.

Wie sich das menschliche Leben insgesamt entscheidet, scheint für ihn nämlich nur wenig mit seiner wissenschaftlichen Entwicklung zu tun gehabt zu haben, etwa mit seinen wissenschaftlichen Erfolgen. Der eigentlich Wert eines Menschenlebens, der durch äußere Ehrungen wie einen Nobelpreis gar nicht berührt zu werden braucht, scheint sich für ihn in anderen Bereichen zu entscheiden.

Es kommt nicht auf äußere Erfolge im Menschenleben an. Ein Menschenleben kann scheitern. Es kann scheitern, auch wenn ihm viele äußere Erfolge beschieden gewesen sind. Daß Werner Heisenberg Lebenentscheidungen so gewichtet hat, das mag ihn als einen besonderen Menschen kennzeichnen.
Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll.
Es ist dieser Satz gewiß keine eitle Selbstbespiegelung oder Phrase. Dafür wäre sich Heisenberg zu schade gewesen. Dieser Satz wurde vielmehr geschrieben als es sich abzeichnete, daß seine langjährige Liebe zur Schwester seines engsten lebenslangen Freundes, zur Schwester von Carl-Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) (Wiki), nämlich zu Adelheid von Weizsäcker (1916–2004) nicht Erfüllung finden würde.*) Und zwar - wenn man es recht versteht - aufgrund der Entscheidung dieser Adelheid von Weizsäcker selbst, nicht aufgrund äußerer, hinderlicher Umstände. Zwar sollten in den nachfolgenden Monaten des Jahres 1936 kurzzeitig noch einmal Hoffnungen aufflackern. Aber am Ende des Jahres klingt aus den Briefen von Heisenberg noch größere Enttäuschung heraus als sie schon Anfang des Jahres heraus geklungen hatte. Der Satz vor dem zitierten Satz vom 28. Februar 1936 lautete (1, S. 248):
Ich weiß, daß sich in diesem Sommer nun alles entscheiden muß und ich habe etwas Angst davor.
Es ist klar: Er wußte nicht, wie er selbst damit umgehen würde, ob er es schaffen würde, diese Enttäuschung zu verkraften, ob er es schaffen würde, an ihr menschlich zu wachsen oder ob diese Entscheidung menschlich ihm zu viel abverlangen würde. Diese Liebe bedeutete ihm - fast - alles. Schon der erste Satz dieses Briefes hatte es deutlich gemacht (1, S. 248):
Liebe Mama! Dieser Brief wird ein sehr ernster Brief!
und auch der Satz nach den beiden schon zitierten Sätzen bekräftigt diesen Eindruck (1, S. 248):
Wenn Du in Gedanken in den nächsten Monaten bei mir bist, ohne zuviel äußerlich nach mir zu fragen, so wird mir das viel helfen.
Heisenberg wußte, daß er durch einen Sturm gehen würde, einen Sturm, der ihn im Innersten erschüttern würde. Und er wappnete sich, er suchte Rückversicherung bei seiner Mutter, aber sicherlich noch mehr in sich selbst. Er suchte sich zu fassen, um den von ihm erwarteten Sturm zu durchstehen. Adelheid von Weizsäcker war 1936 gerade erst 20 Jahre alt geworden. Bis November 1936 nun scheint sich für Heisenberg das Verhältnis zu Adelheid geklärt zu haben, wenn er es auch nicht deutlich ausspricht. Am 3. November schreibt er an seine Mutter, die ihn an seinen Geburtstag, seinen 35. Geburtstag am 5. Dezember erinnert hatte (1, S. 253):
Es ist mir nicht sehr nach feiern zu Mut und ich bin froh, wenn ich mich in der nächsten Zeit tief in meine Arbeit vergraben kann. Ich empfinde sehr stark die Wohltat, in diesem einen Bereich ganz von der übrigen Welt abgeschlossen sein zu dürfen und beneide niemand, der gezwungen ist, sich immer mit dem Spiel der Welt draußen abzugeben.
Und eine Woche später (1, S. 253):
Auch ist mir das einsame Leben nur durch die Arbeit an der Wissenschaft erträglich, aber auf die Dauer wäre es sehr schlimm, wenn ich ohne einen ganz jungen Menschen neben mir auskommen müßte. Wie sich hier mein Leben weiter gestalten wird, weiß ich natürlich nicht. Die Verbindung zur Familie Weizsäcker wird wohl ganz abgebrochen werden und dadurch wird alles völlig anders als bisher. (...) Einstweilen will ich mich der Arbeit widmen, um derentwillen ich auf die Welt gekommen zu sein scheine; und die Erinnerung an die wesentlichen Dinge soll diese Arbeit nur wie eine ferne Musik begleiten.
Es ist erahnbar, wie viel Beben diesen Worten vorausging und von wieviel Beben sie begleitet sind. In seinen Lebenserinnerungen "Der Teil und das Ganze - Gespräche im Umkreis der Atomphysik" wird Heisenberg später ja sehr genau beschreiben und kennzeichnen, wie er diesen - womöglich - tiefsten Punkt seines persönlichen Lebens erlebt hat. Daß es dabei aber um die unerfüllte Liebe zu einem Mädchen gegangen war, deutet er dort mit keinem Wort an. Das wird erst in diesen Briefen an die Eltern deutlich.

Abb. 2: Werner Heisenberg und Ehefrau Margarethe, geborene Schumacher, etwa 1946

Um alles noch etwas genauer zu verstehen und einordnen zu können, muß man acht Jahre im Leben von Werner Heisenberg zurück gehen. So lange nämlich schon war sein Leben erfüllt von einer unerfüllten Liebe zu Adelheid, nämlich seit 1928. 1928 war Heisenberg 27 Jahre alt und Adelheid war erst 12 Jahre alt. .....

Die einzelnen Stationen im Verhältnis von Heisenberg zu Adelheid und insbesondere zu ihrer ganzen Familie müssen künftig an dieser Stelle noch nachgetragen werden. Die Mutter von Adelheid, Marianne von Weizsäcker, die Heisenberg anfangs sehr freundlich in ihrem Haus in Berlin aufgenommen hatte, hat sich später, um so mehr erkennbar wurde, welche inneren Bande Heisenberg an die Familie knüpften, gegen diese Liebe gewandt. Adelheid selbst blieb diesbezüglich aber bis 1936 indifferent, so daß sich Heisenberg immer noch Hoffnungen hatte machen können.

Am 10. September 1932 hat Werner Heisenberg etwa an seine Mutter geschrieben, daß er Adelheid während seines Berlin-Besuches aus der Ferne gesehen habe (zit. n. 10, S. 917):
"Nachher bin ich den ganzen Weg nochmal allein zurückgegangen, die Straßen leuchteten noch ein wenig, wo sie vorbei gekommen war. Aber hier ist jetzt alles grau."
Was sich in diesen wenigen Worten alles andeutet. Heisenbergs Mutter schrieb Anfang 1933 an Adelheids Mutter. Diese antwortete auch ausführlich. Sie beklagte sich, daß Heisenberg immer noch nicht (zit. n. 10, S. 944)
"mehr männliche Einstellung diesen Dingen gegenüber"
zeige, das heißt, ihre Sorgen mißverstand und
"in seiner eigenen Einstellung zu unserer damals noch nicht 16jährigen Tochter nicht selbst die Folgerung zog".
Deshalb hatte sie Heisenberg Hausverbot bei ihrer Familie ausgesprochen.

Die meisten Autoren und Heisenberg-Biographen, die auf diese erste, unerfüllte Liebe im Leben von Werner Heisenberg zu sprechen kommen (wenn sie das überhaupt tun) (z. B. 9, 10), erwähnen doese nur sehr leichthin im Vorübergehen. Sie scheinen sie gerne auch nur als etwas Kindlich-einfältig-Kindisches zu erachten. Sie nehmen die Worte von Heisenberg nicht wahr und ernst, nach dem diese unerfüllte Liebe ihm viel wichtiger war als der ganze Nobelpreis.

Solche Aussagen müssen einfach voll von jenen berücksichtigt werden, die sich anmaßen, das innere Leben von Werner Heisenberg in diesen Jahren voll zu verstehen, in den Jahren übrigens der Formierung der Quantenmechanik. Als würde ein menschlich ganz unreifer Mensch fähig sein, so grundlegende Dinge in der Wissenschaft erarbeiten zu können. Das wäre doch ein gar zu arger Widerspruch in sich.

Im Januar 1937 lernte Werner Heisenberg Margarethe Schumacher kennen. Er heiratete sie nur wenige Monate später. Adelheid von Weizsäcker heiratete ebenfalls nur ein Jahr später den ostpreußischen Rittergutsbesitzer und Reserveoffizier Botho-Ernst Dietlof Graf zu Eulenburg-Wicken (1903-1944). Mit ihm lebte sie auf Gut Wicken im Kreis Friedland in Ostpreußen. Ihr ebenfalls dort lebender Schwiegervater (Wiki) war Major im Ersten Weltkrieg gewesen, er war außerdem 1918/19 ein bekannter Freikorpsoffizier gewesen und war vor 1933 führer des Frontsoldatenbundes "Der Stahlhelm" in Ostpreußen gewesen, der einen Flügel hatte, der politisch zur DNVP hin gerichtet war und einen Flügel, der politisch zur liberaleren DVP gerichtet war. Adelheid hatte dann zwei Töchter. Die ältere der beiden Töchter wurde die nachmalige Schriftstellerin Heilwig Gräfin zu Eulenburg (10. September 1939-1975) (Wiki). Seit 1944 gilt Adelheids Ehemann in Weißrußland als vermißt. Sie selbst mußte mit ihren beiden Kindern und ihren Schwiegereltern 1945 aus Ostpreußen fliehen. Eine neue Heimat fand die Familie in Lindau am Bodensee.

Nachbemerkung, persönliche


Im Jahr 2003 hat der Autor dieser Zeilen die hier behandelten Briefe Werner Heisenbergs an seine Eltern (bzw. später nur noch an seine Mutter) (1) das erste mal in die Hände bekommen. Diese Briefe fielen damals bei ihm nur auf wenig fruchtbaren Boden. Er kann nicht sagen, daß er zu jener Zeit von diesen Briefen ähnlich ergriffen worden wäre wie er lange zuvor von der Lektüre der abgeklärten Lebenserinnerungen "Der Teil und das Ganze" ergriffen gewesen war. Nachdem er Heisenbergs Briefe an seine Eltern aber fünfzehn Jahre später noch einmal neu in die Hand genommen hat, ging ihm erst auf, wie sehr man doch von der ganzen Stimmung, die diese Briefe enthalten, in Bann gezogen wird, wie man in ihnen das innere und äußere Ringen Heisenbergs nachverfolgen kann, wie deutlich wird, was ihm wichtig war im Leben und was nicht.

Nimmt der Autor dieser Zeilen nun noch einmal seinen bislang nie veröffentlichten Aufsatz-Entwurf aus dem Dezember 2003 zu diesem Buch in die Hand - immerhin 18 Din-A-4-Seiten! -, dann findet er darin in keiner Weise, daß er in diesem Aufsatz-Entwurf der Stimmung, dem Wert dieser Briefe gerecht geworden war. Es ist also doch immer die Frage: Wo steht man eigentlich selbst, welchen Wert gibt man sich selbst, wenn man über einen Gehalt urteilt, dem man - womöglich - innerlich gar nicht gewachsen ist, bzw. den man innerlich gar nicht wahrnimmt.**)


/erneut überarbeitet:
14.3.2020/
____________________________________________

*) Zwei Fotografien von Adelheid aus dem Jahr 1929: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/69518834, https://ebookstr.e-bookshelf.de/products/reading-epub/product-id/26257/title/Vier%2BZeiten.html
**) Geradezu Seelenleere starrt mich aus diesem 18-seitigen 2003-Manuskript an. Der innere Geist in dem damaligen Manuskript stimmte nicht. Der ganze Geist des Manuskriptes ödet den Leser an. Es ist ohne alle Ergriffenheit geschrieben und kann deshalb auch keine wecken. Gibt es Schlimmeres?! In Konfrontation mit Lebensbildern bedeutender Menschen mögen solche Dinge besonders auffällig werden.
____________________________________________________
  1. Heisenberg, Werner; Hirsch-Heisenberg, Anna M.: Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918 bis 1945. Langen/Müller, München 2003
  2. Kleint, Christian; Wiemers, Gerald (Hrsg.): Werner Heisenberg im Spiegel seiner Leipziger Schüler und Kollegen. Leipziger Universitätsverlag, 2006
  3. Heisenberg, Werner; Heisenberg, Elisabeth; Hirsch-Heisenberg, Anna M.: Meine liebe Li! Der Briefwechsel 1937 - 1946. Residenz, 2011 
  4. Lindner, Konrad: Jugendliches Genie - Carl Friedrich von Weizsäcker als Student in Leipzig. Dezember 2016, http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=835
  5. Lindner, Konrad:  Heisenbergs jüdische Meisterschüler - zur Physik in der Weimarer Republik. http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=679
  6. Werner Heisenberg und Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker - München 1966, https://av.tib.eu/media/14335
  7. Rekonstruktion der Quantentheorie und Theorie der Ur-Alternativen - Carl Friedrich von Weizsäcker diskutiert seine Thesen mit Manfred Eigen und Manfred R. Schroeder, 1988, https://av.tib.eu/media/11191
  8. Rechenberg, Helmut; Wiemers, Gerhard: Werner Heisenberg 1901-1976. Forscher, Lehrer und Organisator der Wissenschaft. Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag, 2001, https://www.archiv.uni-leipzig.de/heisenberg/intro.htm
  9. Martin Ebner: Wen schert Heisenbergs Liebeskummer? Besprechung von "Werner Heisenberg. Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918 bis 1945". Neue Züricher Zeitung, 21.9.2003, https://www.nzz.ch/article9065U-1.306192
  10. Rechenberg, Helmut: Werner Heisenberg - Die Sprache der Atome. Leben und Wirken - Eine wissenschaftliche Biographie. Band 1: Die "Fröhliche Wissenschaft" (Jugend bis Nobelpreis). Springer, Heidelberg 2010 (GB)

Donnerstag, 3. Januar 2019

Die Liebe, die Wissenschaft und Max Delbrück

Wie fühlt es sich an, wenn man einen genialen Wissenschaftler als Freund hat?

Über den deutsch-amerikanischen Biophysiker und Nobelpreisträger Max Delbrück (1906-1981) (Wiki) ist 1985 ein außerordentlich begeisterndes Buch erschienen. Es stammte von dem Konstanzer Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer (geb. 1947) (Wiki). Das Buch ist deshalb so begeisternd, weil sein Gegenstand so begeisternd ist: Max Delbrück und sein Weg von der Atomphysik im Umkreis von Otto Hahn in Deutschland und Niels Bohr in Kopenhagen zur Molekularbiologie im Umkreis von James Watson in den USA und wieder zurück zum Förderer der biologischen Wissenschaften in Deutschland nach 1945.


In der Erstauflage hatte das Buch noch den Titel "Licht und Leben" (1) getragen. Wir selbst waren auf dieses Buch gestoßen, weil es in dem wunderschönen Buch "Das Loch im Walfisch - Eine Philosophie der Biologie" von Christian Göldenboog aus dem Jahr 2003 immer wieder erwähnt wird. Der Geist einer ganzen Generation von Wissenschaftlern, die im Leben von Max Delbrück eine Rolle gespielt haben, von denen Max Delbrück angeregt worden ist oder die von Max Delbrück selbst angeregt worden sind, findet sich in dieser Delbrück-Biographie wieder.
 
Der Öffentlichkeit hat sich Ernst Peter Fischer nach der Veröffentlichung dieser Biographie - seines Erstlings-Werkes - durch viele weitere Bücher und Vorträge bis heute bekannt gemacht. Viele Vorträge und Interviews finden sich von ihm auch in Videoform im Internet. Bemerkenswert mag man ein Interview aus dem Jahr 2018 mit ihm nicht zuletzt deshalb empfinden, weil in den Minuten 14'35 bis 19'48 scheinbar erstmals öffentlich mitgeteilt wird, daß Max Delbrück als letzte Bemerkung vor seinem Tod an seinen Biografen noch die Frage gerichtet hatte (2):
Wie kannst du es wagen, mein Leben zu beschreiben, wenn du nichts über mein Sex life weißt?
Fischer bringt gleich im Anschluß an die Erwähnung dieser Frage das Beispiel Werner Heisenberg, und daß ein Biograph bei Werner Heisenberg genug zu tun hätte, dessen Wissenschaft zu beschreiben. Gerade jedoch der Fall Heisenberg kann im Grunde genommen besonders gut deutlich machen, was für eine zentrale Äußerung Max Delbrück hier gemacht hatte. Denn auch für Werner Heisenberg war - wie heute bekannt ist (3) - die erste große, unerfüllte Liebe in seinem Leben für viele Jahre ein weitaus bedeutsamerer Lebensinhalt als selbst der Nobelpreis, den er in derselben Zeit erhalten hat. Heisenberg gab in dieser Zeit sogar der Möglichkeit Ausdruck, daß sein ganzes Leben scheitern könne, wenn er bezüglich einer solchen Frage nicht zu einer gelungenen Lösung fände (3).

"Amoröse Szenen"  - so nennt das Ernst Peter Fischer - sind sicherlich bei Werner Heisenberg nicht zu finden. Werner Heisenberg scheint zu allen Zeiten ein sehr zurückhaltender Mensch gewesen zu sein, wenn es um das Sprechen über sein Gefühlsleben ging. Es geht das auch deutlich genug aus den sich über viele Jahre hinweg erstreckenden Briefen an seine Eltern hervor (3).*)

Nun hat es aber Ernst Peter Fischer tatsächlich "gewagt" - "gewagt"!!! - eine Biographie über Max Delbrück zu schreiben, ohne auf das von Max Delbrück selbst angesprochene Thema einzugehen (1). In der Tat weist diese Biographie der anregenden Themen die Fülle und genug und übergenug auf, so daß es der Behandlung dieses Thema sicherlich nich noch zusätzlich bedurft hätte, um sie "interessanter" zu machen. Dennoch hat der Leser schon bei der ersten Lektüre derselben das Gefühl, daß er mehr wissen können sollte und daß er auch gerne mehr wissen würde über das Verhältnis von Max Delbrück zu den Frauen, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben. Und nun wird er von Max Delbrück persönlich darin bestätigt, daß dieses sein Interesse als ein berechtigtes von ihm selbst angesehen wurde.

Jedoch: Die ersten Andeutungen, die Fischer dann hinsichtlich dieses Themas gibt - wenn er über das fröhliche wissenschaftliche und gesellschaftliche Leben in Cold Spring Harbour erzählt - da merkt man dann vielleicht doch, daß man aus seinem Munde oder aus seiner Feder darüber womöglich doch nicht gar zu viel hören möchte. Diese Äußerungen sind dann auch viel zu ungenügend, um aus diesen ihnen irgendwelche grundlegenderen Schlußfolgerungen ziehen zu können. James Watson hat in Erinnerungen (4) und Büchern wie "Genes, Girls and Gamov" (5) - vielleicht auch in anderen wie etwa in "Avoid Boring People" - darüber ja ebenfalls schon viele Andeutungen gegeben, durchaus wertvolle Andeutungen. Letzteres ist den flapsigen Titeln der genannten Bücher keineswegs unbedingt anzumerken.

Von August 1965 bis Dezember 1966 war nun mein eigener Onkel, der vormalige Konstanzer Biophysiker Gerold Adam (1933-1966) (Wiki), Mitarbeiter von Max Delbrück in Pasadena. Diese Zeit in Kalifornien hat ihn - wie ich mir das aus der Erinnerung nun nur allzu gut konstruieren kann - maßgeblich geprägt. Bis zum Tod von Max Delbrück blieb Gerold mit Max Delbrück in freundschaftlicher Verbindung, im regen Austausch von Briefen. Gerold hatte ja auch eine Professur an der - unter maßgeblicher Mithilfe von Max Delbrück gegründeten - Forschungsuniversität Konstanz erhalten.

"Du bist Ishi!" (1967)


Der Briefwechsel zwischen Gerold und Max Delbrück sowie so manches, was Gerold zu Lebzeiten erzählt hat, können den von Ernst Peter Fischer angesprochenen Fragen vielleicht noch eine zusätzliche Erläuterung und Farbe geben. Er erzählte, daß Manny und Max Delbrück während seines Aufenthaltes in Pasadena immer und immer wieder versucht haben, ihn mit jungen Frauen zusammen zu bringen. Sie waren der Meinung, es würde ihm gut tun, verheiratet zu sein. Zu diesem Zweck wurden junge Frauen zu gemeinsamem Essen eingeladen. Gerold erzählte, daß sie ihm zum Abschied die damals ganz neu erschienene Biographie über Ishi (Wiki), den berühmten, letzten frei lebenden Indianer Kaliforniens, geschenkt hatten, benannt "Ishi in two worlds" (6). Manny habe in diesem Zusammenhang zu Gerold gesagt: "Du bist Ishi!" Gerold hat wiederholt und gerne von Ishi erzählt. Ishi ist als letzter Überlebender seines Stammes auf Angebote von jungen Frauen europäischer Herkunft, mit ihm Kinder zu haben, nicht eingegangen. Gerolds Unterton war, daß er sich tatsächlich oft selbst als ein solcher "Letzter seines Stammes" gefühlt habe und daß er - wie die Aussage von Manny ebenfalls andeutet - auch von seinen damaligen Freunden mitunter so wahrgenommen werden konnte.

Im Dezember 1966 ist Gerold dann von Pasadena aus - über Island - nach fünfjährigem Forschungsaufenthalt in den USA nach Marburg an seine Heimat-Universität zurück gekehrt. Um die warmherzige Art zu charakterisieren, die Max dann zeitlebens gegenüber Gerold beibehielt, sei zitiert, was Max gleich nach der Abreise an Gerold schrieb: 
Prost Neujahr! Ich hoffe, daß du nicht auf Island stecken geblieben bist. Ich hatte noch versucht, Dich am Huntington Hotel zu treffen, um Dir Brecht's "Kalendergeschichten" als Reiselektüre mitzugeben. Leider kam ich erst in dem Augenblick an, als Dein Bus schon losfuhr. Zu viel Party letzte Nacht! Alles ist nun sehr ruhig in den Phyco- und Phage-Laboren. M.
Original: Prosit Neujahr! Hope you did not get stuck in Iceland. Tried to see you off at Huntington Hotel and give you Brecht's „Kalendergeschichten“ as Reiselektüre but got there just as your bus pulled out. Too much party in the night before! Now all very quiet in the Phyco and Phage labs. M.
Der Abschied von Gerold war - wie man an diesen Worten erkennen kann - ausgiebig gefeiert worden. Am 27. Januar 1967 beendete Max einen längeren Brief an Gerold mit den Worten: 
Wir alle vermissen Dich. Ich vor allem. M.
We all miss you. I especially. M.
Auch der damals junge Biologe Martin Heisenberg (Sohn von Werner Heisenberg), der damals noch länger bei Max Delbrück blieb, stand kurzzeitig mit Gerold im Briefwechsel. Am 11. März 1967 schrieb Max in einem Brief an Gerold in Marburg etwa auch: 
Lieber Gerold, was für ein Ungemach, lange Briefe schreiben zu müssen, anstatt einfach runter in die Halle zu zuckeln und dort die Dinge durchzusprechen.
Dear Gerold: What a nuisance it is to have to write a long letter to you rather than trotting down the hall and talking things over.
Der Briefwechsel enthält dann natürlich viel "schwere Kost", nämlich wissenschaftliches Forschen im Bereich der theoretischen Biologie und auch Nachdenken darüber, wo Gerold seine wissenschaftliche Laufbahn weiter führen könne. Das soll andernorts noch einmal ausführlicher dokumentiert werden. Hier seien nur noch die Ausschnitte zitiert, die Bezug haben zu den von Ernst Peter Fischer in seinem Interview aufgeworfenen Fragen. Manny schrieb am 14. April 1967 an Gerold: 
Lieber Gerry, (...) ich bin froh, daß Du "Ishi" bekommen und gelesen hast mit ebenso viel Sympathie wie ich auf Dich gezählt hatte, daß Du sie haben würdest für diese Persönlichkeit.
Dear Gerry, (...) I am glad, you received and read "Ishi" with as much sympathy as I counted on you to feel for this personality.
Es wird deutlich, daß über Ishi schon vor der Abreise gesprochen worden war. Manny hatte Gerold das Buch nachgeschickt.

"Was macht dein Liebesleben?" (1968)


Ein Jahr später, am 26. Juni 1968, schrieb Manny einen vierseitigen Brief aus dem vom Sommersturm umbrausten Cold Spring Harbor an Gerold. In diesem schildert sie lebhaft und bildhaft das fröhliche, wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Leben dort, das ja aus vielen Berichten über Max Delbrück gut bekannt ist, und in dem sie unter anderem schreibt: 
Wir hatten gestern Abend eine Hummer- und Wein-Party. Jim Watson und seine neue, junge Frau waren da. Und dem ersten Augenschein nach sieht es nach einer glücklichen Zukunft für sie aus. - Und Max sagt deshalb, daß auch Du Mut fassen sollst, eines Tages wirst auch Du eine Begleiterin finden, was um so kostbarer sein wird, nachdem Du so lange ohne eine solche gelebt hast.
Last night we had a lobster wine party. Jim Watson and his new young wife were there and from first appearances it looks like a happy future for them - so Max says, you should take heart for one day you too will find a compagnion, the more precious for having gone long without. 
Was für wunderschöne Worte das sind. Wer wünscht sich nicht solche Freunde? Und - tatsächlich, nur wenige Wochen später hat Gerold seine nachmalige Frau kennen gelernt. Am 27. Oktober 1969 schrieb Max an Gerold als handschriftlichen Zusatz zu einem Brief: 
Was macht Dein Liebesleben? Martin hat Dich überholt.
What about your love life? Martin got ahead of you.
Damit ist höchstwahrscheinlich Martin Heisenberg gemeint. Dies ist die Zeit, in der Max den Nobelpreis erhalten hat und er von viel Rummel umgeben war. Und es ist die Zeit, in der Gerold eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz erhalten hat.

Hochzeit (1969)


Am 6. Dezember 1969 hat Gerold geheiratet. Ob er oder Martin Heisenberg nun schneller waren, wäre ja vielleicht noch einmal zu klären. Die Hochzeitsreise von Gerold und seiner Braut führte durch die Pyrenäen. Am 21. Januar 1970 schrieb Manny: 
Eure Heiratsanzeige und den Bericht von Eurer wunderschönen Reise durch Spanien haben wir erhalten noch bevor wir Euch hatten gratulieren können! Natürlich hofften wir, Euch rund um den Hochzeitstermin herum zu sehen, irgendwann vor unserem nächsten Besuch in Konstanz, wo wir dann hoffen, Deine Frau kennenzulernen. Ich fragte Patty Reau (?) (die jetzt wieder zurück in Pasadena ist und in Max's Labor an ihrem eigenen Phyco-Projekt arbeitet). Aber sie sagte, daß Deine Frau bei ihr in Konstanz niemals aufgetaucht sei.
We have your wedding announcement and the description of your beautiful trip through Spain already came before we got around the congratulations! Of course, we expected you to see around to the wedding sometime before our next visit to Konstanz when we'll look forward meeting your wife. I questioned Patty Reau (?) (who is now back in Pasadena, installed in Max's lab with her own phyco project) but she replied that your wife never did show up in Konstanz to her.
Dann ist noch vom Hochzeitsgeschenk die Rede. Der Brief schließt mit: 
Seid glücklich miteinander! Eure Manny und Max.
Be happy together! Yours Manny and Max.
So viel an dieser Stelle als Ergänzung zu den Andeutungen von Ernst Peter Fischer, ebenso als eine Ergänzung natürlich zu den wissenschaftlichen Biographien von Gerold und Max Delbrück. Nachdem wir diesen Beitrag nach längerem zeitlichen Abstand einmal wieder durchsehen, kommt uns die Erinnerung an Andeutungen Gerolds dahingehend, daß es von Seiten des weiblichen Teils der Mitarbeiterschaft an der Universität sehr wohl gelegentlich Versuche gab, das ausschließliche Band Gerolds zu seiner Frau als doch nicht so ausschließlich zu erachten. Nunja, für sie wird gegolten haben, was so oft gilt: Versuch macht klug. In dieser Hinsicht blieb Gerold - - - "Ishi".

Dummheiten (1980)


Und damit wären wir gleich noch bei einem zweiten Interview angelangt, das in den letzten Jahren zugänglich geworden ist (7). Es handelt such um ein im Jahr 1980 mit Max Delbrück geführtes Interview. Es ist ein Jahr vor dem Tod von Max geführt worden. Delbrück ist deshalb in diesem schon sehr alt. Er antwortet in demselben vielleicht deshalb auch etwas zögerlicher als er das in jüngeren Jahren getan haben wird. Er scheint - insbesondere anfangs - nach den Worten der deutschen Sprache zu suchen, die er ja in den USA nicht mehr täglich nutzte.

Es bricht aber immer einmal wieder sein famoser Humor durch, eine famose, mehr nach innen gekehrte Heiterkeit. Es wird auch deutlich, wie überlegt, wie ernst im Überdenken Max Delbrück sein konnte, um wie viel Genauigkeit er auch in seinen Bewertungen bemüht war. Als er nach einer etwaigen preußischen Disziplin in seinem Elternhaus gefragt wird, verneint er diese zunächst, korrigiert sich dann aber: Es war vielleicht eine gemäßigte. Eigentlich ist es doch sehr schön, wenn Menschen so genau sind.

Auch ist spürbar, daß er vieles unausgesprochen läßt, es wird spürbar, daß er zu vielem noch viel, viel mehr sagen könnte.

Mehrmals spricht Max über Dummheiten, die erstaunliche Wirkungen hatten. Die Dummheiten in den Vermutungen von Niels Bohr über Biologie führten dazu, daß er, Delbrück, sich ganz der Biologie zugewandt hat. Sie hatten also doch eine positive Wirkung. Zuvor hatte seine eigene Dummheit dazu geführt (und auch die von Bohr und anderen), daß die Atomkernspaltung erst 1937 entdeckt wurde und nicht schon drei oder fünf Jahre früher. Delbrück sagt ganz richtig - aber auch mit jenem überlegenem Abstand, der sich selbst nicht gar so wichtig nimmt, daß sich ohne seine damalige Dummheit die Weltgeschichte beträchtlich anders hätte entwickeln können. Mit einem so feinen Humor sagt er das, mit einer so famosen, sanften Heiterkeit.

Vaterfiguren und prägungsähnliches Lernen


Es ist nur allzu offensichtlich, daß Gerold einen Menschen wie Max sehr, sehr geliebt und verehrt hat. Das geht aus mancher Stelle der Briefe zwischen ihnen hervor. Gerold beklagt einmal, daß er in Konstanz niemanden hätte, mit dem er sich so gut unterhalten könne wie mit ihm, Max. Aber Max hatte ja einen außerordentlich großen Freundeskreis. Er kam vielen Aufgaben im internationalen Wissenschaftsleben nach aufgrund seiner großen Bekanntheit. Es ist deutlich, daß er für Gerold später nicht mehr so viel Zeit hatte wie Gerold sich gerne gewünscht hätte.

Mit einem solchen Interview jedoch (2) merkt man, was für eine Gunst des Schicksals - und natürlich auch eigenen Verdienstes - es war, im Leben auf einen solchen Freund wie Max Delbrück getroffen zu sein. Solche Menschen wie Max hat es - ohne allen Zweifel - es schon zu Lebzeiten von Gerold nur noch sehr selten gegeben. Als ich die Biographie "Licht und Leben" einige Jahre nach Gerolds Tod das erste mal las, wurde mir erst bewußt, wieviel an der Art von Gerold auf sein vormaliges Zusammensein mit Max Delbrück zurück zu führen sein wird. Es liegt hier womöglich eine Art prägungsähnliches Lernen vor, das sogar noch an mich weiter gegeben worden ist, der ich von Gerold sicherlich ebenso stark fasziniert war, wie Gerold zuvor von Max Delbrück fasziniert gewesen ist. Deshalb ist auch für den Autor dieser Zeilen an dieser Thematik so viel menschlich Bewegendes. Womöglich hat Gerold eine bestimmte Art zu sprechen von Max übernommen, eine bestimmte Art zu überlegen, ja, womöglich auch eine bestimmte Art zu lachen. Es muß eine glänzende Zeit damals gewesen sein, in Pasadena.

Auch hat man das Gefühl, daß Delbrück in dem Interview oft darum bemüht ist, seinen Humor nicht zu sehr durchbrechen zu lassen, da er von einem so durch und durch steifen, trockenen Gesprächspartner interviewt wird. Der ist ja auch wirklich schon überraschend trocken. Und das konnte eigentlich schon ein Unterhaltungswert für sich sein für einen Delbrück. Dieser Gesprächspartner ist ja fast eine lebende Karikatur. Aber das durfte Delbrück natürlich nicht zum Ausdruck bringen. Dennoch fragt man sich beim Ansehen ständig - und Delbrück wollte scheinbar diesen Eindruck auch nicht völlig verwischen: Sollten zwei so unterschiedliche Menschen wie diese beiden einander wirklich etwas zu sagen haben?

Interessant auch, wie Delbrück in dem Interview die Zeit in der Atomphysik in Göttingen nach 1925 charakterisiert. Wenn man es recht versteht, hat womöglich Max Delbrück vieles an seiner persönlichen Art von seiner wiederum seiner eigenen Vaterfigur übenommen, als die er ja in diesem Interview so klar und deutlich Niels Bohr charakterisiert. Was für eine Zeit, was für ein Leben. All diesen Reichtum an innerem Leben hat Gerold an all jene, die ihn enger persönlich kannten, in vollem Ausmaß weiter gegeben.

/ Erweitert:
5.1.2018;
Neufassungen:
14.3.2020,
28.11.2020 /
 
_______________
*) Schon allein bei einer Formulierung wie der von Fischer, Heisenberg könne "den Frauen hinterher gelaufen (sein), um nachher die Quantenmechanik zu machen" - so formuliert es Fischer als natürlich nicht ganz ernst genommene Hypothese - gibt ein Bild, das außerordentlich in Schieflage hängt. Eine solche Aussage würde die Dinge wohl sogar bezüglich eines Menschen wie Johann Wolfgang von Goethe ziemlich deutlich in Schieflage bringen. Nebenbei sei bemerkt, daß eine solche Hypothese sogar in Hinsicht auf einen Heisenberg-Freund wie Wolfgang Pauli ganz falsch sein könnte, selbst wenn hier mehr Anlaß bestehen sollte, eine solche aufzustellen. Deshalb wird diese Frage von Max Delbrück natürlich auch nicht "die Schnappsidee eines alten Mannes (sein), der stirbt" - wie sich Ernst Peter Fischer beliebt auszudrücken. Sondern es handelt sich um das menschlichste Thema das es gibt. Es handelt sich um jenes Thema, das uns Menschen erst zu Menschen macht.
______________
  1. Fischer, Peter: Licht und Leben. Ein Bericht über Max Delbrück, den Wegbereiter der Molekularbiologie. Universitätsverlag, Konstanz 1985 [Konstanzer Bibliothek, Bd. 2] (= Das Atom der Biologen. Max Delbrück und der Ursprung der Molekulargenetik. Piper-Verlag, München 1988)
  2. Helmut Fink: Fischer • Podcast-Gespräch • Verzauberung oder Entzauberung? Kortizes, 19.12.2018, https://youtu.be/hs9nwJuPpEs 
  3. Bading, Ingo: Werner Heisenberg - Seine erste große unerfüllte Liebe, 10. Januar 2019, https://fuerkultur.blogspot.com/2019/01/werner-heisenberg-und-seine-liebe-zu.html 
  4. Watson, J. D.: Growing Up in the Phage Group. In: Cairns, J.; Stent, G.S.; Watson, J.D. (eds.): Phage and the Origins of Molecular Biology. New York 1966; Expanded Edition. Cold Spring Harbor Laboratory Press 1992, S. 239-245 (Deutsch: Phagen und die Entwicklung der Molekularbiologie. Festschrift für Max Delbrück zum 60. Geburtstag. Berlin (Ost) 1972)
  5. Watson, James D.: Gene, Girls und Gamow. (After the Double Helix, engl. 2001) Piper-Verlag, München 2003
  6. Kroeber, Theodora: Ishi in two worlds. A biography of the last wild Indian in North America. 1961, viele Folgeauflagen; deutsch: Der Mann, der aus der Steinzeit kam (1967) 
  7. Zeugen des Jahrhunderts. Max Delbrück im Gespräch mit Peter von Zahn. 1980, https://youtu.be/ynobDNSnMKc
  8. Bading, Ingo: http://studgendeutsch.blogspot.de/2007/11/die-pipette-ist-meine-klarinette.html
  9. Detlev Ganten über Max Delbrück. Videokanal des Max Delbrück Centrum, 24.03.2016, https://youtu.be/ZdAYHrOJ7aQ
  10. Göldenboog, Christian: Das Loch im Walfisch. Die Philosophie der Biologie. Klett-Cotta, Stuttgart 2003 (Lizenzausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft)