In der Geschichte der
Philosophie gibt es nur wenige Philosophinnen. Mathilde Ludendorff
(1877-1966) (Wiki) reiht sich unter diese ein. Ihre Philosophie entstand
in der aufgewühlten Aufbruchszeit nach dem Ersten Weltkrieg - und
zwar, wie sie schildert, in Reaktion auf Nachrichten über die
Grausamkeiten der Russischen Revolution. Um eine durchgearbeitete
Philosophie zu entwerfen, bedarf es aber natürlich noch mehr als
solcher mehr tagespolitischer Anlässe.
Mathilde Ludendorff
brachte als eine der ersten Frauen, die Medizin studiert hatten, eine
solide wissenschaftliche und psychiatrische Ausbildung und berufliche
Praxis mit, das heißt, sie stand auf der Höhe des
naturwissenschaftlichen Wissens ihrer Zeit. Der bedeutende
theoretische Physiker Arnold Sommerfeld, der Lehrer Werner
Heisenbergs, attestierte ihr 1942, die
schwierigen Erkenntnisse der modernen theoretischen Physik in - auch
für ihn erstaunlich gelungener Weise - dargestellt zu haben. Der
Ausgangspunkt für ihre Philosophie war aber nicht die theoretische
Physik ihrer Zeit, sondern die Darwinsche Evolutionstheorie, die sie
an der Universität durch einen ihrer bedeutendsten Vertreter in
Deutschland, durch August Weismann, vermittelt bekommen hatte.
Prüfstein für die Richtigkeit einer Philosophie
In dem einleitenden
Kapitel ihres Grundwerkes ("Triumph des Unsterblichkeitwillens")
stellt sie die These auf, daß eine Religion, Philosophie oder ein
metaphysisches System nur so lange eine lebendige seelische Kraft auf
ihre, bzw. seine Anhänger ausüben kann, solange deren Erkenntnisse nicht mit
dem sich weiter entwickelnden naturwissenschaftlichen Wissen der
Gegenwart in Widerspruch geraten. Damit hat sie auch für ihre eigene
Lehre den denkbar einfachsten "Prüfstein" für Richtigkeit
oder Unrichtigkeit vorgegeben: Wenn grundlegende Erkenntnisse ihrer
Philosophie in Widerspruch geraten sollten mit den Ergebnissen der
modernen Naturwissenschaften, dann müsse man - traurigerweise oder
nicht - davon ausgehen, daß dieselbe widerlegt sei. Ihre Philosophie
macht aber nun sehr konkrete und sehr detaillierte Aussagen zu den
Ursachen und dem Ablauf der Evolution, zu den in der Evolution
entstandenen menschlichen Seelenfähigkeiten und zu den größeren
menschlichen Verbänden (Gesellschaften), deren Zusammenhalt - vor
allem - auf genetischer Ähnlichkeit beruht.
Mathilde Ludendorff (1937) |
Da diese Philosophie
vor nunmehr 60 bis 80 Jahren formuliert wurde und dieselbe vor allem
auf Gebieten Aussagen getroffen hat, die in der seitherigen Zeit eine
rasante Weiterentwicklung in der Forschung erfahren haben, wäre ein
Vergleich der Aussagen dieser Philosophie mit den modernen
Erkenntnissen ein sehr strenger Prüfstein. Zudem aber könnte diese
Philosophie auch bei der Einordnung der vielfältigen
naturwissenschaftlich erforschten Einzeltatsachen in einen
allgemeinen Erkenntniszusammenhang, also für die Gewinnung eines
zusammenhängenden, neuen Weltbildes, das unserer Zeit so sehr zu
fehlen scheint, sehr förderlich sein.
Die moderne
Naturwissenschaft hat festgestellt, daß die Anfangsbedingungen des
Weltalls (zur Zeit des Urknalls), also die Werte nur weniger fester
Naturkonstanten (wie Lichtgeschwindigkeit, Stärke der
elektromagnetischen Kraft, der Gravitationskraft, sowie der starken
und der schwachen Kernkraft) wie ein feinst aufeinander abgestimmtes
"Mobile" gerade so beschaffen sind, daß aus einem solchen
Weltall grob ungefähr 10 Milliarden Jahre später Atome, Galaxien,
Sterne, Planeten, Moleküle, Kohlenwasserstoff-Verbindungen,
Biozellen und schließlich Großhirne entstehen konnten. Wären die
damals festgelegten Werte nur um geringfügigste Stellen hinter dem
Komma abgeändert, hätte all diese Entwicklung zu immer komplexeren
Strukturen in diesem Weltall bis zu der komplexesten (unserem
Großhirn) nicht ablaufen können. Diese sonderbaren Tatsachen
benennen die Astrophysiker mit dem Begriff "Anthropisches
Prinzip".
Nun ist es wirklich
außerordentlich erstaunlich zu beobachten, daß eine Grundaussage
der Philosophie Mathilde Ludendorffs sich fast vollständig mit der
inhaltlichen Aussage dieses "Anthropischen Prinzips" deckt.
Diese Grundaussage lautet nämlich - vielleicht für unsere Zeit
schon wieder etwas "abgehoben" klingend: „Im Anfang“
(also bei der Weltentstehung) „war der Wille Gottes zur
Bewußtheit.“ Mit einem solchen Satz ist also eine
Zielgerichtetheit in der Weltall- und Lebensentwicklung unterstellt
(nämlich in Richtung auf ein bewußtes Lebewesen), die ebenso auch die Beschaffenheit der grundlegenden Naturkonstanten
unseres Weltalls nahezulegen scheinen.
Wenn von seiten
Mathilde Ludendorffs von einem "Willen Gottes" die Rede
ist, so ist damit freilich kein persönlicher Gott gemeint, der
irgendwie von außen (welchem "außen"?) die Karten
mischte, sondern eher etwas nach der Art eines "großen
Sehnens", das die Samoaner für die Weltentstehung
verantwortlich machten. Auf die Frage: Wer hat diese Welt entstehen
lassen? antworteten sie: Das Große Sehnen war es. Es ist durchaus
die Frage zu stellen, ob unsere Zeit bereit ist, sich auf solche
"spekulativen", "metaphysischen", eben tiefer
philosophischen Gedankengänge einzulassen.
Kein persönlicher Gott
Mathilde Ludendorff
unterscheidet zwei Erkenntnismöglichkeiten des Menschen. Die eine
hat ihre höchste Ausbildung in den Naturwissenschaften erfahren,
nämlich die nach Raum, Zeit und Ursächlichkeit denkende Vernunft.
Die andere Erkenntnis-, bzw. Erfahrungsmöglichkeit fand ihre
schwerpunktmäßige Anwendung in den Geisteswissenschaften und in dem
Schaffen von Kulturwerken aller Art. Die großen genialen Musiker,
Künstler, Dichter und Philosophen aller Zeiten und aller Völker,
sowie die Kulturen aller Völker geben von dieser
Erfahrungsmöglichkeit reichstes Zeugnis. Es handelt sich - nach
Mathilde Ludendorff - um ein jedem Menschen zugängliches
„Gott-erleben“, das Wesenszüge der uns umgebenden Umwelt
und unserer seelischen Innenwelt in den "Formen" des
Wahren, Guten und Schönen und in dem nach metaphysischen Werten
ausgerichteten Fühlen von Liebe und Haß erleben läßt. Dieses
Erleben sei durch Freiheit gekennzeichnet, die einen seelisch tief
durchatmen lassen sollte.
Die strenge
vernunftmäßige Einordnung in Raum, Zeit und Ursächlichkeit steht
zu solch einem Erleben eher im Gegensatz, ist aber dafür mit nicht
so viel Subjektivität behaftet, wie dies für jede Art von
"seelischem Erleben" jenseits des logischen Denkens
zutreffen kann. Also die seelische Freiheit der Menschen führt auch
zu Uneinigkeit unter ihnen (in ihren Ansichten und Meinungen),
während das streng logische Erforschen der Tatsachen in den
Naturwissenschaften größere Einigkeit unter den Menschen
hervorrufen kann - oder könnte.
Während in den
mosaischen Religionen der Mann als Schöpfer, Gott und als Vermittler
zu Gott (Priester) im Vordergrund steht, haben bei den
(indo)germanischen Völkern immer schon herausragendere Frauen eine
besondere Stellung in der Vermittlung zwischen dem "weltlichen"
und dem "überweltlichen" Bereich gehabt. Man denke nur an
die Griechin Diotima, von der sich der Philosoph Sokrates über die
Liebe als einem allesdurchdringenden Weltprinzip belehren ließ. (Es
könnten natürlich noch viele andere Beispiele genannt werden.)
Auch die moderne
Naturwissenschaft hat allzu deutliche angeborene
Begabungsunterschiede zwischen Mann und Frau herausgearbeitet. Und so
erscheint es nun doch immer mehr plausibel, daß die Weltgeschichte
die philosophische "Alltagsarbeit" vornehmlich den Männern
überlassen haben könnte, daß sie aber das Hindringen zu wirklich
umfassenden, zusammenhängenden, tiefdringenden philosophischen
Einsichten - die zugleich wohl immer auch Psychologie beinhalten
müssen - in entscheidenden Umbruchphasen der Weltgeschichte dem
weiblichen Geschlecht als Aufgabe "überlassen" haben
könnte.
Und es ist vielleicht
noch erstaunlicher, daß eine der herbsten und verschlossensten
Kämpfernaturen, die unser deutsches Volk hervorgebracht hat, nämlich
der General des Ersten Weltkrieges, Erich Ludendorff, sein ganzes
restliches Leben vor allem der Verbreitung des philosophischen
Gedankengutes seiner Frau gewidmet hat. Er hat zur damaligen Zeit
auch die deutsche Wehrmacht auf die Bedeutung der seelischen
Geschlossenheit und Stärke eines Volkes für dessen Überleben
hingewiesen. Doch Adolf Hitler hatte den 35.000 Panzern Stalins noch
nicht einmal genügend materielle Kräfte gegenüber zu stellen.
Erich
Meinecke
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/Hier eingestellt 27.6.17;
zuerst in MuM, 23.11.2000/
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/Hier eingestellt 27.6.17;
zuerst in MuM, 23.11.2000/