Die schönsten Frauen dieser Zeit
Euch, die ihr sagt,
ich sei unterwegs gewesen,
um die Frauen zu sehen,
frage ich:
Bei welcher, meint ihr,
bin ich gewesen?
Als ich das Tal I-n-asaken verließ,
hatten sich die Frauen
prächtig zurecht gemacht,
an der Spitze Keriba,
ihr zur Seite Daha,
Ta-anderret, die ich liebe,
und außerdem Tella.
Nebrouka, die ebenfalls da war,
hat für mich nicht ihresgleichen.
Chennou, die hasse ich nicht,
auch nicht Tehit, die Schöne,
und ebenso Rakma,
wie auch Baiia, die Herrin des Ahals.
Fankana war da,
begleitet von Haiia.
Und was sagt ihr von Terzer und Mala?
Wem all diese Frauen nicht gefallen,
bei dem stimmt etwas nicht,
der ist ein unholder Geist
und kein lebendiger Mensch!
Die Tuareg –
ein Volk wie aus einer anderen
Welt
Europäer
erleben den Orient
Vorbemerkung
Die Philosophie Mathilde
Ludendorffs sieht in der kulturellen Vielfalt der Völker auf dieser
Erde den größten Wert in diesem Weltall. Bei dieser Sachlage ist es
doch eigentlich schon merkwürdig, wie selten die Anhänger dieser
Philosophie - um von anderen Menschengruppen an dieser Stelle zu
schweigen - ihre Aufmerksamkeit in das Zentrum dieser Tatsache
hineinlenken. Wer das Werk Mathilde Ludendorffs „Das Gottlied
der Völker“ kennt, in dem vor allem das Volk der Samoaner als
ein Anschauungsbeispiel für viele allgemeinere Erkenntnisse und
Einsichten dieser Kulturphilosophie herangezogen wird, der sehnt sich
doch vielleicht auch einmal danach, daß die hier angeführten
allgemeineren Erkenntnisse und Einsichten nun durch vielfältige
anderweitige Beispiele aus anderen Kulturkreisen erweitert und
ergänzt werden, und daß die in dem genannten Werk vielfältig uns
Nachlebenden offengelassenen „Lücken“ endlich einmal aufgefüllt
werden.
Freilich:
Ein einfaches Übertragen der bezüglich des Volkes der Samoaner
geäußerten Einsichten etwa auf das Volk der Tuareg wird natürlich
nicht möglich sein. So einfach macht es uns die uns umgebende
Wirklichkeit offenbar nicht. Eine selbständige (und auch
möglicherweise tiefgehende) Denk- und Urteilsfähigkeit wird auch
hier von dem die Tatsachen zur Kenntnis Nehmenden einzufordern sein.
Wie ist das kulturelle Leben des Volkes der Tuareg und zahlreiche
Erscheinungen in diesem Leben aus der Sicht der Philosophie Mathilde
Ludendorffs zu sehen? Wie ist es einzuordnen? Was muß aus dieser
Sicht heraus wichtig erscheinen, was weniger wichtig?
Den Versuch
zu einer umfassenden Beantwortung derartiger Fragen und zu (allen
Menschen so wichtigen) „wasserdichten“ Begründungen für etwaige
Antworten - die ja sehr viel mehr auf Erlebnisgehalte, denn
Vernunfteinsichten abgestimmt sein müßten - unternimmt der folgende
Beitrag schlichtweg nicht. Dennoch erscheint es dem Autor wichtig und
wertvoll genug, einmal darauf aufmerksam zu machen, daß es auch noch
andere lebendige Völker außer den Samoanern gibt und daß sie sogar
jetzt, im gegenwärtigen Augenblick genau in der gleichen Weise
leben, wie es in altehrwürdigen Büchern wie modernsten
Reisebeschreibungen dargestellt ist.
Eine
lebendige Schilderung des Lebens eines solchen Volkes sollte Anregung
zu zahlreichen kulturphilosophischen, volkspsychologischen und
anderen Betrachtungen geben, die der Autor an dieser Stelle aber
einmal weitgehend den Lesern selbst überlassen möchte. Denn
gründliches und selbständiges Denk- und Urteilsvermögen ist es ja
doch wohl auch, was unser Volk und unsere Gesellschaft wieder
einigermaßen emporbringen könnten.
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Abb. 1: Ein Tuareg, Mali, 1974 (Wiki)
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Die Tuareg
– Ein Volk wie aus einer anderen Welt
„Drei auffällig hübsche Mädchen kommen uns
entgegen, empfangen uns mit der typischen Art der Tuaregfrauen, einer
Mischung aus Schüchternheit und Flirt. Wir wandern hinter den drei
Schönheiten her immer tiefer in den schattigen Palmengarten.“ (2,
S. 96 - 99) „Die Art, wie sie uns empfingen, war voller
Erhabenheit.“ (3, S. 139) „Es ist wie ein Traum.“ (2,
S. 151) „Nur noch einige Augenblicke betrachte ich ungläubig
die märchenhafte Umgebung, die im Feuerschein flackernden, mit
Teppichen und Decken behängten Schilfwände, die vom Dachgerüst aus
knorrigen Ästen baumelnden Lederutensilien. Unser Gastgeber hockt
auf einem bunten, gewebten Teppich, wickelt sich gerade seinen viele
Meter langen Turban, den chech, vom Kopf. Während ich sein
markantes, beinahe europäisch wirkendes Gesicht betrachte, fallen
mir die Augen zu.“ (2, S. 36) „Es war eine imposante,
hohe, kräftige Gestalt mit einem schönen, edle, ausdrucksvolle Züge
aufzeigenden Kopf.“ (4, S. 363) - Begegnungen mit dem
Volk der Tuareg - ein Volk wie aus einer „anderen Welt“?
Zerbrechlichkeit
Ein Europäer, Eduard Pisani, gibt das
treffsichere Urteil: „Die Tuareg sind von außerordentlicher
Kraft, wenn sie eine Waffe in der Hand haben, und gleichzeitig von
größter Zerbrechlichkeit. Es gibt nicht ihresgleichen im Kampf, der
in ihrem gewohnten Umfeld“ (der Zentral-Sahara)
„stattfindet. Wenn der Kampf beendet ist, sind sie meistens zwar
Sieger, zugleich aber Gefangene einer immer feindlicher werdenden
Umwelt.“ (5, S. 157)
Eine französische Entwicklungshelferin schreibt:
„Das Volk der Tuareg, dessen Kultur und moralische Größe nur
wenige Menschen kennen, ist in Gefahr unterzugehen. Das Herz blutet
mir, während ich das schreibe.“ Und sie setzt fort: „Die
Tuareg sind ein stolzes Volk, das nichts so sehr liebt wie seine
Freiheit.“ (5, S. 133)
Ein Volk, das keine Rauschgifte, keinen Alkohol
kennt, in dem Pornographie verabscheut wird. „Das Kino und die
Fotographie stehlen die Seele,“ ist ihr einfaches und klares
Urteil (6, S. 105). Ein lebhaftes, geistig regsames, waches Volk, ein
Volk, das leicht für
„Dummheiten“ zu gewinnen ist. Leicht lassen sie sich auf
irgendwelche „Leichtsinnigkeiten“ ein. Doch in einer
afrikanischen Bar, wo Alkohol ausgeschenkt wird, wird man Angehörige
vieler Volksstämme finden – niemals aber einen Tuareg.
Wie auch (oftmals) wir Europäer sind Tuareg
empfindlich, leicht vergrollt, oftmals verstockt, oftmals uneins,
entzwei mit sich selbst, mit ihren Angehörigen, mit ihrer Umwelt,
der Welt überhaupt. Aber es gibt eben in diesem Volk auch eine
andere Seite: eine stolze, lebensbejahende, offene, weltläufige
Haltung, ein freies, auf stolzer Unabhängigkeit beruhendes Benehmen.
Der Gesichtsschleier der männlichen Tuareg ist
das Kennzeichen dieses Volkes. Nicht die Frauen tragen also in dieser
(äußerlich sonst islamischen) Kultur den Gesichtsschleier. Sie
gehen vielmehr meist unverschleiert! Nein, in dieser Kultur sind es
sonderbarerweise die Männer, die ihre Verletzlichkeit, ihre „Scham“
durch einen Schleier schützen, die durch die Möglichkeiten von
Verschleierung und Entschleierung ihren Weg gefunden haben, gegenüber
ihrer Mitwelt ihr „Gesicht zu wahren“.
Freilich ist ihnen dabei wohl auch das
Unheimliche, Bedrohliche, Abschreckende, Kriegerische, das mit einer
Gesichtsverschleierung bei schwerttragenden, kamelreitenden Männern
verbunden sein kann, bewußt und wohl auch willkommen. Doch das ist
nicht der tiefere Anlaß für das Tragen eines Gesichtsschleiers.
„Scham“, Anstand und Würde, das Streben, sich einen leicht
verletzlichen Stolz nicht antasten zu lassen, gebietet den
erwachsenen Männern gegenüber fremden Menschen, gegenüber Frauen –
vor allem gegenüber der hochgeachteten Schwiegermutter – das
Tragen eines solchen.
Leben in einer entspannten
Atmosphäre
Das Alltagsleben dieses Volkes ist von einer
entspannten, wohltuenden Ruhe bestimmt, die uns Europäern wohl in
dieser Weise nicht – oder kaum noch – bekannt ist (bzw. leicht in
Phlegma, seelische Unlebendigkeit abfallen kann): „Wir vergessen
völlig, daß wir heute eigentlich noch nach Mertoutek wollen. Wieder
einmal fühlen wir uns in der Gesellschaft von Tuareg äußerst wohl,
genießen die Entspannung und das anregende Getränk. Es wird nicht
viel geredet. Hektik und Aufdringlichkeit ist diesem Volk unbekannt,“
berichten Münchener Motorrad-Reisende (2, S. 93).
„(Wir) genießen Entspannung, Kühle, Tee und
die immer wieder so unbeschreiblich angenehme Atmosphäre in der
Gesellschaft von Tuareg.“ (2, S. 151) All das liegt
natürlich an den Menschen selbst. Europäische Reiseeindrücke
lauten: „Grazie und Vornehmheit zeichnen unsere Gastgeberin
aus.“ „Ich bin betroffen von der Sanftheit im Blick einer
Tuaregfrau.“ „Wir verlassen das Lager, wo uns die Tuaregfrauen so
gut aufgenommen haben: die Eleganz der Bewegung und das sanfte
Lächeln dieser Frau scheinen uns ‚Gute Reise‘ zu wünschen.“
(7) „Alle sind außerordentlich zurückhaltend,“ so
auch ein junger französischer Mönchs-Missionar: „die
Atmosphäre ist sehr gesund.“ (8, S. 86)
Stolz, Vornehmheit und Liebe zu
schönen Dingen
„Als sie eintraten, breitete sich ein
Schweigen im Saal des Restaurants aus – mit einem Schlag, allein
durch ihre Anwesenheit, hatten sie dem (Film-)Team den größten
Respekt eingeflößt,“ schreibt ein französischer
Filmregisseur über seine Zusammenarbeit mit Tuareg bei der
Produktion des Filmes „Der Himmel über der Wüste“. (3,
S. 137)
Der Hamburger Afrikareisende Heinrich Barth, der
als einer der ersten Deutschen und Europäer in das Innere Afrikas
eindrang, sprach von „dem männlichen, freien Benehmen, das
niemand verfehlen kann, selbst an einem gewöhnlichen Freibeuter der
Tuareg zu bewundern.“ (4, S. 145) Wie tief die
Persönlichkeits-Werte des Volkes der Tuareg ihn beeindruckt hatten,
stellten Barths Verwandte fest, als dieser 1855 34-jährig nach
fünfjähriger aufreibender Forschungsreise aus Afrika zurückkehrte:
„Sein Auftreten hatte das Ernste und Würdevolle,
Zurückhaltende, Stolze, fast Hochmütige im Benehmen der Wüstensöhne
angenommen.“ (4, S. 427)
„Das traditionelle Erscheinungsbild der
Tuareg: der fürstliche Gang, der stolze Blick, die natürliche
Mischung von Hochmut und Adel,“ erläutert ein französischer
Fotograph eines seiner Bilder. (7) Ein dänischer
Völkerkundler berichtet:
„Eine andere Eigenschaft, die allen Tuareg
eigen ist, vor allem denen der Adelsschicht, ist ihr ‚Vornehmtun‘
(ihr ‚Snobismus‘). So benennen es regelmäßig viele in
Tamanrasset und Agadez ansässige Franzosen. ... Das Verhältnis der
Tuareg zur Etikette ist nicht leicht in Worte zu fassen. Gang, Gesten
und Körperhaltung drücken Eigenschaften wie Eleganz, Arroganz,
Feinheit und Kraft aus. Wertschätzung hinsichtlich Kleidung und
Schmuck ist eine weitere Eigenschaft aller Tuaerg. ... ‚Bedeutend
und wichtig‘ zu sein, ‚Prestige zu besitzen‘ hat große
Bedeutung für die Tuareg. Sie sind viel anspruchsvoller als alle
anderen Menschen ihres Landes.“ (9, S. 14f)
Ein deutscher Reisejournalist, der an einer
Tuareg-Karawane teilnahm, berichtet von einem schon älteren Tuareg:
„Als einziger der Gruppe ist er mir gegenüber noch mißtrauisch,
zieht seinen alten tagelmust“ (Gesichtsschleier) „fast
grimmig über Mund und Nase, wenn ich ihn nur anschaue.“ (10,
S. 80) „Das faltenreiche, dunkelblaue Übergewand wirkt zusammen
mit dem gegürteten Schwert wie die Toga eines vornehmen Römers.“
(10, S. 78)
Am tiefsten läßt wohl der folgende Bericht in
die Welt, die soziale Atmosphäre im Leben der Tuareg blicken: „Was
die Anpassung angeht,“ berichtet der schon erwähnte junge,
idealistische Mönchs-Missionar aus Frankreich, der sich darum
bemühte, völlig in der Kultur der Tuareg aufzugehen und selbst in
Kleidung und Verhalten ein solcher zu werden – wobei er seitens der
gastfreundlichen Tuareg aufnahmebereite Unterstützung fand:
„Bei der Suche nach der Anpassung um jeden
Preis riskiert man, einen Umweg über den ‚Geist der Welt‘ der
Tuareg zu machen: sich männliches Prestige zu sichern, vor allem
gegenüber den Frauen. ... Liebe zu festlichen Kleidern, Waffen, zur
Jagd, zu allen möglichen guten Dingen, Tieren und verlockenden
Gegenständen.“ (8, S. 95)
Ein Tuareg-Sprichwort lautet: „Was wünscht
sich der edle Tuareg? Ein weißes Kamel, einen roten Sattel, sein
Schwert und ein Lied beim Ahal!“ (11, S. 5) Ahal ist das
typische Tuareg-Fest mit Kamel-Wettreiten und gemeinsamem Singen zur
Tuareg-Geige (der Imzad) in den fruchtbaren Jahreszeiten. „Mit
Begeisterung“ spricht eine Tuareg-Frau gegenüber einer
nordamerikanischen Völkerkundlerin „über das Parfüm, die
Kleidung und den Schmuck, die auf den Festen getragen werden und sie
liebt die lieblichen Gerüche in der Luft während der“ – den
Festen ähnelnden – „Geistheilungs-Versammlungen. Das Parfüm
wird von den jungen Männern auf den Festen ebenso wie während der
Geistheilungs-Versammlungen getragen und hat“ – in targischen
Augen – „auch Einfluß auf die Geister.“ (12, S. 19)
Geistheilungs-Versammlungen als
wichtige soziale Technik
Ein wichtiger Bestandteil der Kultur der Tuareg
ist ihre Ansicht, daß Menschen vom Kel assouf, vom „bösen“
oder „unholden Geist“, dem Geist eines verstorbenen Menschen
befallen werden können. In Europa wurden solche Geister
„Wiedergänger“ genannt oder ähnlich. In der Vorstellung, daß
die Seele eines Menschen von dem Geist eines gestorbenen Menschen
befallen werden kann, schwingt vielleicht eine Ahnung darüber mit,
daß auch körperlich lebendige Menschen seelisch in den Zustand des
„Gestorbenseins“ hineingeraten können, und daß sich ein solcher
Zustand für das Gemeinschaftsleben ungünstig auswirkt.
Die Tuareg haben nun interessante soziale
Techniken entwickelt, um ihren Volksangehörigen – und damit ihrem
Volk insgesamt – in einem solchen Falle helfen zu können. Solche
vom Kel assouf befallenen Menschen werden in eigens dafür
einberufenen Versammlungen, die den üblichen Festveranstaltungen
fast gleichen, in die Mitte der Gemeinschaft genommen. Es wird wie
auch auf den Festen gesungen, musiziert, ja geflirtet. Die „erotische
Komponente“, die bei den Festen eine so große Rolle spielt, kommt
auch bei diesen Heilversammlungen zur Geltung. (11, S. 17 u. 294)
Dabei wird den vom Kel assouf befallenen
Menschen Gelegenheit gegeben, ihre innerseelischen Probleme und
Konflikte im Rahmen und vor dem Hintergrund einer sowohl an ihren
Problemen interessierten, wie auch sich distanziert gebenden
Gemeinschaft mit sich selbst auszudiskutieren und zu lösen.
Dies geschieht vor allem durch und in die
Einbettung in die targischen Kulturelemente Musik und Gesang,
festliche, fröhliche Stimmung. Diese soziale Technik erlaubt es den
Tuareg, ganz individuelle Probleme (Eheprobleme, Eifersucht, Untreue
und anderes) vor dem Hintergrund einer zurückhaltenden, aber
verständnisvollen und anteilnehmenden Gemeinschaft mit sich selbst
auszudiskutieren. Und dies kann geschehen, ohne daß man dabei
gegenüber den eigenen Freunden und Verwandten das Gesicht verliert.
Diese „Geistheilungs-Versammlungen“ nehmen neben den Festen eine
zentrale Stellung in der Tuareg-Kultur ein. (12, S. 148f)
Die Verbindung von Frau und Mann
Die Verbindung von Frau und Mann wird in vielen
Liedern der Tuareg – zum Teil in erschütternder Weise –
besungen. Dies geschieht vor allem auf dem Ahal, den
festlichen Versammlungen in den fruchtbaren Jahreszeiten. Hier
berichten die meist nur mündlich überlieferten und immer wieder
abgewandelten Lieder davon, wie ein Mann allein in die Wüste reitet.
Nur die Erinnerung an das Zusammensein mit der geliebten Frau läßt
ihn die oft wochenlangen Einsamkeiten der Wüste ertragen. Er sehnt
sich nach seiner Frau zurück – trotz seiner heldischen
Lebensauffassung. Er möchte nicht mehr weiter in die Wüste reiten
und so weiter. (13)
Wie in vielen anderen Einzelheiten der
Tuareg-Kultur scheint auch hier wieder die innere „Zerbrechlichkeit“,
die Empfindsamkeit der Tuareg bei gleichzeitigem heldischem Ideal
auf. Es scheint fast, als ob Menschen und Kulturen, die nicht bereit
sind, dieses Spannungsverhältnis in ihrem Innern auszuhalten, in
einer Umwelt wie der Zentralsahara nicht dauerhaft zu überleben
geeignet sind.
In der den Menschen übewältigenden Einsamkeit
und Trostlosigkeit der Sahara schöpfen die Tuareg ihre große
Lebenskraft und ihren Lebensoptimismus vor allem aus der Verbindung
zwischen Mann und Frau. Diese ist für dieses Volk vielleicht noch
wichtiger als für viele andere Kulturen.
Doch kann man sich beim Umsinnen dieser Tatsachen
auch die Frage stellen, ob die gegenwärtigen „sozialen Wüsten“
in der Mitte Europas nicht ähnliche Lebensverhältnisse schaffen,
wie jene, mit denen sich die Tuareg ihr Leben lang
auseinanderzusetzen haben: „Die Wüste wächst, weh dem, der
Wüsten birgt,“ sagte schon das bekannte Nietzsche-Wort im
vorvorigen Jahrhundert. Ganz sicherlich geht von dem Gefühl, einer
solchen Entwicklung weitgehend abwehrlos ausgeliefert zu sein, ein
Großteil der Faszination aus, die die (psychologischen)
Überlebensstrategien der Tuareg-Kultur auf viele Europäer ausüben.
Auch die europäische Kultur ruht auf zerbrechlicheren Grundlagen,
als viele ahnen. (Von diesem Umstand her müßte eine tiefergehende
philosophische und psychologische Bewertung und Einordnung des
Volkslebens der Tuareg sicherlich ihren Ausgangspunkt nehmen.)
Der Mann mit dem schwarzen Bart
Auf jeden Fall wird deutlich und verständlich,
wie wichtig, existentiell die Verbindung zwischen Mann und Frau und
das Geschehen, das sich dabei abspielt, für die Kultur der Tuareg
ist und auch sein muß. Auch Eifersucht, Treulosigkeit, Trauer,
innere Erregtheit bei äußerer Wahrung des Gesichtes spielen hier
eine große Rolle. Ein großer Teil der Probleme, die auf den
Geistheilungs-Versammlungen in den überlieferten Lied- und
Musikformen in formeller und informeller Weise „ausdiskutiert“
werden, sind Eheprobleme oder haben allgemein mit der Verbindung
zwischen Mann und Frau zu tun.
Ein deutscher Völkerkundler weiß hierüber
manches zu berichten, das Gesellschaften, in denen immer noch – mit
tiefer innerer Berechtigung – die lebenslange Einehe das kulturelle
Ideal darstellt, vordergründig recht fremd erscheinen muß:
„Scheidungen werden von beiden Seiten betrieben. Hat eine Frau
von ihrem Mann genug, bittet sie ihn, sie zu ‚verstoßen‘.
Folgende Verse wurden von einer Frau gedichtet: ‚Ich habe einen
Mann gesehen mit schwarzem Bart. Er hat mich so verwirrt, daß mir
aus der Hand fiel, was darinnen war, daß ich mich nackt glaubte,
obwohl mit drei Gewändern bedeckt. Mit ihm Ehebruch begehen, das
werde ich nicht tun, Ehebruch ist Unehre. Mein Wunsch ist: Ich möchte
verstoßen werden.‘“ (11, S. 20)
Aber auch eine amerikanische Anthropologin
berichtet mit einer gewissen Verständnislosigkeit von der tiefen
inneren Erregtheit, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen
kann: „Zum Beispiel schämte sich eine Freundin, mit in
gelegentlicher Unterhaltung zu sagen, daß sie ein bestimmtes Dorf
gegenüber ihrem jetzigen Wohnort bevorzugte. ... Das erste war das
Zuhause ihres Ehemannes und eine Offenbarung dieser Bevorzugung würde
gleichbedeutend damit sein zuzugeben, daß sie ihren Ehemann zu sehr
liebt.“ (12, S. 20)
In der eingangs erwähnten Palmgarten-Szene
berichten Münchener Motorrad-Reisende „von der Karawane im Qued
Dehine. Zwei der drei Frauen werden ganz aufgeregt, als Abdul
übersetzt. Offenbar sind ihre Männer dabei.“ (2, S. 99) Ist
unser europäisches Abendland zu „alt“ geworden, um zu verstehen,
was bei all dem insgesamt der bewegende Moment ist? Müßten wir
16-jährige „Teenager“ sein, um all das noch verstehen zu können?
„Das können wir nicht,
diese Schönheiten vertreiben.“
Und welche – orientalischen – Geschichten
erzählen sich die Männer auf ihren Karawanen, „wenn sich der
Tag endlos hinzieht und abends die Kälte kommt“? „Der“
– schon erwähnte – „‘Römer‘, unser alter vitaler
Geschichtenerzähler, hält wohl am stärksten die Karawane zusammen
– er macht sich dadurch selbst am meisten Mut und unterhält auch
die anderen.“ (10, S. 80) (Von der Kälte der saharischen
Nächte machen sich viele, die niemals dort waren, keinen rechten
Begriff.) Es sei an dieser Stelle etwas ausführlicher eine dieser
Geschichten wiedergegeben, da sie so gut in das ehrenhafte,
freundliche, seelisch hinaufreißende Leben dieses Volkes einführen
kann:
„Es passierte in den 1950er Jahren, zur
Kolonialzeit. Mein Bruder diente bei den Franzosen in der
Kamelreitertruppe. Sie sollten ein Gebiet im Air freimachen, damit es
als Kamelweide geschützt wäre. Auch die Bewohner einer winzigen
Siedlung – sie hatten nur vier Hütten – mußten verschwinden.
Soldaten gingen zur ersten Strohütte. Zwei wunderschöne Mädchen
saßen darin. Sie liefen zurück und sagten: ‚Das können wir
nicht, diese Schönheiten vertreiben.‘ Mein Bruder antwortete: ‚Das
will ich doch sehen, ob man es nicht kann.‘ Er ging hinein,
erstarrte ehrfürchtig und berichtete seinem Chef, dem Unteroffizier:
‚Bei Allah, so schöne Frauen habe ich noch nicht gesehen. Ich kann
sie nicht wegjagen.‘ Der Unteroffizier wunderte sich: ‚Soldaten,
die sich vor zwei Frauen fürchten, wo gibt es sowas?‘ und eilte
selbst hin. Sah die beiden lange an. Von oben nach unten und
umgekehrt. Dann sagte er nur ‚Entschuldigung für die Störung‘
und ging wieder. Seither blieben sie im Lager und konnten dort
weiterleben.“ (10, S. 76f)
Fröhlichkeit und Lebendigkeit
der Tuareg
Als Gegengewicht zu den menschenfeindlichen
Entbehrungen der wüstenartigen Umwelt, in der die Tuareg von ihrer
Geburt bis zum Tod leben, pflegen sie auch eine ausgeprägte
Lebensfröhlichkeit und Lebendigkeit ihrer Kultur. Die Münchner
Motorrad-Reisenden berichten von ihrer Rast an den vielen natürlichen
Wasserbassins des sogenannten „Paradies-Canyons“ wiederum von
einem Erlebnis, demgegenüber mancher Mitteleuropäer noch Fremdheit
empfinden wird: „Als wir um einen großen Felsen herumschwimmen,
ein zweites, engeres Becken erreichen, sind plötzlich fröhlich
lachende Frauenstimmen zu vernehmen. Was wir dann sehen, läßt uns
gleich mitlachen: Der Lehrer des Dorfes, ein junger, gutaussehender
Targi amüsiert sich mit drei Dorfschönheiten beim Bade.“
„Die vier, splitternackt wie wir, sind bei
unserem Anblick alles andere als peinlich berührt. Vor allem die
drei Mädchen kriegen sich vor Lachen und Schäkern überhaupt nicht
mehr ein. Wieder einmal stellen wir fest, daß es innerhalb der
muslimischen Lebensart verschiedene Welten gibt. Für die gläubigen
Araber des Nordens mit ihrem strengen Moralkodex wäre undenkbar, was
in der relativ liberalen, matriarchalisch beeinflußten Kultur der
Tuareg selbstverständlich ist.“ (2, S. 152f)
Und der Tuareg-Führer Mano Dayak erläutert dies
dahingehend: „Bei uns braucht die Targia den angeblichen Schutz,
den ein radikaler Isalm für die Frauen vorsieht, nicht. Sie läuft
niemals Gefahr, ein ‚Sexualobjekt‘ zu werden. Kein Mann würde es
je wagen, ihr den gebührenden Respekt zu verweigern oder sie gar zu
belästigen.“ (5, S. 49)
So auch die Erfahrung von Europäern: „Susanne
verspürt als wohltuenden Gegensatz zu den Arabern des Nordens, daß
sie als ganz normaler Mensch behandelt wird und nicht als
potentielles Sexual- oder gar Schauobjekt.“ (2, S. 93) Diese
targische Hochachtung vor der Frau ermöglicht den targischen Frauen
einen selbstsicheren, vertrauensvollen Umgang mit den Männern. Die
nordamerikanische Völkerkundlerin berichtet von jener Sitte bei den
Tuareg, die sowohl größte Faszination wie größte Abstoßung bei
Europäern – ganz unterschiedlichster moralischer Einstellungen –
hervorruft:
„Am nächsten Morgen hörte ich Abdullah, den
Bruder von Moussa, scherzhaft darüber reden, wie viele Männer nach
der Geistheilungs-Versammlung gegangen wären, um nach den Frauen zu
sehen. Für Männer ist es gebräuchlich, nachts nach Festen jeder
Art, einschließlich jener Riten für Menschen, die von der Seele
eines Gestorbenen befallen sind, nach den Frauen zu sehen, wenn sich
alles zurückgezogen hat. (Doch kann ein Mann auch aus dem Zelt einer
Frau hinausgeworfen werden, wenn sie seine Aufmerksamkeiten nicht
wünscht.) Wenn junge Männer über die Heilungs-Versammlungen
sprechen, sind es – mehr als die Versammlungen selbst – diese
Stelldicheins, von denen sie am häufigsten sprechen.“ (12, S.
17)
Die „leichten
Sitten“ der Tuareg ...
(Es werden an dieser Stelle die Einwände aller
jener übergangen, die ein derartiges, hier beschriebenes Verhalten
schon an sich für „sittenlos“ halten, ganz unabhängig von der
Einbettung desselben in die übrigen Kulturelemente, die Lebensweise
und Lebenshaltung eines Volkes. Stattdessen wird in der Schilderung
einfach fortgefahren.) „Schamhaft verhüllen die Frauen ihre
Nase, wenn sie sich im Lager von einem Fremden beobachtet fühlen.“
(7) Doch auch der Hamburger Afrikaforscher Heinrich Barth
bestätigt die „leichten Sitten“ der Tuareg. Man hat den
Eindruck, so manches „Oasen-Bild“ europäischer Dichter (wie etwa
Nietzsches oder Ibsens) ist seinen Schilderungen entnommen. Barth
erzählt nämlich von den „übermütigen Emgedesierinnen“:
„Am nächsten Morgen hatte ich einen noch
auffallenderen Beweis der leichten Sitten von Agadez. Fünf oder
sechs Mädchen oder Frauen kamen in unser Haus, um mir einen Besuch
abzustatten, und luden mich mit großer Einfachheit ein, mit ihnen
lustig zu sein, da es jetzt bei der Abwesenheit des Sultans nicht
mehr nötig sei, zurückhaltend zu sein. Es war in der Tat
unterhaltend, zu sehen, welche Schlüsse diese Sünderinnen aus dem
Motte ‚sserki yatafi‘ zogen und mit welcher Frivolität sie mich
unter vielem Gelächter um ein zweideutiges ‚magani-n-tscheki‘
baten.
... Sie gehen unverschleiert, ziehen aber
gelegentlich, mehr aus Koketterie als aus Schamhaftigkeit, ein
Obergewand über den Kopf.“ – Ohne die deutsche Übersetzung
zu den angeführten targischen Ausdrücken anzuführen, beendet der
christlich erzogene, deutsche Forscher seine Ausführungen hier mit
den Worten: „Diese Emgedesier Fräulein oder Frauen gingen in
ihrem Übermut jedenfalls etwas zu weit.“ (4, S. 188f)
... und die „christo-maskulinen
Interessen“ der Europäer
„Was die Frauen angeht,“ so notiert
ganz auf der gleichen Linie liegend der junge Mönchs-Missionar aus
Frankreich: „Provoziert durch die umgebende Mentalität ... ist
man gezwungen, den Beweis der Männlichkeit zu erbringen; der
isolierte Missionar hat praktisch ständig Gelegenheit zur Sünde.
Die grundsätzliche Schwierigkeit besteht vielleicht darin, daß er
sich fürchtet, als abnormal, krank, Eunuch, homosexuell oder als
Monster angesehen zu werden. Denn in dieser Gesellschaft wird das
Ansehen mehr als anderswo durch die Frauen bestimmt. Es ist also
ratsam, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der Flucht vor wirklich
provozierenden Gelegenheiten und einer einfachen Freundlichkeit,
einem ‚christo-maskulinen‘ Interesse für die Tuareg-Damen.“
(8, S. 95)
Wie erstaunlich! Selbst der sittenstrenge,
katholische Mönch kommt zu einem im Ganzen merkwürdig positiven
Urteil. Er scheint deutlich über der „Moral“ seiner
Religionsgemeinschaft zu stehen, wenn er weiter fortsetzt: „Die
Sitten sind gesund. Es ist wahr, daß die Ehe leicht geschlossen und
noch leichter wieder geschieden wird. Einige junge Leute weisen eine
Aktivität in zwanzig bis dreißig aufeinanderfolgenden Ehen auf.
Aber man findet auch Ehen, die ein ganzes Leben halten.“ (8, S.
51) Tatsächlich: Dieser katholische Missionar versucht das Leben
anderer Völker nicht der eigenen (europäischen) Moral zu
unterwerfen! Wie mag man das als wohltuend empfinden. Wie kann man
bei seinen Urteilen innerlich aufatmen.
„Ihre Freiheit, ihre
Leichtlebigkeit ... und auch ihre große Schönheit.“
Nein, wer die adlige Gesinnung und den
Schönheitssinn der Tuareg nicht in seinem Herzen trägt, wird ihnen
und ihrem Leben niemals wirklich gerecht werden können. – Aber wie
leicht kann man sich über seine eigenen Gesinnungen täuschen!
Doch der unmittelbare Kontakt mit diesen Menschen
verscheucht – wie so oft – manche Blödheit: Einer der
französischen Regisseure des Spielfilms „Der Himmel über der
Wüste“ machte erst anläßlich der Dreharbeiten seine erste
Bekanntschaft mit diesem Volk. Hierbei merkte er bald, von wie vielen
Vorurteilen er zuvor den Tuareg gegenüber erfüllt gewesen war.
Ursprünglich ließ der Drehbuch-Autor seines Films in
effekthaschender Weise eine weiße Frau, die sich in der Wüste
verirrt, durch die Tuareg einer Karawane mißbrauchen. Eine solche
Szene kam ihm schon bald sehr unrealistisch vor. Der Regisseur suchte
sich deshalb durch persönliche Begegnung selbst ein Bild von diesem
Volk zu verschaffen:
„Als ich das erste mal nach Agadez kam, bat
ich darum, mit ungefähr zwanzig Tuaregfrauen und – männern
zusamenzutreffen. Ich habe zunächst mit den Frauen gesprochen. Ich
forderte sie auf, mir ihre Lebensgeschichte zu erzählen, von der
Liebe zu reden. Die erste hieß Azahra, sie hatte mit zwölf Jahren
geheiratet, sich mit dreizehn scheiden lassen. Mit dreizehneinhalb
hat sie erneut geheiratet. Als ich sie traf, war sie sechsundzwanzig,
hatte drei Kinder und war Witwe. Wie Azahra, die auch im Film
mitspielt und die eine liebe Freundin geworden ist, erzählten mir
alle unter fröhlichem Gelächter von ihren verschiedenen
Ehescheidungen. Ich entdeckte ihre Freiheit, ihre Leichtlebigkeit ...
und auch ihre große Schönheit.“ (3, S. 138)
Der Hamburger Barth berichtet ebenfalls, daß sich
die Tuareg zumeist „mit einem einzigen Weibe begnügen;
allerdings scheiden sie sich von diesem, wenn es alt wird oder sie
seiner überdrüssig werden, und füllen seinen Platz mit einem
jüngeren, hübscheren aus.“ (4, S. 124) In folgenden Beiträgen
wird es darum gehen müssen, all diese Sachverhalte tiefergehend
auszuloten und zu den üblichen Erfahrungen europäischer Kultur in
Beziehung zu setzen. In der isolierten Form, in der sie hier
angeführt werden, können sie natürlich – gerade bei einem
solchen Thema – trotz allem in jeder nur denkbaren Weise
Mißverständnisse hervorrufen.
Mit einem Tuareg-Häuptling hatte Barth das
folgende Erlebnis: „Um wieder eine Heirat mit irgendeinem
hübschen Amoscharh-Mädchen, einige vierzig Jahre jünger als er
selbst, schließen zu können, versuchte seine ganze Schlauheit, mir
das Geständnis abzulocken, daß ich etwas von meiner Ausstattung zu
seinem Besten entbehren könne, ein Paar Pistolen, einen Teppich,
einen Burnus oder was sonst. Obwohl dies nun gleich keinen Erfolg
hatte, so wurde er doch nicht unhöflich, sondern schien eher an
meinem Verhalten im allgemeinen Gefallen zu finden.“ (4, S.
100f)
Das Beste zu geben
Es ist nämlich doch darauf hinzuweisen, daß die
„leichten Sitten“ der Tuareg nicht losgelöst von der
Gesamtheit ihrer Kultur gesehen werden können. Erst in dieser
Gesamtheit machen sie Sinn und geraten nicht in die Gefahr, von
„europäischen Einstellungen“ in diesen Fragen mißverstanden zu
werden. So komme als ein erster Hinweis auf die übrige Gesamtheit
abschließend noch einmal der schon angeführte Filmregisseur zu
Wort. In einem zweiten Teil des vorliegenden Beitrages sollen viele
bisher nur angedeutete Charakterzüge der Tuareg-Kultur dann eine
weiterführende Erläuterung erfahren.
„Wir waren im Süden Algeriens, und jetzt
galt es, fünfzig Kamele unter der sengenden Sonne der Sahara vor die
Kamera zu bringen. Den Algeriern gelang das nicht und noch viel
weniger den Franzosen. Da bat ich Mano“ (Mano Dayak, ein
bekannter Tuareg, Gründer eines sehr erfolgreichen und
wirtschaftlich wichtigen Tuareg-Reisebüros in Agadez) „die
Sache in die Hand zu nehmen. Er ließ einige seiner Tuareg-Freunde
kommen. Sie sind in Agadez aufgebrochen, drei Tage und Nächte ohne
Pause durchgefahren und waren dann eines Abends bei uns. Als sie
eintraten, breitete sich ein Schweigen im Saal des Restaurants aus –
mit einem Schlag, allein durch ihre Anwesenheit, hatten sie dem Team
den größten Respekt eingeflößt. ... Und dann rissen sie das Team
einfach mit sich. Wenn die Franzosen erschöpft waren, wenn die
Algerier müde wurden – dann lachten sie, gingen voran, und die
anderen wurden einfach mitgezogen.
Ich wußte vorher nichts über die Tuareg, war
voller ärgerlicher Vorurteile, so wie alle Welt sie mit sich
herumschleppt: Tuareg mit undurchdringlicher Miene auf dem Gipfel
einer Düne aus brennend heißem Sand. Aber die Wirklichkeit war viel
stärker.“ (3, S. 137)
Und wenn nun noch seine folgenden Worte angeführt
werden, so möge sich doch der Leser immer wieder daran erinnern, daß
hier nicht von irgendeinem Märchen aus „Tausend und einer
Nacht“ oder irgendeinem romantischen Traum die Rede ist,
sondern von einer Wirklichkeit unserer Zeit: „Was heute“
(1990 – 1992) „den Tuareg zustößt, macht mich um so
betroffener, als sie den Krieg ablehnen. Ich weiß nicht, was wir
ihnen beibringen können, aber ich weiß, was ich von ihnen gelernt
habe: mein Bestes zu geben. Indem wir mit ihnen arbeiten oder mit
ihnen zusammen sind, entwickeln wir in uns unsere edelste Seite. ...
Im Gegensatz zu uns, die wir sehr verwöhnt und zum größten Teil
privilegiert sind und die wir nicht aufhören, uns zu beklagen oder
um irgendetwas zu betteln, egal, um was, verlangen sie nur Achtung
und natürliche Anerkennung. Die Tuareg sind zutiefst würdevolle
Menschen: Sie verlangen nie mehr als das, was ihnen ihrer Meinung
nach zukommt.“ (3, S. 139f) Im Grunde wird sich kaum ein Leser
dagegen wehren können, solche Worte als etwas bloß Märchenhaftes
zu empfinden – wenn er ehrlich zu sich selbst ist.
Erst wenn er sich diesen Sachverhalt klarmacht,
wird ihm nun die Schwergewichtigkeit des folgenden Urteils eingehen,
mit dem der genannte Regisseur seine Eindrücke zusamenfaßt:
„Die
Tuaregfrauen und –männer sind erfahrene Menschen, und sie leben
ihren Sitten mit großer Authentizität. Es gibt zweifellos auf
unserem Planeten immer weniger Völker, die einem zeigen können, wie
man ein wahrhaftiges Leben lebt.“ (3, S. 138) – Natürlich:
Solche Aussagen müssen in der heutigen Zeit als eine maßlose
romantische Verklärung empfunden werden, die mit der Wirklichkeit
gar nichts zu tun haben
kann. Oder die – nicht wahr, lieber
Leser? – für unser eigenes Leben ohne jede Bedeutung ist.
Erich Meinecke
/Diesem Beitrag folgt noch ein -->
2. Teil./
Schrifttum
Einleitendes
Gedicht: (1, S. 39).
- Sommer,
Heike Miethe (Hrsg.): Poesie der Tuareg. Verlag Wendelin Niedlich,
Stuttgart 1994
- Troßmann,
Thomas: Wüstenfahrer. Mit dem Motorrad durch das Land der Tuareg
(Erlebnisberichte, Reisetips, Länderkunde) Verlag Frederking u.
Thaler, München (3. Aufl.) 1992
- Moszkowicz,
Fernand: Persönliche Begegnungen. In: siehe 5, S. 137 – 140
- Barth,
Heinrich: Die große Reise. Forschungen und Abenteuer in Nord- und
Zentralafrika 1849 - 1855. Edition Erdmann in K. Thienemanns Verlag,
Stuttgart 1986
- Dayak,
Mano: Die Tuareg-Tragödie. Horlemann-Verlag, Bad Honnef 1996 (Paris
1992)
- Dayak,
Mano: Geboren mit Sand in den Augen. Unionsverlag, Zürich 1997
- Sebe,
Alain: Tagoulmoust. Die Menschen mit dem Schleier. Fotos aus der
Sahara begleitet von Gedichten der Touaregs. Verlag Karl
Schillinger, Freiburg 1982
- Ploussard,
Jean: Mein Leben bei den Tuareg. Bd. II: Auf den Spuren von Charles
de Foucauld. Verlag Neue Stadt, München 1977
- Nicolaisen,
Johannes: Ecology and Culture of the Pastoral Tuareg. With
particular reference to the Tuareg of Ahaggar and Ayr. (Diss.)
National Museum of Copenhagen 1963
- Gartung,
Werner: Durchgekommen. 1.000 Wüstenkilometer mit der
Tuareg-Salzkarawane. Pietsch Verlag, Stuttgart‑1987
- Göttler,
Gerhard: Die Tuareg. Kulturelle Einheit und regionale Vielfalt eines
Hirtenvolkes. DuMont-Buchverlag, Köln 1989
- Rasmussen,
Susan J.: Spirit possession and personhood among the Kel
Ewey‑Tuareg. Cambridge University Press, Cambridge/US 1995
Lichtenhahn,
Ernst (Prof. für Musik-Ethnologie, Zürich): Die Lieder der Tuareg
in der Republik Niger. (Unveröffentl.) Vortrag-Mitschrift,
Universität‑Mainz 1995