Eine philosophische Aufgabe, die die Physiker des 20. Jahrhunderts nicht geleistet haben
Von all den vielen Vorträgen und Interviews, die man sich inzwischen von Werner Heisenberg im Internet anhören kann, ist es vor allem eine Radiosendung aus dem Jahr 1969, in der uns die philosophischen und religiösen Probleme rund um die Atomphysik besonders deutlich hervorzutreten scheinen (1).
Und zwar insbesondere auch deshalb, weil in dieser Sendung nicht nur ein Physiker, sondern sehr viele verschiedene Physiker zu Wort kommen und dabei auch die unterschiedlichen Haltungen zu den philosophischen und religiösen Fragen, die sich aus der Quantenphysik ergeben können, deutlich werden.
Der Sprecher dieser Sendung, der in derselben auch die Interviews mit Werner Heisenberg und anderen Physikern führt, ist einstweilen nicht bekannt. Er läßt aber sowohl philosophische wie christlich-theologische Interessen erkennen. Einmal kommt er auch auf den Papst zu sprechen. Vielleicht ist er Katholik. Aber dieser Umstand drängt sich nicht in den Vordergrund. Vielmehr läßt er alle Stimmen zu Wort kommen, auch ernstzunehmende Gegenstimmen aus dem Bereich des Atheismus. Sie können ja auch geradezu als Stachel zur Erkenntnis genutzt werden.
In dieser Sendung wurde ein Interview geführt mit Werner Heisenberg, ebenso ein kurzes mit dem
Hamburger Atomphysiker Pascal Jordan. Es werden beider Aussagen einander
gegenüber gestellt (bis 27'12). Es werden dann interessanterweise auch
junge Physiker an der Universität Heidelberg mit den Aussagen von
Heisenberg konfrontiert (27'13-33'06). Auch am Ende der Sendung kommen einige dieser jungen Physiker noch einmal zu Wort.
Insbesondere die Reaktionen der jungen Physiker im Jahr 1969 in Heidelberg machen deutlich, daß Physiker wie Werner Heisenberg damals immer noch - oder schon wieder - eine Ausnahmestellung innegehabt haben innerhalb der Physik und daß sie diese bezüglich der philosophischen Ausdeutung der Quantenphysik bis heute letztlich auch irgendwie immer noch innehaben.
Aber die Teile der Sendung nach diesem Abschnitt sind noch aufwühlender.
Der Autor dieser Zeilen ist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, zwischen 1985 und 1996 in immer wiederkehrender Konfrontation mit dem so selbstverständlichen Gottvertrauen eines deutschen Physikers, Biophysikers und Hochschullehrers aufgewachsen. Dieser wiederum war wissenschaftlich sozialisiert worden im Umfeld des Biophysikers Max Delbrück, einem Umfeld (in dem sich damals übrigens auch einer der Söhne von Werner Heisenberg bewegte). Dieser Biophysiker konnte dem Verfasser dieser Zeilen auch eine Fülle von naturwissenschaftlichen Sachbüchern der 1980er und 1990er Jahre empfehlen, aus denen dieses Gottvertrauen ganz ebenso herauszulesen war. So daß der Verfasser dieser Zeilen derzeit fast mit ein wenig Befremden auf die "Probleme" schaut, die in dieser Radiosendung und in Interviews mit führenden deutschen Physikern um 1969 herum behandelt worden sind (1).
Die Radiosendung scheint nicht zuletzt angestoßen worden zu sein durch das Erscheinen des Buches "Der Teil und das Ganze - Gespräche im Umkreis der Atomphysik" von Werner Heisenberg (2).
Desinteresse einer neuen Physiker-Generation an philosophischen Fragen im Jahr 1969
Aber das ist - insbesondere im zweiten Teil der Radiosendung - ein Stottern, das ist ein "Raten", das ist ein "Meinen", das ist ein Herumtasten, daß es nur so eine Art hat. Und am Ende steht man - fast - mit leeren Händen dar. Ergebnis der Sendung ist: Eine Minderheit der Physiker aus der Gründergeneration der Quantentheorie und der Relativitätstheorie können "religiöse Physiker" genannt werden. Insbesondere fast alle der bedeutendsten und namhaftesten unter ihnen (Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg und andere). Alle anderen waren und sind - wenn es um die Physik und ihre philosophischen Schlußfolgerungen geht - sozusagen bloße "Techniker", die sich für religiöse und philosophische Fragen gar nicht interessieren.
So ähnlich formuliert es dann auch Carl Friedrich von Weizsäcker in dieser Sendung ausdrücklich. Er war über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg der engste Mitarbeiter von Werner Heisenberg (1). von Weizsäcker wird von dem Interviewer nun interessanterweise konfrontiert mit der Aussage des damaligen atheistischen DDR-Philosophen Olof Klohr (1927-1994) (Wiki). Dieser war von 1963 bis 1969 Professor für "Religionssoziologie und wissenschaftlichen Atheismus" an der Universität Jena. Interessanterweise wurde Klohr nach 1969 sogar in der DDR aufgrund seiner Christentums-Feindlichkeit ins geistige Abseits geschoben. Ob nicht an diesem Umstand der Einfluß der monotheistischen Hintergrundmächte sogar in der DDR erkennbar wird? War die philosophische Auseinandersetzung, die Klohr führte, unerwünscht? Er hatte eine sehr interessante Beobachtung gemacht (1) (36'41):
Kirchliche Kreise berufen sich auf die Religiosität berühmter Naturwissenschaftler wie zum Beispiel Carl Friedrich von Weizsäcker, Werner Heisenberg, Pascual Jordan, Albert Einstein. Das häufig angeführte Standardbeispiel für den religiösen Naturwissenschaftler ist Max Planck. Bei näherer Überprüfung ergibt sich jedoch, daß bei keinem Naturwissenschaftler eine Einheit von Wissenschaft und Religion vorhanden ist. Denn bei keinem der angeführten Wissenschaftler ergeben sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen religiöse Schlußfolgerungen.
Das sind starke Worte. Ist man nicht unmittelbar veranlaßt zuzustimmen? Aber was für ein harter Satz. Mit einem Schlag klärt er sofort die Dinge. Der Verfasser dieser Zeilen muß ihn jedoch - mit dem oben genannten Hintergrund - auch fast mit einem Lächeln lesen. Zu ihm sagt nun Carl Friedrich von Weizsäcker etwas eigentlich sehr Wesentliches. Er sagt (38'10):
Ich finde, die Beschreibung des durchschnittlichen Zustands der Wissenschaft durch diesen Satz, den Sie hier zitieren, ist ziemlich richtig. Ich glaube allerdings, daß die Beziehung zwischen dem religiösen Empfinden und vielleicht auch Glauben der Leute, die Sie zitiert haben, und ihrer Wissenschaft, in Wirklichkeit besteht. Das klar zu machen, ist eine philosophische Aufgabe, die keiner der Wissenschaftler, die Sie genannt haben, geleistet hat.
Da wäre sofort die Frage zu stellen: Hat diese Aufgabe denn dann nun endlich der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker geleistet? Das wird man vorderhand bezweifeln dürfen. Aber dieser Frage kann ja noch einmal nachgegangen werden. von Weizsäcker sagt etwas später über den Antrieb zum Philosophieren oder zur Auseinandersetzung mit religiösen Fragen (41:00):
Was ich jetzt meine, das ist, daß die - ich will es mal nennen: religiöse Wirklichkeit nur dort in den Blick kommt, wo der Schein einer Kohärenz, eines ungebrochenen Zusammenhangs der Wirklichkeit, der täglichen Welt zerreißt.
Dies kann bei völlig unterschiedlichen Anlässen geschehen, technische Anwendungen wie die Atombombe würden hier einen sehr konkreten Anlaß geben für ein solches Zerreißen. Aber bevor diese technische Anwendung wichtig wurde, waren es andere Anlässe, so von Weizsäcker (42:50):
Als ich anfing zu studieren, (...) standen die großen Grundsatzprobleme im Vordergrund. Und wenn jemand über die grundlegenden Fragen so nachdachte und darin so erschüttert wurde in seinen Selbstverständlichkeiten wie das in der Zeit der Entstehung der Relativitätstheorie und der Quantentheorie der Fall war, dann konnte ihm da eine religiöse Frage sehr wohl auftauchen. (...) Wenn man eine saubere Methodologie der Wissenschaft betreibt, wenn man das macht, was man heute etwa Wissenschaftstheorie nennt, dann würde ich bereit sein, die These durchzufechten - aber das geht nicht in wenig Worten - daß die Wissenschaftstheorie zu keinem anderen Resultat kommt und zu keinem anderen kommen kann, als daß schon die Möglichkeit von Erfahrung ein tiefes Rätsel ist.
An dieser Stelle würde natürlich die Evolutionäre Erkenntnistheorie einsetzen, auf die von Weizsäcker im nachfolgenden aber gar nicht rekurriert.
Der Verfasser dieser Zeilen möchte sagen, daß er aufgewachsen ist in Konfrontation mit dem stetigen Bemühen, genau das klar zu machen und zu klären, was hier gefordert ist, nämlich der Beziehung nachzugehen zwischen dem religiösen Empfinden der Wissenschaftler und der Wissenschaft, die sie betreiben.
Bei der Klärung dieser Beziehung hat
geholfen Hoimar von Ditfurth, hierbei hat geholfen die Evolutionäre
Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz, hierbei haben geholfen die Bücher von Paul Davies
(z.B. "Die Urkraft"), hierbei hat geholfen Manfred Eigen ("Das Spiel"),
hierbei hat geholfen Stephen Hawkings ("Eine kurze Geschichte der Zeit"). Und hierbei haben so viele andere Sachbücher, die damals gelesen wurden und zu lesen
waren, geholfen. Es haben dabei vor allem auch geholfen wissenschaftlich-philosophische Aufsätze, die erschienen sind in der Zeitschrift "Die Deutsche Volkshochschule", die von dem Hintergrund dieser genannten breiten Literatur ausgehend verfaßt worden waren und die zu dieser genannten Literatur auch wieder zurück geführt haben.
Eingreifen Gottes durch die Quantenphysik?
________
- "Wir reden auch nur in Gleichnissen" (Werner Heisenberg). Gespräche mit Werner Heisenberg, Pascual Jordan, Carl Friedrich von Weizsäcker und jungen Atomphysikern. Etwa 1969, https://youtu.be/nfFnbBUkxes.
- Heisenberg, Werner: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper-Verlag, München 1969.
- Heisenberg, Werner: Atomphysik und Philosophie. Vortrag 1967, https://youtu.be/mvLDNHQLFcg, https://youtu.be/xhNS3cJX5EU.
- Troschke, Harald von: Interview Werner Heisenberg. Etwa 1967, https://troschke-archiv.de/interviews/werner-heisenberg; 30.3.1968, https://youtu.be/SJSmdErgcHs, https://youtu.be/b57qe1esX4o.
- Egloff Schwaiger, Martin Posselt: Porträt Werner Heisenberg. Deutschland, 1968 (30 Minuten). Neu gesendet vom Bayerischen Rundfunk im Januar 2019 in der Reihe "alpha-retro" bei ARD-alpha. (Veröffentlicht auf dem Videokanal "dete38".) 1. Teil: https://youtu.be/zio9r1lXL9Q, 2. Teil: https://youtu.be/kov2890PEHM.
- Bading, Ingo: Werner Heisenberg privat. Ein wertvolles Filmdokument aus dem Jahr 1968, 28. November 2020, https://studgenpol.blogspot.com/2020/11/werner-heisenberg-privat.html.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen