Das Entstehen der chemischen Elemente in den Sternen
"Geheimnisse der Welt des unsichtbar Kleinsten", so lautet das zweite Kapitel des Buches "Der Siegeszug der Physik" von Mathilde Ludendorff, das im Frühjahr 1941 entstanden ist. Am Ende dieses Kapitels wird über die Frage des Werdens der Elemente das folgende ausgeführt (1, S. 61):
Die Physik, die das Zerfallen der schwersten Elemente in leichtere, wie wir noch sehen werden, beobachtet, ja künstlich hervorruft, und die auch annimmt, daß Wasserstoff das erste der Elemente war, kann uns nicht sagen, welche Kraft denn aber das Werden der schweren Elemente aus dem leichtesten auslöste!
Ein solcher Satz macht zweierlei deutlich: Erstens wie dicht am jeweiligen aktuellen Forschungsstand entlang sich Mathilde Ludendorff in ihrem Philosophieren bewegte, zweitens aber auch wie viel sie noch gar nicht wußte, wissen konnte von dem, was wir heute wissen. Aus dem wissenschaftsgeschichtlichen Rückblick wissen wir, daß die hier gestellte Frage im Jahr 1957 im Wesentlichen geklärt worden war (2-4).
Es könnte nun gefragt werden, ob dieser Umstand von Seiten von Mathilde Ludendorff oder von Wissenschafts-Interessierten in ihrem Umfeld in den 1950er oder 1960er Jahren irgendwo noch einmal behandelt - und vielleicht auch in Bezug zu ihrer philosophischen Deutung - gestellt worden ist.
Wie "tickt" unsere Welt?
Abb. 1: Fred Hoyle (aus: 2) |
Schauen wir uns aber, um hier die Zusammenhänge zu verstehen, die zugehörigen Details aus der Wissenschaftsgeschichte zu diesem Thema noch etwas genauer an. (Diesen Blogbeitrag gibt es auch als Videovortrag [12].)
Im folgenden also ein Ausflug in die Wissenschaftsgeschichte, wobei wir sehr schnell merken, daß wir uns hier in einem Bereich bewegen, mit dem zu beschäftigen sogar dazu dienen kann zu verstehen, wie unsere Welt insgesamt "tickt". Denn schon das Entstehen der Elemente zu erklären, erfordert so viel Abstraktion, ist mit so viel Unanschaulichkeit verbunden, daß man das Thema vielleicht sehr gut als "Einführung" in die moderne Physik überhaupt nutzen kann, als Hinführung zu den noch viel unanschaulicheren Themen.
Denn das, auf was wir hier stoßen, ist die Art wie unsere moderne Welt "tickt". Und zwar sowohl einerseits von ihren Erkenntnis-Möglichkeiten her, wie zum zweiten von den gewonnenen Erkenntnissen her und schließlich auch zum dritten von den Anwendungen her, die aus diesen Erkenntnissen dann abgeleitet werden, seien sie nun technischer Art oder handele es sich um "Anwendungen" dahingehend, wie wir von diesen Erkenntnissen her unser Weltbild und unsere Moral, also schlicht unser Leben und Alltagsleben "formen" lassen.
Wir sind also hier dicht an dem zu verstehen, wie unsere Welt im Innersten "tickt". Wir bewegen uns nicht mehr in Äußerlichkeiten. Ob wir es nun gerne so haben, daß unsere Welt so und nicht anders - also durch die Köpfe von Wissenschaftlern hindurchgehend - "tickt" oder nicht. Sich jedenfalls persönlich mit diesem "Ticken" unserer Welt in Verbindung zu setzen, dürfte jedem Einzelmenschen und auch ganzen Gesellschaften jenen Energieschub geben, der notwendig ist, um sich im gesellschaftlichen Diskurs so zu positionieren, um gesellschaftliche Diskurse so sich ausformen zu lassen, daß die beteiligten Gesellschaften dabei zukunftsbereit, zukunftsoffen und zukunftsfähig sind, bleiben - oder auch überhaupt erst einmal: werden.
Wie sind die chemischen Elemente entstanden?
Nach solchen grundlegenderen Worten wieder zurück zum eigentlichen Thema: Es war vor allem der britische Astrophysiker Fred Hoyle (1915-2001) (Wiki), der den Gedanken aufbrachte, daß die schwereren Elemente dadurch entstanden sind, daß sie im Innern von Sternen "zusammen gebacken" werden (Wiki):
Eine Hypothese zum Ursprung der schweren Elemente schlug Fred Hoyle vor. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1946, die er 1954 erweiterte, schlug er vor, daß alle Atomkerne, die schwerer als Lithium sind, in Sternen synthetisiert wurden.Original: Fred Hoyle offered a hypothesis for the origin of heavy elements. Beginning with a paper in 1946, and expanded upon in 1954, Hoyle proposed that all atomic nuclei heavier than lithium were synthesized in stars.
In jener Zeit, in der auch das Modell vom Urknall immer mehr Anerkennung in der Wissenschaft erfuhr, gab es durchaus auch noch andere Theorien zur Entstehung der schweren Elemente. So unter anderem von Seiten des Atomphysikers George Gamow. Der britische Wissenschaftsjournalist Marcus Chown hat darüber ein Buch geschrieben, das 2004 auch ins Deutsche übersetzt wurde (10). Darüber erfahren wir (11):
Wie Marcus Chown schreibt, hatte sich der Astronom Fred Hoyle schon im Jahr 1945 der Ansicht angeschlossen, daß die Sterne vor Zeiten die Hochöfen waren, in denen die Atome hergestellt wurden.
Was in einem Astronomischen Kurzvortrag der Universität Heidelberg recht gut erklärt wird (5), kann auch noch einmal in folgenden Worten wiedergegeben werden (2):
Nach dem Zweiten Weltkrieg war es schon recht verbreitet, die Anfänge des Universums als eine Expansion aus einem sehr dichten Stadium heraus anzunehmen. Aber die Versuche, die Elemente aus dieser Situation heraus entstehen zu lassen, die das ursprüngliche Ziel waren, erwiesen sich als erfolglos; sie versandeten allmählich. 1946 änderte Hoyle das Nukleosynthese-Paradigma, indem er zeigte, daß das Innere von evoluierten, massereichen Sternen eventuell sehr hohe Temperaturen und Dichten sollte erreichen können. In dieser Situation könnte die natürliche Dominanz von Eisen in dem Eisenanteil-Spitzenwert verstanden werden als die Konsequenz eines statistischen Gleichgewichts, vorausgesetzt daß ein geeignetes Verhältnis von Neutronen und Protonen gewählt wurde. (...) Wenn die Explosion des Sterns erfolgte, könnte das interstellare Gas mit Eisen angereichert worden sein. Diese Arbeit verschob die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Nukleosynthese von Atomkernen hin zu den Sternen. Sie schuf das Arbeitsgebiet der galaktischen chemischen Evolution.Original: After World War II, it was already popular to envision the beginnings of the universe as an expansion from a very dense state. But attempts to create the elements in that setting, which was the initial goal, were unsuccessful; so the picture languished. Hoyle changed the nucleosynthesis paradigm in 1946 by showing that the interiors of evolved massive stars should eventually reach very high temperature and density. In that setting, the natural dominance of iron in the iron abundance peak could be understood as a consequence of statistical equilibrium, provided the neutron/proton ratio was properly chosen. (...) If explosive disruption of the star followed, the interstellar gas would be enriched in iron. This paper shifted attention to nucleosynthesis in the stars and created the field of galactic chemical evolution.
Und weiterhin ist dazu zu erfahren (Wiki):
Thermonukleare Kernfusionsreaktionen hängen sehr stark von der Temperatur im Inneren des Sterns ab. Daher bestimmt die Masse des Sterns, in welchem Maß die schwereren Elemente im Laufe des Sternenlebens gebrannt werden können. Leichtere Sterne kommen durch den geringeren Druck im Inneren oft über das Heliumbrennen nicht hinaus, Sterne wie unsere Sonne produzieren hauptsächlich die leichteren Elemente bis zum Kohlenstoff, während Sterne, die deutlich schwerer sind als die Sonne, sämtliche Elemente bis hin zum Eisen erzeugen können. Hier endet die positive Energiebilanz der Fusionsreaktionen. Der innere Kern solcher Riesensterne besteht dann aus Eisen, ihm folgen die anderen Elemente in Schichten nach außen, ein Wasserstoff-Helium-Gemisch bildet die äußerste Schicht.Daß Sterne in ihrem Aufbau zuletzt einem Zwiebelschalenmuster entsprechen, erkannte in den 1940er Jahren Fred Hoyle. Seine Berechnungen zeigten, daß Sterne mit der fortschreitenden Aufzehrung ihres nuklearen Brennstoffs in ihrem Aufbau zunehmend uneinheitlicher werden und daß dies wieder höhere Temperaturen und Dichten in ihrem Inneren bedingt. Das Modell stimmt überraschend gut mit den gemessenen Elementhäufigkeiten im Universum überein. Wie oft sich der Zyklus aus Kontraktion, Aufheizung und Entzündung neuen, schwereren Brennstoffs wiederholt, hängt nur von der Masse des Sterns ab. Die Sternentwicklung treibt die Nukleosynthese an, und gleichzeitig treibt die Nukleosynthese wieder die Sternentwicklung.
Und noch genauer (Wiki):
Schwerere Sterne können einen höheren Gravitationsdruck aufbauen, was die Fusion von schwereren Elementen bis zur Massenzahl 60 ermöglicht. Im Zentrum von Sternen ab 0,4 Sonnenmassen wird nach dem Wasserstoffbrennen zunächst die Kernreaktion von Helium zu Kohlenstoff möglich. Ab 0,7 Sonnenmassen wird die Kohlenstoff-Fusion, bei der je zwei Kohlenstoff-Atome zu Neon, Helium oder Natrium und Protonen sowie Magnesium und Protonen oder Neutronen fusionieren, möglich. Nach Wasserstoff und Helium sind daher die Elemente Kohlenstoff, Neon, Natrium und Magnesium die nächst häufigsten Grundstoffe im Universum, gefolgt von den Elementen Sauerstoff, Silicium, Phosphor und Schwefel. Im Zuge des Heliumbrennens entsteht auch Sauerstoff. Ab etwa 1,4 Milliarden Kelvin verschmelzen je zwei Sauerstoff-Atomkerne (unter Abgabe von Helium, Wasserstoff, Protonen und Neutronen) zu Silicium-28, Phosphor-31 oder den beiden Schwefelisotopen Schwefel-31 und -32, unter Umständen auch zu Chlor und Argon. Beteigeuze, der rote Schulterstern im Sternbild Orion, ist vermutlich ebenso ein solcher Stern wie Antares, der tiefrot strahlende Hauptstern im Skorpion. Beide gehören zur Kategorie Roter Riese, haben fast allen Wasserstoff verbraucht und das Heliumbrennen begonnen. Ein solcher Stern rußt: Kohlenstoff wird in ihm gebildet, und Ruß wird auch durch den Sternenwind aus ihm freigesetzt.
Daß das Element Kohlenstoff zu den häufigsten chemischen Elementen in diesem Universum gehört, dürfte ein nicht ganz unwichtiger Umstand sein. 1957 veröffentlichte Fred Hoyle - zusammen mit drei weiteren Astrophysikern - eine Studie, die den damaligen Forschungsstand zusammen faßte und bis heute als ein "Landmark-Paper" gilt: "Synthesis of the Elements in Stars" ("Die Entstehung der Elemente in Sternen") (3) (Wiki). Wir erfahren (Wiki):
In einer seiner frühen Arbeiten über die Abläufe der stellaren Nukleosynthese stellte er (Fred Hoyle) fest, daß eine bestimmte Kernreaktion - der 3α-Prozess, bei dem Kohlenstoff erzeugt wird - voraussetzt, daß der Kohlenstoff-Kern dafür ein sehr spezifisches Energieniveau besitzen muß. Basierend darauf machte er eine Vorhersage über die Energieniveaus im Kohlenstoffkern, 1954 wurde der Hoyle-Zustand experimentell bestätigt und konnte 2011 mit JUGENE berechnet werden. 1957 verfaßte er zusammen mit Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge und William Alfred Fowler die B2FH-Theorie zur Entstehung der leichten Elemente durch Kernfusion in Sternen.
Nachdem 2011 mit "JUGENE", dem Supercomputer am Forschungszentrum Jülich, neue, vollständigere Berechnungen des instabilen Kohlenstoff-Isotops C12 hatten angestellt werden können, wurde berichtet (4):
... der sogenannte Hoyle-Zustand. Diese energiereiche Form des Kohlenstoffkerns, genauer: des Isotops C12, bildet sozusagen die alles entscheidende Zwischenstufe, um bei der Bildung der Elemente im heißen Inneren großer Sterne vom Helium zum herkömmlichen Kohlenstoff und weiter zu schwereren Elementen zu gelangen. Bereits im Jahr 1954 hat man den Hoyle-Zustand experimentell nachgewiesen, aber seine Berechnung scheiterte stets - zumindest bis heute. Diese Form des Kohlenstoffs besteht lediglich aus drei sehr lose gebundenen Heliumkernen - ein eher wolkiger diffuser Kohlenstoffkern. Und er liegt nicht einzeln vor, sondern stets zusammen mit anderen Formen von Kohlenstoff. Gäbe es den Hoyle-Zustand nicht, hätten im Weltall nur sehr wenig Kohlenstoff oder andere höhere Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff und Eisen entstehen können.
Aus Sicht der Philosophie von Mathilde Ludendorff, in der dem Element Kohlenstoff als dem "genialsten" aller Elemente eine besondere Bedeutung zugesprochen wird, dürften all diese Forschungsergebnisse doch von großem Interesse sein. In demselben Bericht heißt es übrigens auf genau dieser Linie auch weiter (4):
Sogar philosophische Fragen sind in Zukunft möglicherweise wissenschaftlich zu beantworten. Seit Jahrzehnten gilt der Hoyle-Zustand als Paradebeispiel für die Theorie, daß die Naturkonstanten bei der Entstehung unseres Universums genauso und nicht anders aufeinander abgestimmt sein mußten, da wir sonst nicht hier wären, um das Universum zu beobachten. Man spricht hier vom anthropischen Prinzip. "Für den Hoyle-Zustand heißt das: Er muß genau diese Energie haben, die er hat, weil es uns sonst nicht gäbe", sagt Meißner. "Wir können jetzt berechnen, ob in einer veränderten Welt mit anderen Parametern der Hoyle-Zustand im Vergleich zur Masse von drei Heliumkernen tatsächlich eine andere Energie hätte." Wenn dem so ist, spräche das für das anthropische Prinzip.
Mathilde Ludendorff hat sich in einem ganz eigenen Buch mit der "Genialität" des Kohlenstoff-Atoms beschäftigt. Es wäre noch einmal zu überprüfen, ob ihr dabei die "Zentralität" des Kohlenstoff-Atoms für das Entstehen schwerer Elemente bekannt gewesen ist. Daß der Hoyle-Zustand im Rahmen des Anthropischen Prinzips eine wichtige Rolle spielt, konnte ihr noch gar nicht bekannt sein.
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- Ludendorff, Mathilde (Dr. med. v. Kemnitz): Der Siegeszug der Physik. Ein Triumph der Gotterkenntnis meiner Werke. Ludendorffs Verlag GmbH, München 1941 (263 Seiten) (Google Bücher) (mit einem Anhang aus dem Jahr 1955, 31 Seiten)
- Clayton, D. D.: Fred Hoyle (1915–2001). Bulletin of the AAS, 33(4), 2001. Retrieved from https://baas.aas.org/pub/fred-hoyle-1915-2001.
- Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge, William Alfred Fowler, Fred Hoyle: Synthesis of the Elements in Stars. In: Review of Modern Physics 29. 1957, S. 547
- Rätselhafter Hoyle-Zustand - Physiker lösen grundlegende Frage zur Kohlenstoff-Entstehung - Berechnungen ermöglichen damit Einblick in die gesamte Kette der Elemententstehung. In: Der Standard, Mai 2011, https://www.derstandard.at/story/1304551497349/raetselhafter-hoyle-zustand-physiker-loesen-grundlegende-frage-zur-kohlenstoff-entstehung.
- Lisker, Thorsten: Sind wir wirklich aus Sternenstaub gemacht? - Uni(versum) für alle! Astronomische Kurzvorträge des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg, 8.6.2011, https://youtu.be/Tkn1SC92ylM.
- Lorenzen, Dirk: Fred Hoyle und die Schande des Nicht-Nobelpreises. Deutschlandfunk, 24.6.2020, https://www.deutschlandfunk.de/englischer-astropyhsiker-fred-hoyle-und-die-schande-des.732.de.html
- Freistetter, Florian: Fred Hoyle, ein genialer Astronom mit Hang zum Absurden, 2017, https://www.derstandard.at/story/2000059489914/fred-hoyle-ein-genialer-astronom-mit-hang-zum-absurden
- Schnabel, Ulrich: Unbeirrbarer Urknallrebell - Fred Hoyle. In: Die Zeit, 5. Januar 1994, https://www.zeit.de/wissen/astronomie/urknall_011994.
- Lambourne, Robert: Besprechung von "Home is where the wind blows" von Fred Hoyle. In: Phys. Educ., Volume 32, Number 4, 1997, https://iopscience.iop.org/article/10.1088/0031-9120/32/4/031
- Jentsch, Horst: Weltgeschichte zwischen Wissenschaft und Glaube. Evolution aus naturalistischer Weltsicht oder Schöpfung. BoD, 3. Aufl 2020, https://books.google.de/books?id=XN_sDwAAQBAJ.
- Chown, Marcus: Die Suche nach dem Ursprung der Atome. Marix-Verlag, Wiesbaden 2004
- Bading, Ingo: Wir sind Sternenstaub, 20.12.2020, https://youtu.be/pWWSTcGNt-c.
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