𝐈
Das war ein lustiges Leben
Im Königsschloß der Touraine,
Auf weißen Mamorstufen
Ein ewiges Kommen und gehn.
Im Park bei den Platanen
Ging lachend die Dauphine,
Alle Vögel sangen lauter,
Wo die schöne Marie erschien.
Abb.: Schloß Chenonceau (Wiki) |
Gingen der Fürstin zur Seit',
Sie trugen die Purpurschleppe
An ihrem Sammetkleid.
Sie hatten so weiße Hände,
So schmale, die vier Marien,
Doch weißer waren und schmäler
Die Hände der Dauphine.
Es lachten die vier Marien
Hell in den Frühlingswind,
Heller lachte und süßer
Alt-Schottlands Königskind.
Die Lippen der vier Marien
Waren zum Küssen gut,
Marie Stuarts stolze Lippen
Brannten so rot wie Blut ...
Die Büsche und die Bäume
Im Schloßpark der Touraine
Gedenken jener Tage,
Wenn die Frühlingswinde wehn.
Die Marmorfließen sprechen,
Wenn die Wolken vorüberfliehn:
"Hier wiegte sich einst im Tanze
Der schmale Fuß der Dauphine."
Sie ritt mit den vier Marien
Zur Jagd auf tanzendem Roß;
Ihr schottisches Plaid flog im Winde,
Ihre Knie waren weiß und bloß ...
𝐈𝐈
"Lady Stuart, es geht in den bitteren Tod,
Mylady, was brennt euer Mund so rot?"
"Wohl seh' ich den schwarz verhangenen Saal,
Meine Stirn und Wangen sind weiß und fahl,
Doch mein Mund glüht rot, wie zu jener Zeit,
Da ich den schönen Bothwell gefreit.
Noch einmal an meines Lebens Rand
Wie von heimlichen Küssen bebt meine Hand.
Im Ohre liegt mir der Laute Schlag,
Die Rizzio spielte vor manchem Tag.
Ich weiß, daß der Herr meine Sünden vergibt,
Denn ich liebte, wie nur eine Stuart liebt!"
Agnes Miegel
(1879-1964)
entstanden vor 1903
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