"Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles."
Woher stammt dieses Wort? Die Antwort, die man auf diese Frage erhält, lautet: Es ist das letzte Wort einer sehr langen Dichtung. Diese Dichtung ist benannt "Requiem" und stammt von Rainer Marier Rilke (1).
Abb. 1: Das Gedicht "Requiem" ist offenbar - gemeinsam mit zwei anderen - 1919 das erste mal veröffentlicht worden |
Sie ist im Jahr 1908 entstanden. Anlaß war, daß Rilke doe gerade erst heraus gebrachten, nachgelassenen Gedichte des Dichters Wolf Graf von Kalckreuth (1887-1906) (Wiki) gelesen hatte. Dieser hatte sich zwei Jahre zuvor mit 19 Jahren das Leben genommen (2). Es war das am Beginn seiner Militärzeit geschehen.
Welche Hochachtung Rilke den Gedichten von Wolf von Kalckreuth entgegenbrachte, geht aus dem Umstand hervor, daß er noch 16 Jahre später dem Hölderlin- und Goethe-Forscher Karl Viëtor (1892-1951) (Wiki) (3) riet, in eine Anthologie von Sonetten auch solche dieses Dichters aufzunehmen. Viëtor hatte eine Habilitation über die Geschichte der deutschen Ode beendet und schrieb 1924 an Rilke, um die Erlaubnis für einen Nachdruck von Sonetten Rilke's innerhalb dieser von ihm geplanten Anthologie zu erlangen. Rilke erteilte diese, wies aber zugleich auf diese nachgelassenen Gedichte des Wolf von Kalckreuth hin (4, S. 876f):
Es sind außerordentlich schöne Sonette darunter .... Diese Frühvollendeten, die man so rasch vergißt, wären ja, mehr als andere, am Platz in einer solchen Auswahl.
Wir möchten meinen, daß das gesagt ist. Die geplante Anthologie ist dann 1926 erschienen (5).
Im folgenden einige markante kurze Auszüge aus dem Gedicht "Requiem", um die Art deutlich zu machen, wie sich Rilke darin zum Ausdruck bringt, und um die Gedanken deutlich zu machen, die ihn in Zusammenhang mit diesem Dichter-Schicksal bewegten. Nach zwei längeren ersten Absätzen beginnt der nächste Absatz mit den Worten:
O dieser Schlag, wie geht er durch das Weltall,wenn irgendwo vom harten scharfen Zugwindder Ungeduld ein Offenes ins Schloß fällt.
Damit ist der Freitod des Wolf von Kalckreuth angesprochen. Dann folgt ein Absatz, der anklagende Worte enthält, der mit den Worten beginnt: "Daß du zerstört hast". Diese Worte werden einige Zeilen später erneut aufgegriffen:
Daß du zerstört hast. Blöcke lagen da,und in der Luft um sie war schon der Rhythmusvon einem Bauwerk, kaum mehr zu verhalten;du gingst herum und sahst nicht ihre Ordnung ...
"... Wäre einer dir begegnet ..."
Einige Zeilen weiter heißt es:
... wäre einer, derbeschäftigt war, im Innersten beschäftigt,dir still begegnet, da du stumm hinausgingst,die Tat zu tun -; ja hätte nur dein Wegvorbeigeführt an einer wachen Werkstatt,wo Männer hämmern, wo der Tag sich schlichtverwirklicht ...
Rilke hatte, so wird in den weiteren Zeilen deutlich, eine klare Vorstellung davon, wie sich der Dichter der Sprache und der Worte anzunehmen hat. Viele Dichter, so sagt er, wären zu wehleidig beim Dichten ...
... statt hart sich in die Worte zu verwandeln,wie sich der Steinmetz einer Kathedraleverbissen umsetzt in des Steines Gleichmut.
Abb. 2: "Blöcke lagen da ..." ²) |
Der Freitod dieses jungen Dichters war nicht die einzige Gelegenheit, die Rilke Anlaß gab, sich über den drohenden Tod von Kunst Gedanken zu machen. 1899 hatte Nikolai Tolstoi seine Schrift herausgegeben "Über moderne Kunst". In dieser war einem Pessimismus in Bezug auf die Bedeutung des Schaffens von Kunst und Kultur Ausdruck gegeben worden, der am Ende sogar in die völlige Ablehnung künstlerischen Schaffens mündete, der dann sogar der Musik Beethovens mit Ablehnung gegenüberstand.
Diese Schrift war eine andere Art von künstlerischem Selbstmord. So hat es Rilke zumindest gesehen. Er stand dieser Haltung das alternden Tolstoi, dieser Verleugnung seines vorherigen künstlerischen Strebens mit ganzer klarer, schroffer Ablehnung gegenüber.*)
Rilke, so wird man sagen dürfen, hat sich der Mühsal und der Verbissenheit des künstlerischen Schaffens, so wie er es verstanden hat, ausgesetzt. Wir werden bei dem Gedicht von Rilke auch erinnert an jenes andere Bild eines deutschen Dichters, an Hölderlin's "Dichtermut" ...
... Wenn die Woge denn auch einen der Mutigen,Wo er getreulich getraut, schmeichelnd hinunterzieht,Und die Stimme des SängersNun in blauender Halle schweigt ...
Auch Hölderlins Zeiten kannten schon Kulturschaffende, die an dem, was zu schaffen war, zugrunde gegangen sind:
... Freudig starb er und noch klagen die Einsamen,Seine Haine, den Fall ihres Geliebtesten;Öfters tönet der JungfrauVom Gezweige sein freundlich Lied.Wenn des Abends vorbei Einer der Unsern kommt,Wo der Bruder ihm sank, denket er manches wohlAn der warnenden Stelle,Schweigt und gehet gerüsteter.
Wie viel versöhnlicher klingen die Worte Hölderlins im Vergleich zu denen Rilkes. Es ist in ihnen keine Anklage enthalten. Für Hölderlin hat ein Mensch etwas gewagt - und ist daran gescheitert. Das kann geschehen.
"Wo Männer hämmern"
Kehren wir jedoch zu der Dichtung "Requiem" von Rilke zurück. Er spricht noch weiter von dem Blick "in Werkstätten, wo Männer hämmern":
Dies war die Rettung. Hättest du nur ein Malgesehn, wie Schicksal in die Verse eingehtund nicht zurückkommt, wie es drinnen Bild wirdund nichts als Bild ....
Will Rilke hier auf die Möglichkeit hinweisen: Selbstmord kann Bild bleiben? Ein Bild, das hart in Stein zu meißeln wäre? In Worte? In ein Bild der Dichtung? Rilke weiter:
... Mir ist das Herzso schwer von dir wie von zu schwerem Anfang,den man hinausschiebt. ...
Und später folgen die Schlußzeilen, die Ausgangspunkt unserer Lektüren waren:
Die großen Worte aus den Zeiten, daGeschehn noch sichtbar war, sind nicht für uns.Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.
***
Ohne Frage: die Haltung, die in diesen Worten Ausdruck findet, war auch die Haltung Hölderlins.
"Werkleute sind wir"
... 1899 schon hatte in Rilke eine Geige gesungen und er hatte für ihre Melodie die Worte gefunden, die von ähnlicher Thematik erfüllt waren ...:
Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,und bauen dich, du hohes Mittelschiff.Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geisterund zeigt uns zitternd einen neuen Griff.Wir steigen in die wiegenden Gerüste,in unsern Händen hängt der Hammer schwer,bis eine Stunde uns die Stirnen küßte,die strahlend und als ob sie Alles wüßtevon dir kommt, wie der Wind vom Meer.Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmernund durch die Berge geht es Stoß um Stoß.Erst wenn es dunkelt lassen wir dich los:Und deine kommenden Konturen dämmern.Gott, du bist groß
Abb. 3: "... deine kommenden Konturen dämmern ..." ³) |
Das Gedicht "Requiuem" ist 1908 in Paris entstanden. Das war in der Zeit, in der er - neben der Werkstatt Rodin's - als dessen Sekretär arbeitete. Er arbeitete also tatsächlich neben einer Werkstatt, wo "Blöcke" lagen (Abb. 2).
Damit künstlerisches Schaffen geschieht, bedarf es vieler günstiger Bedingungen, es bedarf manchen guten Zuspruchs, es bedarf mancher wohlgemeinten Warnung.
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- Rilke, Rainer Maria: Requiem. Insel-Verlag 1919, https://de.wikisource.org/wiki/Requiem_(Rainer_Maria_Rilke):Seite_25 (auch: Rilke.de)
- Wolf Graf von Kalckreuth: Gedichte. Insel-Verlag, Leipzig 1908, https://www.projekt-gutenberg.org/kalckreu/gedichte/motto.html
- Zelle, Carsten, "Viëtor, Karl" in: Neue Deutsche Biographie 26 (2016), S. 802-803 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117416002.html#ndbcontent
- Schnack, Ingeborg: Rilke-Chronik. Rainer Maria Rilke - Chronik seines
Lebens und seines Werkes 1875-1926, Insel-Verlag, Frankfurt/M. 2009
- Deutsche Sonette aus vier Jahrhunderten. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Karl Viëtor, Euphorion Verlag, Berlin 1926
- "Meine geheimnisvolle Heimat" - Rilke und Rußland. Hrsg. von Thomas Schmidt. Insel Taschenbuch 2020
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