Donnerstag, 3. Januar 2019

Die Liebe, die Wissenschaft und Max Delbrück

Wie fühlt es sich an, wenn man einen genialen Wissenschaftler als Freund hat?

Über den deutsch-amerikanischen Biophysiker und Nobelpreisträger Max Delbrück (1906-1981) (Wiki) ist 1985 ein außerordentlich begeisterndes Buch erschienen. Es stammte von dem Konstanzer Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer (geb. 1947) (Wiki). Das Buch ist deshalb so begeisternd, weil sein Gegenstand so begeisternd ist: Max Delbrück und sein Weg von der Atomphysik im Umkreis von Otto Hahn in Deutschland und Niels Bohr in Kopenhagen zur Molekularbiologie im Umkreis von James Watson in den USA und wieder zurück zum Förderer der biologischen Wissenschaften in Deutschland nach 1945.


In der Erstauflage hatte das Buch noch den Titel "Licht und Leben" (1) getragen. Wir selbst waren auf dieses Buch gestoßen, weil es in dem wunderschönen Buch "Das Loch im Walfisch - Eine Philosophie der Biologie" von Christian Göldenboog aus dem Jahr 2003 immer wieder erwähnt wird. Der Geist einer ganzen Generation von Wissenschaftlern, die im Leben von Max Delbrück eine Rolle gespielt haben, von denen Max Delbrück angeregt worden ist oder die von Max Delbrück selbst angeregt worden sind, findet sich in dieser Delbrück-Biographie wieder.
 
Der Öffentlichkeit hat sich Ernst Peter Fischer nach der Veröffentlichung dieser Biographie - seines Erstlings-Werkes - durch viele weitere Bücher und Vorträge bis heute bekannt gemacht. Viele Vorträge und Interviews finden sich von ihm auch in Videoform im Internet. Bemerkenswert mag man ein Interview aus dem Jahr 2018 mit ihm nicht zuletzt deshalb empfinden, weil in den Minuten 14'35 bis 19'48 scheinbar erstmals öffentlich mitgeteilt wird, daß Max Delbrück als letzte Bemerkung vor seinem Tod an seinen Biografen noch die Frage gerichtet hatte (2):
Wie kannst du es wagen, mein Leben zu beschreiben, wenn du nichts über mein Sex life weißt?
Fischer bringt gleich im Anschluß an die Erwähnung dieser Frage das Beispiel Werner Heisenberg, und daß ein Biograph bei Werner Heisenberg genug zu tun hätte, dessen Wissenschaft zu beschreiben. Gerade jedoch der Fall Heisenberg kann im Grunde genommen besonders gut deutlich machen, was für eine zentrale Äußerung Max Delbrück hier gemacht hatte. Denn auch für Werner Heisenberg war - wie heute bekannt ist (3) - die erste große, unerfüllte Liebe in seinem Leben für viele Jahre ein weitaus bedeutsamerer Lebensinhalt als selbst der Nobelpreis, den er in derselben Zeit erhalten hat. Heisenberg gab in dieser Zeit sogar der Möglichkeit Ausdruck, daß sein ganzes Leben scheitern könne, wenn er bezüglich einer solchen Frage nicht zu einer gelungenen Lösung fände (3).

"Amoröse Szenen"  - so nennt das Ernst Peter Fischer - sind sicherlich bei Werner Heisenberg nicht zu finden. Werner Heisenberg scheint zu allen Zeiten ein sehr zurückhaltender Mensch gewesen zu sein, wenn es um das Sprechen über sein Gefühlsleben ging. Es geht das auch deutlich genug aus den sich über viele Jahre hinweg erstreckenden Briefen an seine Eltern hervor (3).*)

Nun hat es aber Ernst Peter Fischer tatsächlich "gewagt" - "gewagt"!!! - eine Biographie über Max Delbrück zu schreiben, ohne auf das von Max Delbrück selbst angesprochene Thema einzugehen (1). In der Tat weist diese Biographie der anregenden Themen die Fülle und genug und übergenug auf, so daß es der Behandlung dieses Thema sicherlich nich noch zusätzlich bedurft hätte, um sie "interessanter" zu machen. Dennoch hat der Leser schon bei der ersten Lektüre derselben das Gefühl, daß er mehr wissen können sollte und daß er auch gerne mehr wissen würde über das Verhältnis von Max Delbrück zu den Frauen, die in seinem Leben eine Rolle gespielt haben. Und nun wird er von Max Delbrück persönlich darin bestätigt, daß dieses sein Interesse als ein berechtigtes von ihm selbst angesehen wurde.

Jedoch: Die ersten Andeutungen, die Fischer dann hinsichtlich dieses Themas gibt - wenn er über das fröhliche wissenschaftliche und gesellschaftliche Leben in Cold Spring Harbour erzählt - da merkt man dann vielleicht doch, daß man aus seinem Munde oder aus seiner Feder darüber womöglich doch nicht gar zu viel hören möchte. Diese Äußerungen sind dann auch viel zu ungenügend, um aus diesen ihnen irgendwelche grundlegenderen Schlußfolgerungen ziehen zu können. James Watson hat in Erinnerungen (4) und Büchern wie "Genes, Girls and Gamov" (5) - vielleicht auch in anderen wie etwa in "Avoid Boring People" - darüber ja ebenfalls schon viele Andeutungen gegeben, durchaus wertvolle Andeutungen. Letzteres ist den flapsigen Titeln der genannten Bücher keineswegs unbedingt anzumerken.

Von August 1965 bis Dezember 1966 war nun mein eigener Onkel, der vormalige Konstanzer Biophysiker Gerold Adam (1933-1966) (Wiki), Mitarbeiter von Max Delbrück in Pasadena. Diese Zeit in Kalifornien hat ihn - wie ich mir das aus der Erinnerung nun nur allzu gut konstruieren kann - maßgeblich geprägt. Bis zum Tod von Max Delbrück blieb Gerold mit Max Delbrück in freundschaftlicher Verbindung, im regen Austausch von Briefen. Gerold hatte ja auch eine Professur an der - unter maßgeblicher Mithilfe von Max Delbrück gegründeten - Forschungsuniversität Konstanz erhalten.

"Du bist Ishi!" (1967)


Der Briefwechsel zwischen Gerold und Max Delbrück sowie so manches, was Gerold zu Lebzeiten erzählt hat, können den von Ernst Peter Fischer angesprochenen Fragen vielleicht noch eine zusätzliche Erläuterung und Farbe geben. Er erzählte, daß Manny und Max Delbrück während seines Aufenthaltes in Pasadena immer und immer wieder versucht haben, ihn mit jungen Frauen zusammen zu bringen. Sie waren der Meinung, es würde ihm gut tun, verheiratet zu sein. Zu diesem Zweck wurden junge Frauen zu gemeinsamem Essen eingeladen. Gerold erzählte, daß sie ihm zum Abschied die damals ganz neu erschienene Biographie über Ishi (Wiki), den berühmten, letzten frei lebenden Indianer Kaliforniens, geschenkt hatten, benannt "Ishi in two worlds" (6). Manny habe in diesem Zusammenhang zu Gerold gesagt: "Du bist Ishi!" Gerold hat wiederholt und gerne von Ishi erzählt. Ishi ist als letzter Überlebender seines Stammes auf Angebote von jungen Frauen europäischer Herkunft, mit ihm Kinder zu haben, nicht eingegangen. Gerolds Unterton war, daß er sich tatsächlich oft selbst als ein solcher "Letzter seines Stammes" gefühlt habe und daß er - wie die Aussage von Manny ebenfalls andeutet - auch von seinen damaligen Freunden mitunter so wahrgenommen werden konnte.

Im Dezember 1966 ist Gerold dann von Pasadena aus - über Island - nach fünfjährigem Forschungsaufenthalt in den USA nach Marburg an seine Heimat-Universität zurück gekehrt. Um die warmherzige Art zu charakterisieren, die Max dann zeitlebens gegenüber Gerold beibehielt, sei zitiert, was Max gleich nach der Abreise an Gerold schrieb: 
Prost Neujahr! Ich hoffe, daß du nicht auf Island stecken geblieben bist. Ich hatte noch versucht, Dich am Huntington Hotel zu treffen, um Dir Brecht's "Kalendergeschichten" als Reiselektüre mitzugeben. Leider kam ich erst in dem Augenblick an, als Dein Bus schon losfuhr. Zu viel Party letzte Nacht! Alles ist nun sehr ruhig in den Phyco- und Phage-Laboren. M.
Original: Prosit Neujahr! Hope you did not get stuck in Iceland. Tried to see you off at Huntington Hotel and give you Brecht's „Kalendergeschichten“ as Reiselektüre but got there just as your bus pulled out. Too much party in the night before! Now all very quiet in the Phyco and Phage labs. M.
Der Abschied von Gerold war - wie man an diesen Worten erkennen kann - ausgiebig gefeiert worden. Am 27. Januar 1967 beendete Max einen längeren Brief an Gerold mit den Worten: 
Wir alle vermissen Dich. Ich vor allem. M.
We all miss you. I especially. M.
Auch der damals junge Biologe Martin Heisenberg (Sohn von Werner Heisenberg), der damals noch länger bei Max Delbrück blieb, stand kurzzeitig mit Gerold im Briefwechsel. Am 11. März 1967 schrieb Max in einem Brief an Gerold in Marburg etwa auch: 
Lieber Gerold, was für ein Ungemach, lange Briefe schreiben zu müssen, anstatt einfach runter in die Halle zu zuckeln und dort die Dinge durchzusprechen.
Dear Gerold: What a nuisance it is to have to write a long letter to you rather than trotting down the hall and talking things over.
Der Briefwechsel enthält dann natürlich viel "schwere Kost", nämlich wissenschaftliches Forschen im Bereich der theoretischen Biologie und auch Nachdenken darüber, wo Gerold seine wissenschaftliche Laufbahn weiter führen könne. Das soll andernorts noch einmal ausführlicher dokumentiert werden. Hier seien nur noch die Ausschnitte zitiert, die Bezug haben zu den von Ernst Peter Fischer in seinem Interview aufgeworfenen Fragen. Manny schrieb am 14. April 1967 an Gerold: 
Lieber Gerry, (...) ich bin froh, daß Du "Ishi" bekommen und gelesen hast mit ebenso viel Sympathie wie ich auf Dich gezählt hatte, daß Du sie haben würdest für diese Persönlichkeit.
Dear Gerry, (...) I am glad, you received and read "Ishi" with as much sympathy as I counted on you to feel for this personality.
Es wird deutlich, daß über Ishi schon vor der Abreise gesprochen worden war. Manny hatte Gerold das Buch nachgeschickt.

"Was macht dein Liebesleben?" (1968)


Ein Jahr später, am 26. Juni 1968, schrieb Manny einen vierseitigen Brief aus dem vom Sommersturm umbrausten Cold Spring Harbor an Gerold. In diesem schildert sie lebhaft und bildhaft das fröhliche, wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Leben dort, das ja aus vielen Berichten über Max Delbrück gut bekannt ist, und in dem sie unter anderem schreibt: 
Wir hatten gestern Abend eine Hummer- und Wein-Party. Jim Watson und seine neue, junge Frau waren da. Und dem ersten Augenschein nach sieht es nach einer glücklichen Zukunft für sie aus. - Und Max sagt deshalb, daß auch Du Mut fassen sollst, eines Tages wirst auch Du eine Begleiterin finden, was um so kostbarer sein wird, nachdem Du so lange ohne eine solche gelebt hast.
Last night we had a lobster wine party. Jim Watson and his new young wife were there and from first appearances it looks like a happy future for them - so Max says, you should take heart for one day you too will find a compagnion, the more precious for having gone long without. 
Was für wunderschöne Worte das sind. Wer wünscht sich nicht solche Freunde? Und - tatsächlich, nur wenige Wochen später hat Gerold seine nachmalige Frau kennen gelernt. Am 27. Oktober 1969 schrieb Max an Gerold als handschriftlichen Zusatz zu einem Brief: 
Was macht Dein Liebesleben? Martin hat Dich überholt.
What about your love life? Martin got ahead of you.
Damit ist höchstwahrscheinlich Martin Heisenberg gemeint. Dies ist die Zeit, in der Max den Nobelpreis erhalten hat und er von viel Rummel umgeben war. Und es ist die Zeit, in der Gerold eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Konstanz erhalten hat.

Hochzeit (1969)


Am 6. Dezember 1969 hat Gerold geheiratet. Ob er oder Martin Heisenberg nun schneller waren, wäre ja vielleicht noch einmal zu klären. Die Hochzeitsreise von Gerold und seiner Braut führte durch die Pyrenäen. Am 21. Januar 1970 schrieb Manny: 
Eure Heiratsanzeige und den Bericht von Eurer wunderschönen Reise durch Spanien haben wir erhalten noch bevor wir Euch hatten gratulieren können! Natürlich hofften wir, Euch rund um den Hochzeitstermin herum zu sehen, irgendwann vor unserem nächsten Besuch in Konstanz, wo wir dann hoffen, Deine Frau kennenzulernen. Ich fragte Patty Reau (?) (die jetzt wieder zurück in Pasadena ist und in Max's Labor an ihrem eigenen Phyco-Projekt arbeitet). Aber sie sagte, daß Deine Frau bei ihr in Konstanz niemals aufgetaucht sei.
We have your wedding announcement and the description of your beautiful trip through Spain already came before we got around the congratulations! Of course, we expected you to see around to the wedding sometime before our next visit to Konstanz when we'll look forward meeting your wife. I questioned Patty Reau (?) (who is now back in Pasadena, installed in Max's lab with her own phyco project) but she replied that your wife never did show up in Konstanz to her.
Dann ist noch vom Hochzeitsgeschenk die Rede. Der Brief schließt mit: 
Seid glücklich miteinander! Eure Manny und Max.
Be happy together! Yours Manny and Max.
So viel an dieser Stelle als Ergänzung zu den Andeutungen von Ernst Peter Fischer, ebenso als eine Ergänzung natürlich zu den wissenschaftlichen Biographien von Gerold und Max Delbrück. Nachdem wir diesen Beitrag nach längerem zeitlichen Abstand einmal wieder durchsehen, kommt uns die Erinnerung an Andeutungen Gerolds dahingehend, daß es von Seiten des weiblichen Teils der Mitarbeiterschaft an der Universität sehr wohl gelegentlich Versuche gab, das ausschließliche Band Gerolds zu seiner Frau als doch nicht so ausschließlich zu erachten. Nunja, für sie wird gegolten haben, was so oft gilt: Versuch macht klug. In dieser Hinsicht blieb Gerold - - - "Ishi".

Dummheiten (1980)


Und damit wären wir gleich noch bei einem zweiten Interview angelangt, das in den letzten Jahren zugänglich geworden ist (7). Es handelt such um ein im Jahr 1980 mit Max Delbrück geführtes Interview. Es ist ein Jahr vor dem Tod von Max geführt worden. Delbrück ist deshalb in diesem schon sehr alt. Er antwortet in demselben vielleicht deshalb auch etwas zögerlicher als er das in jüngeren Jahren getan haben wird. Er scheint - insbesondere anfangs - nach den Worten der deutschen Sprache zu suchen, die er ja in den USA nicht mehr täglich nutzte.

Es bricht aber immer einmal wieder sein famoser Humor durch, eine famose, mehr nach innen gekehrte Heiterkeit. Es wird auch deutlich, wie überlegt, wie ernst im Überdenken Max Delbrück sein konnte, um wie viel Genauigkeit er auch in seinen Bewertungen bemüht war. Als er nach einer etwaigen preußischen Disziplin in seinem Elternhaus gefragt wird, verneint er diese zunächst, korrigiert sich dann aber: Es war vielleicht eine gemäßigte. Eigentlich ist es doch sehr schön, wenn Menschen so genau sind.

Auch ist spürbar, daß er vieles unausgesprochen läßt, es wird spürbar, daß er zu vielem noch viel, viel mehr sagen könnte.

Mehrmals spricht Max über Dummheiten, die erstaunliche Wirkungen hatten. Die Dummheiten in den Vermutungen von Niels Bohr über Biologie führten dazu, daß er, Delbrück, sich ganz der Biologie zugewandt hat. Sie hatten also doch eine positive Wirkung. Zuvor hatte seine eigene Dummheit dazu geführt (und auch die von Bohr und anderen), daß die Atomkernspaltung erst 1937 entdeckt wurde und nicht schon drei oder fünf Jahre früher. Delbrück sagt ganz richtig - aber auch mit jenem überlegenem Abstand, der sich selbst nicht gar so wichtig nimmt, daß sich ohne seine damalige Dummheit die Weltgeschichte beträchtlich anders hätte entwickeln können. Mit einem so feinen Humor sagt er das, mit einer so famosen, sanften Heiterkeit.

Vaterfiguren und prägungsähnliches Lernen


Es ist nur allzu offensichtlich, daß Gerold einen Menschen wie Max sehr, sehr geliebt und verehrt hat. Das geht aus mancher Stelle der Briefe zwischen ihnen hervor. Gerold beklagt einmal, daß er in Konstanz niemanden hätte, mit dem er sich so gut unterhalten könne wie mit ihm, Max. Aber Max hatte ja einen außerordentlich großen Freundeskreis. Er kam vielen Aufgaben im internationalen Wissenschaftsleben nach aufgrund seiner großen Bekanntheit. Es ist deutlich, daß er für Gerold später nicht mehr so viel Zeit hatte wie Gerold sich gerne gewünscht hätte.

Mit einem solchen Interview jedoch (2) merkt man, was für eine Gunst des Schicksals - und natürlich auch eigenen Verdienstes - es war, im Leben auf einen solchen Freund wie Max Delbrück getroffen zu sein. Solche Menschen wie Max hat es - ohne allen Zweifel - es schon zu Lebzeiten von Gerold nur noch sehr selten gegeben. Als ich die Biographie "Licht und Leben" einige Jahre nach Gerolds Tod das erste mal las, wurde mir erst bewußt, wieviel an der Art von Gerold auf sein vormaliges Zusammensein mit Max Delbrück zurück zu führen sein wird. Es liegt hier womöglich eine Art prägungsähnliches Lernen vor, das sogar noch an mich weiter gegeben worden ist, der ich von Gerold sicherlich ebenso stark fasziniert war, wie Gerold zuvor von Max Delbrück fasziniert gewesen ist. Deshalb ist auch für den Autor dieser Zeilen an dieser Thematik so viel menschlich Bewegendes. Womöglich hat Gerold eine bestimmte Art zu sprechen von Max übernommen, eine bestimmte Art zu überlegen, ja, womöglich auch eine bestimmte Art zu lachen. Es muß eine glänzende Zeit damals gewesen sein, in Pasadena.

Auch hat man das Gefühl, daß Delbrück in dem Interview oft darum bemüht ist, seinen Humor nicht zu sehr durchbrechen zu lassen, da er von einem so durch und durch steifen, trockenen Gesprächspartner interviewt wird. Der ist ja auch wirklich schon überraschend trocken. Und das konnte eigentlich schon ein Unterhaltungswert für sich sein für einen Delbrück. Dieser Gesprächspartner ist ja fast eine lebende Karikatur. Aber das durfte Delbrück natürlich nicht zum Ausdruck bringen. Dennoch fragt man sich beim Ansehen ständig - und Delbrück wollte scheinbar diesen Eindruck auch nicht völlig verwischen: Sollten zwei so unterschiedliche Menschen wie diese beiden einander wirklich etwas zu sagen haben?

Interessant auch, wie Delbrück in dem Interview die Zeit in der Atomphysik in Göttingen nach 1925 charakterisiert. Wenn man es recht versteht, hat womöglich Max Delbrück vieles an seiner persönlichen Art von seiner wiederum seiner eigenen Vaterfigur übenommen, als die er ja in diesem Interview so klar und deutlich Niels Bohr charakterisiert. Was für eine Zeit, was für ein Leben. All diesen Reichtum an innerem Leben hat Gerold an all jene, die ihn enger persönlich kannten, in vollem Ausmaß weiter gegeben.

/ Erweitert:
5.1.2018;
Neufassungen:
14.3.2020,
28.11.2020 /
 
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*) Schon allein bei einer Formulierung wie der von Fischer, Heisenberg könne "den Frauen hinterher gelaufen (sein), um nachher die Quantenmechanik zu machen" - so formuliert es Fischer als natürlich nicht ganz ernst genommene Hypothese - gibt ein Bild, das außerordentlich in Schieflage hängt. Eine solche Aussage würde die Dinge wohl sogar bezüglich eines Menschen wie Johann Wolfgang von Goethe ziemlich deutlich in Schieflage bringen. Nebenbei sei bemerkt, daß eine solche Hypothese sogar in Hinsicht auf einen Heisenberg-Freund wie Wolfgang Pauli ganz falsch sein könnte, selbst wenn hier mehr Anlaß bestehen sollte, eine solche aufzustellen. Deshalb wird diese Frage von Max Delbrück natürlich auch nicht "die Schnappsidee eines alten Mannes (sein), der stirbt" - wie sich Ernst Peter Fischer beliebt auszudrücken. Sondern es handelt sich um das menschlichste Thema das es gibt. Es handelt sich um jenes Thema, das uns Menschen erst zu Menschen macht.
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  1. Fischer, Peter: Licht und Leben. Ein Bericht über Max Delbrück, den Wegbereiter der Molekularbiologie. Universitätsverlag, Konstanz 1985 [Konstanzer Bibliothek, Bd. 2] (= Das Atom der Biologen. Max Delbrück und der Ursprung der Molekulargenetik. Piper-Verlag, München 1988)
  2. Helmut Fink: Fischer • Podcast-Gespräch • Verzauberung oder Entzauberung? Kortizes, 19.12.2018, https://youtu.be/hs9nwJuPpEs 
  3. Bading, Ingo: Werner Heisenberg - Seine erste große unerfüllte Liebe, 10. Januar 2019, https://fuerkultur.blogspot.com/2019/01/werner-heisenberg-und-seine-liebe-zu.html 
  4. Watson, J. D.: Growing Up in the Phage Group. In: Cairns, J.; Stent, G.S.; Watson, J.D. (eds.): Phage and the Origins of Molecular Biology. New York 1966; Expanded Edition. Cold Spring Harbor Laboratory Press 1992, S. 239-245 (Deutsch: Phagen und die Entwicklung der Molekularbiologie. Festschrift für Max Delbrück zum 60. Geburtstag. Berlin (Ost) 1972)
  5. Watson, James D.: Gene, Girls und Gamow. (After the Double Helix, engl. 2001) Piper-Verlag, München 2003
  6. Kroeber, Theodora: Ishi in two worlds. A biography of the last wild Indian in North America. 1961, viele Folgeauflagen; deutsch: Der Mann, der aus der Steinzeit kam (1967) 
  7. Zeugen des Jahrhunderts. Max Delbrück im Gespräch mit Peter von Zahn. 1980, https://youtu.be/ynobDNSnMKc
  8. Bading, Ingo: http://studgendeutsch.blogspot.de/2007/11/die-pipette-ist-meine-klarinette.html
  9. Detlev Ganten über Max Delbrück. Videokanal des Max Delbrück Centrum, 24.03.2016, https://youtu.be/ZdAYHrOJ7aQ
  10. Göldenboog, Christian: Das Loch im Walfisch. Die Philosophie der Biologie. Klett-Cotta, Stuttgart 2003 (Lizenzausgabe für die Wissenschaftliche Buchgesellschaft)

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