Donnerstag, 10. Januar 2019

Werner Heisenberg - Seine erste große unerfüllte Liebe

"Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll" (Februar 1936)

Der Atomphysiker Werner Heisenberg (1901-1976) (Wiki) war ein sehr nach innen gekehrter Mensch, der in Mitteilungen über sein Innenleben und Gefühlsleben Zeit seines Lebens sehr zurückhaltend, man möchte sagen: fast schamhaft war. Dieser Umstand macht vielleicht das Besondere an dem Menschen Werner Heisenberg aus. Wenn man aber genau liest und hinter her horcht, wie er sich äußert, wird man doch manche sehr deutliche Hinweise auf dieses Innenleben finden. So etwa in seinen 2003 veröffentlichten Briefen an seine Eltern (1). In ihnen fallen Sätze wie der folgende vom 28. Februar 1936 (1, S. 248):
Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll.
Was für ein Satz! Dieser Satz wurde nicht nur niedergeschrieben von einem Professor für Physik an der Universität Leipzig, nein, er ist nieder geschrieben worden vier Jahre nachdem ihm vor aller Welt der Physik-Nobelpreis des Jahres 1932 verliehen worden war!

Abb. 1: Professor Werner Heisenberg und sein Assistent Carl Friedrich von Weizsäcker in Leipzig 1934

Allein dieser kurze Satz zeigt, daß für Werner Heisenberg selbst ein Nobelpreis kein Zeichen dafür war, daß aus ein Menschenleben - insgesamt und in letzter Instanz - als ein gelungenes angesehen werde kann oder nicht. Darüber entschied für ihn offensichtlich erst der letzte Tag des Lebens dieses Menschen. Bis dahin konnte alles noch auf des Messers Schneide stehen. Und es entschied sich das für ihn offenbar auch innerhalb von Bereichen, an die diesbezüglich nicht jeder Mensch als erstes denken wird.

Wie sich das menschliche Leben insgesamt entscheidet, scheint für ihn nämlich nur wenig mit seiner wissenschaftlichen Entwicklung zu tun gehabt zu haben, etwa mit seinen wissenschaftlichen Erfolgen. Der eigentlich Wert eines Menschenlebens, der durch äußere Ehrungen wie einen Nobelpreis gar nicht berührt zu werden braucht, scheint sich für ihn in anderen Bereichen zu entscheiden.

Es kommt nicht auf äußere Erfolge im Menschenleben an. Ein Menschenleben kann scheitern. Es kann scheitern, auch wenn ihm viele äußere Erfolge beschieden gewesen sind. Daß Werner Heisenberg Lebenentscheidungen so gewichtet hat, das mag ihn als einen besonderen Menschen kennzeichnen.
Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll.
Es ist dieser Satz gewiß keine eitle Selbstbespiegelung oder Phrase. Dafür wäre sich Heisenberg zu schade gewesen. Dieser Satz wurde vielmehr geschrieben als es sich abzeichnete, daß seine langjährige Liebe zur Schwester seines engsten lebenslangen Freundes, zur Schwester von Carl-Friedrich von Weizsäcker (1912-2007) (Wiki), nämlich zu Adelheid von Weizsäcker (1916–2004) nicht Erfüllung finden würde.*) Und zwar - wenn man es recht versteht - aufgrund der Entscheidung dieser Adelheid von Weizsäcker selbst, nicht aufgrund äußerer, hinderlicher Umstände. Zwar sollten in den nachfolgenden Monaten des Jahres 1936 kurzzeitig noch einmal Hoffnungen aufflackern. Aber am Ende des Jahres klingt aus den Briefen von Heisenberg noch größere Enttäuschung heraus als sie schon Anfang des Jahres heraus geklungen hatte. Der Satz vor dem zitierten Satz vom 28. Februar 1936 lautete (1, S. 248):
Ich weiß, daß sich in diesem Sommer nun alles entscheiden muß und ich habe etwas Angst davor.
Es ist klar: Er wußte nicht, wie er selbst damit umgehen würde, ob er es schaffen würde, diese Enttäuschung zu verkraften, ob er es schaffen würde, an ihr menschlich zu wachsen oder ob diese Entscheidung menschlich ihm zu viel abverlangen würde. Diese Liebe bedeutete ihm - fast - alles. Schon der erste Satz dieses Briefes hatte es deutlich gemacht (1, S. 248):
Liebe Mama! Dieser Brief wird ein sehr ernster Brief!
und auch der Satz nach den beiden schon zitierten Sätzen bekräftigt diesen Eindruck (1, S. 248):
Wenn Du in Gedanken in den nächsten Monaten bei mir bist, ohne zuviel äußerlich nach mir zu fragen, so wird mir das viel helfen.
Heisenberg wußte, daß er durch einen Sturm gehen würde, einen Sturm, der ihn im Innersten erschüttern würde. Und er wappnete sich, er suchte Rückversicherung bei seiner Mutter, aber sicherlich noch mehr in sich selbst. Er suchte sich zu fassen, um den von ihm erwarteten Sturm zu durchstehen. Adelheid von Weizsäcker war 1936 gerade erst 20 Jahre alt geworden. Bis November 1936 nun scheint sich für Heisenberg das Verhältnis zu Adelheid geklärt zu haben, wenn er es auch nicht deutlich ausspricht. Am 3. November schreibt er an seine Mutter, die ihn an seinen Geburtstag, seinen 35. Geburtstag am 5. Dezember erinnert hatte (1, S. 253):
Es ist mir nicht sehr nach feiern zu Mut und ich bin froh, wenn ich mich in der nächsten Zeit tief in meine Arbeit vergraben kann. Ich empfinde sehr stark die Wohltat, in diesem einen Bereich ganz von der übrigen Welt abgeschlossen sein zu dürfen und beneide niemand, der gezwungen ist, sich immer mit dem Spiel der Welt draußen abzugeben.
Und eine Woche später (1, S. 253):
Auch ist mir das einsame Leben nur durch die Arbeit an der Wissenschaft erträglich, aber auf die Dauer wäre es sehr schlimm, wenn ich ohne einen ganz jungen Menschen neben mir auskommen müßte. Wie sich hier mein Leben weiter gestalten wird, weiß ich natürlich nicht. Die Verbindung zur Familie Weizsäcker wird wohl ganz abgebrochen werden und dadurch wird alles völlig anders als bisher. (...) Einstweilen will ich mich der Arbeit widmen, um derentwillen ich auf die Welt gekommen zu sein scheine; und die Erinnerung an die wesentlichen Dinge soll diese Arbeit nur wie eine ferne Musik begleiten.
Es ist erahnbar, wie viel Beben diesen Worten vorausging und von wieviel Beben sie begleitet sind. In seinen Lebenserinnerungen "Der Teil und das Ganze - Gespräche im Umkreis der Atomphysik" wird Heisenberg später ja sehr genau beschreiben und kennzeichnen, wie er diesen - womöglich - tiefsten Punkt seines persönlichen Lebens erlebt hat. Daß es dabei aber um die unerfüllte Liebe zu einem Mädchen gegangen war, deutet er dort mit keinem Wort an. Das wird erst in diesen Briefen an die Eltern deutlich.

Abb. 2: Werner Heisenberg und Ehefrau Margarethe, geborene Schumacher, etwa 1946

Um alles noch etwas genauer zu verstehen und einordnen zu können, muß man acht Jahre im Leben von Werner Heisenberg zurück gehen. So lange nämlich schon war sein Leben erfüllt von einer unerfüllten Liebe zu Adelheid, nämlich seit 1928. 1928 war Heisenberg 27 Jahre alt und Adelheid war erst 12 Jahre alt. .....

Die einzelnen Stationen im Verhältnis von Heisenberg zu Adelheid und insbesondere zu ihrer ganzen Familie müssen künftig an dieser Stelle noch nachgetragen werden. Die Mutter von Adelheid, Marianne von Weizsäcker, die Heisenberg anfangs sehr freundlich in ihrem Haus in Berlin aufgenommen hatte, hat sich später, um so mehr erkennbar wurde, welche inneren Bande Heisenberg an die Familie knüpften, gegen diese Liebe gewandt. Adelheid selbst blieb diesbezüglich aber bis 1936 indifferent, so daß sich Heisenberg immer noch Hoffnungen hatte machen können.

Am 10. September 1932 hat Werner Heisenberg etwa an seine Mutter geschrieben, daß er Adelheid während seines Berlin-Besuches aus der Ferne gesehen habe (zit. n. 10, S. 917):
"Nachher bin ich den ganzen Weg nochmal allein zurückgegangen, die Straßen leuchteten noch ein wenig, wo sie vorbei gekommen war. Aber hier ist jetzt alles grau."
Was sich in diesen wenigen Worten alles andeutet. Heisenbergs Mutter schrieb Anfang 1933 an Adelheids Mutter. Diese antwortete auch ausführlich. Sie beklagte sich, daß Heisenberg immer noch nicht (zit. n. 10, S. 944)
"mehr männliche Einstellung diesen Dingen gegenüber"
zeige, das heißt, ihre Sorgen mißverstand und
"in seiner eigenen Einstellung zu unserer damals noch nicht 16jährigen Tochter nicht selbst die Folgerung zog".
Deshalb hatte sie Heisenberg Hausverbot bei ihrer Familie ausgesprochen.

Die meisten Autoren und Heisenberg-Biographen, die auf diese erste, unerfüllte Liebe im Leben von Werner Heisenberg zu sprechen kommen (wenn sie das überhaupt tun) (z. B. 9, 10), erwähnen doese nur sehr leichthin im Vorübergehen. Sie scheinen sie gerne auch nur als etwas Kindlich-einfältig-Kindisches zu erachten. Sie nehmen die Worte von Heisenberg nicht wahr und ernst, nach dem diese unerfüllte Liebe ihm viel wichtiger war als der ganze Nobelpreis.

Solche Aussagen müssen einfach voll von jenen berücksichtigt werden, die sich anmaßen, das innere Leben von Werner Heisenberg in diesen Jahren voll zu verstehen, in den Jahren übrigens der Formierung der Quantenmechanik. Als würde ein menschlich ganz unreifer Mensch fähig sein, so grundlegende Dinge in der Wissenschaft erarbeiten zu können. Das wäre doch ein gar zu arger Widerspruch in sich.

Im Januar 1937 lernte Werner Heisenberg Margarethe Schumacher kennen. Er heiratete sie nur wenige Monate später. Adelheid von Weizsäcker heiratete ebenfalls nur ein Jahr später den ostpreußischen Rittergutsbesitzer und Reserveoffizier Botho-Ernst Dietlof Graf zu Eulenburg-Wicken (1903-1944). Mit ihm lebte sie auf Gut Wicken im Kreis Friedland in Ostpreußen. Ihr ebenfalls dort lebender Schwiegervater (Wiki) war Major im Ersten Weltkrieg gewesen, er war außerdem 1918/19 ein bekannter Freikorpsoffizier gewesen und war vor 1933 führer des Frontsoldatenbundes "Der Stahlhelm" in Ostpreußen gewesen, der einen Flügel hatte, der politisch zur DNVP hin gerichtet war und einen Flügel, der politisch zur liberaleren DVP gerichtet war. Adelheid hatte dann zwei Töchter. Die ältere der beiden Töchter wurde die nachmalige Schriftstellerin Heilwig Gräfin zu Eulenburg (10. September 1939-1975) (Wiki). Seit 1944 gilt Adelheids Ehemann in Weißrußland als vermißt. Sie selbst mußte mit ihren beiden Kindern und ihren Schwiegereltern 1945 aus Ostpreußen fliehen. Eine neue Heimat fand die Familie in Lindau am Bodensee.

Nachbemerkung, persönliche


Im Jahr 2003 hat der Autor dieser Zeilen die hier behandelten Briefe Werner Heisenbergs an seine Eltern (bzw. später nur noch an seine Mutter) (1) das erste mal in die Hände bekommen. Diese Briefe fielen damals bei ihm nur auf wenig fruchtbaren Boden. Er kann nicht sagen, daß er zu jener Zeit von diesen Briefen ähnlich ergriffen worden wäre wie er lange zuvor von der Lektüre der abgeklärten Lebenserinnerungen "Der Teil und das Ganze" ergriffen gewesen war. Nachdem er Heisenbergs Briefe an seine Eltern aber fünfzehn Jahre später noch einmal neu in die Hand genommen hat, ging ihm erst auf, wie sehr man doch von der ganzen Stimmung, die diese Briefe enthalten, in Bann gezogen wird, wie man in ihnen das innere und äußere Ringen Heisenbergs nachverfolgen kann, wie deutlich wird, was ihm wichtig war im Leben und was nicht.

Nimmt der Autor dieser Zeilen nun noch einmal seinen bislang nie veröffentlichten Aufsatz-Entwurf aus dem Dezember 2003 zu diesem Buch in die Hand - immerhin 18 Din-A-4-Seiten! -, dann findet er darin in keiner Weise, daß er in diesem Aufsatz-Entwurf der Stimmung, dem Wert dieser Briefe gerecht geworden war. Es ist also doch immer die Frage: Wo steht man eigentlich selbst, welchen Wert gibt man sich selbst, wenn man über einen Gehalt urteilt, dem man - womöglich - innerlich gar nicht gewachsen ist, bzw. den man innerlich gar nicht wahrnimmt.**)


/erneut überarbeitet:
14.3.2020/
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*) Zwei Fotografien von Adelheid aus dem Jahr 1929: http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/69518834, https://ebookstr.e-bookshelf.de/products/reading-epub/product-id/26257/title/Vier%2BZeiten.html
**) Geradezu Seelenleere starrt mich aus diesem 18-seitigen 2003-Manuskript an. Der innere Geist in dem damaligen Manuskript stimmte nicht. Der ganze Geist des Manuskriptes ödet den Leser an. Es ist ohne alle Ergriffenheit geschrieben und kann deshalb auch keine wecken. Gibt es Schlimmeres?! In Konfrontation mit Lebensbildern bedeutender Menschen mögen solche Dinge besonders auffällig werden.
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  1. Heisenberg, Werner; Hirsch-Heisenberg, Anna M.: Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918 bis 1945. Langen/Müller, München 2003
  2. Kleint, Christian; Wiemers, Gerald (Hrsg.): Werner Heisenberg im Spiegel seiner Leipziger Schüler und Kollegen. Leipziger Universitätsverlag, 2006
  3. Heisenberg, Werner; Heisenberg, Elisabeth; Hirsch-Heisenberg, Anna M.: Meine liebe Li! Der Briefwechsel 1937 - 1946. Residenz, 2011 
  4. Lindner, Konrad: Jugendliches Genie - Carl Friedrich von Weizsäcker als Student in Leipzig. Dezember 2016, http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=835
  5. Lindner, Konrad:  Heisenbergs jüdische Meisterschüler - zur Physik in der Weimarer Republik. http://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=679
  6. Werner Heisenberg und Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker - München 1966, https://av.tib.eu/media/14335
  7. Rekonstruktion der Quantentheorie und Theorie der Ur-Alternativen - Carl Friedrich von Weizsäcker diskutiert seine Thesen mit Manfred Eigen und Manfred R. Schroeder, 1988, https://av.tib.eu/media/11191
  8. Rechenberg, Helmut; Wiemers, Gerhard: Werner Heisenberg 1901-1976. Forscher, Lehrer und Organisator der Wissenschaft. Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag, 2001, https://www.archiv.uni-leipzig.de/heisenberg/intro.htm
  9. Martin Ebner: Wen schert Heisenbergs Liebeskummer? Besprechung von "Werner Heisenberg. Liebe Eltern! Briefe aus kritischer Zeit 1918 bis 1945". Neue Züricher Zeitung, 21.9.2003, https://www.nzz.ch/article9065U-1.306192
  10. Rechenberg, Helmut: Werner Heisenberg - Die Sprache der Atome. Leben und Wirken - Eine wissenschaftliche Biographie. Band 1: Die "Fröhliche Wissenschaft" (Jugend bis Nobelpreis). Springer, Heidelberg 2010 (GB)

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