Donnerstag, 24. Dezember 2020

"Ähnlich den Kokon's der Insekten"

Sternentstehungstheorien und ihre empirische Überprüfung
- Ein Blick in die Kinderstube von Sternen und Sternhaufen - 1994 ist sie erstmals möglich geworden*)
 / Zweiter Beitrag aus unserer Blogartikel-Serie "Wir sind Sternenstaub" /

Im letzten Beitrag (1) war hingewiesen worden darauf, wie die Wissenschaft heute das Entstehen der chemischen Elemente, die schwerer als Lithium sind, glaubt, erklären zu können. Damit ist aber noch nicht die Frage geklärt, wo und wie die Vielzahl der chemischen Elemente hier auf unserer Erde und in unserem Sonnensystem entstanden sind.

 

Abb. 1: Die Kinderstube eines künftigen Sternhaufens in der Milchstraße (ein sogenanntes "Bok-Globule"), hier mit dem Spitzname "Caterpillar" ("Raupe") - Seine leuchtenden Ränder legen eine Photoionisation durch die heißesten Sterne in dem Sternenhaufen nahe (NASA 2007) (Wiki)

Indem wir dieser Frage nachgehen, geraten wir in ein Feld moderner, aktueller Forschung, das man in der üblichen Wissenschaftsberichterstattung Jahrzehnte lang gar zu leicht hat übersehen können. Und doch geht es hier um die Erforschung der Grundlagen unserer Existenz. Und es gibt auf diesem Gebiet in der Wissenschaft der letzten Jahrzehnte stürmische Fortschritte in dem Verstehen dieser Vorgänge. Das wird einem allerdings noch nicht bewußt, wenn man sich dazu die Theorien auf Wikipedia zur Entstehung unseres Sonnensystems ansieht ... (Wiki). ... Man ist beim derzeitigen Inhalt dieses Wikipedia-Artikels zunächst verwundert: Das soll eine gute physikalische Theorie sein? Unser Sonnensystem wäre entstanden aus einer diffusen "Urwolke", wie sie schon von Immanuel Kant angenommen worden war? Und mehr sollten wir heute nicht darüber wissen? Aber dann stößt man weiter unten im Wikipedia-Artikel auf den Verweis zu dem Wikipedia-Artikel "Protoplanetare Scheibe". Hier liest man nun doch einigermaßen verwundert weiter (Wiki):

"Die ersten protoplanetaren Scheiben wurden 1994 von C. Robert O’Dell und Mitarbeitern mit dem Hubble-Weltraumteleskop im Orionnebel beobachtet; in diesem Sternentstehungsgebiet sind etwa 50% aller jungen Sterne von einer protoplanetaren Scheibe umgeben. 1998 wurde erstmals eine Scheibe um einen massiven Stern gefunden."

Das erstaunt. Die Wissenschaftler wissen also doch schon allerhand mehr - inzwischen - als zunächst zu ahnen war. Bilder von solchen Protoplanetaren Scheiben findet man auch in einem Astronomischen Kurzvortrag von Professor Ralf Klessen von der Universität Heidelberg aus dem Jahr 2011 (4). Von dem Wikipedia-Artikel "Protoplanetare Scheibe" kann man sich weiter leiten lassen zu dem Wikipedia-Artikel "Sternentstehungsgebiet", wissenschaftlich benannt "H-II-Gebiet" (Wiki):

"Ein Sternentstehungsgebiet (H-II-Gebiet, gesprochen Ha zwei, H für Wasserstoff) ist eine interstellare Wolke aus leuchtendem Gas mit einem Durchmesser von manchmal mehreren hundert Lichtjahren, in der die Sternentstehung stattfindet." 

Wer hätte davon schon jemals gehört? Finden wir uns erst einmal mit den Örtlichkeiten zurecht. Denn da gibt es ja gedanklich erst einmal einiges einzuordnen. Zunächst einmal hinsichtlich der Größenverhältnisse, von denen hier die Rede ist: Die Milchstraße hat einen Durchmesser von 200.000 Lichtjahren und eine Dicke von 1.000 Lichtjahren. Die Dimensionen, von denen hier die Rede ist ("mehrere hundert Lichtjahre"), sind also deutlich kleiner als eine durchschnittliche Galaxie im Durchmesser. Aber immerhin, mit der Dicke der Milchstraße kommen wir diesen Dimensionen schon nahe. Aber fangen wir noch einmal von der anderen Seite her an, die Größenverhältnisse einzugrenzen und verständlicher zu machen: Die "Oortsche Wolke", das nächstliegende Phänomen außerhalb der äußersten Planetenbahnen unseres Sonnensystems, ist 1,6 Lichtjahre von unserer Sonne entfernt. Auch hier sind wir noch nicht in dem Größenbereich angekommen, von dem bezüglich eines "Sternentstehungsgebietes" die Rede sein könnte.

Die "Lokale Blase", unsere Heimatregion in der Milchstraße

Schließlich ist aber zu finden: 300 Lichtjahre Durchmesser hat die sogenannte "Lokale Blase" (Wiki), in der sich seit einigen hunderttausend oder Millionen Jahren unser Sonnensystem befindet. Das Alter dieser "Lokalen Blase" um uns herum, eines weitgehend staubfreien Gebietes um unser Sonnensystem, ist nämlich, wie hier zu erfahren ist, nicht so alt wie unser Sonnensystem selbst. Es soll vielmehr eine Supernova oder mehrere derselben in den letzten 100 Tausend oder 20 Millionen Jahren in unserer "galaktischen Nähe" gewesen sein, die diese "Lokale Blase" staubfrei gefegt hat. Wenn diese "Staubfreiheit" um uns herum also nicht unbedingt als "Normalfall" anzusehen sein muß, stellt sich ja hier auch die Frage: Konnten denn die Dinosaurier schon genauso "staubfrei" in den Nachthimmel blicken wie wir? Diese Frage scheint berechtigt zu sein. Denn zumindest zu dem Gegenteil von "Staubfreiheit", nämlich zu "Dunkelwolken" lesen wir (Wiki):

Wenn das Sonnensystem durch einen solchen Nebel driften sollte, könnte der kosmische Staub das Licht der Sterne verdunkeln.

Es könnte also - soweit uns bisher übersehbar - noch gar nicht sicher sein, daß die Dinosaurier die Sterne gesehen haben. Ja, manche Forscher vermuten sogar noch mehr (Wiki):

Eine Dunkelwolke mit einer Dichte von 100 bis 300 Molekülen pro cm³ könnte die Heliosphäre stark zusammendrücken, wodurch ihre Materie bis ins Innere des Sonnensystems gelangen und sogar die Sonne verdunkeln könnte. Dies könnte die Photosynthese stören oder verunmöglichen. Einige Forscher vermuten einen derartigen "Nebel-Winter" hinter vergangenen Eiszeiten und Massensterben.

Gut, sichere Kenntnisse scheint es dazu also noch nicht zu geben. Ganz allgemein ist zu "Molekülwolke" noch das folgende sehr Interessante zu erfahren (Wiki): 

Wenn die Wolke dicht genug ist, können sich viele Arten von Molekülen bilden, bis hin zu komplexen Aminosäuren. (...) Ab Mitte der 1960er Jahre wurde mit Radioteleskopen eine Vielzahl von Molekülen im interstellaren Medium nachgewiesen. (...) Inzwischen sind über 150 unterschiedliche Moleküle in Molekülwolken entdeckt worden, wie z. B. Wasser (H2O), Cyanwasserstoff (HCN) oder Ethanol. Kohlenmonoxid ist von besonderer Bedeutung für die Erforschung der Molekülwolken, weil man auf Grund des CO/H2-Verhältnisses die Masse einer solchen Wolke bestimmen kann.

Aber gehen wir noch einmal einen Schritt zurück: Worauf stoßen wir eigentlich, wenn von "Lokaler Blase" die Rede ist? Ist diese "Lokale Blase" nicht die eigentliche Heimat in unserer Galaxie? Warum sprechen wir immer nur von unserem Sonnensystem und nicht davon, daß unser Sonnensystem - wahrscheinlich (das sehen wir gleich weiter unten) - Teil eines Sternenhaufens ist, unprosaisch "Lokale Blase" geannt, dessen Sterne alle gleichzeitig zu Sternen so wie die Sonne geworden sind, und dessen "Umhüllung" - womöglich - erst vor 100 Tausend oder 20 Millionen Jahren staubfrei gefegt worden ist (oder womöglich auch "wieder" staubfrei gefegt worden ist).

"Sternentstehungsgebiete"

Jene Supernovi in unserer eigenen Lokalen Blase, die diese Staubfreiheit bewirkten, hätten dann aber auf jeden Fall nicht die Ausgangsbasis für unser eigenes Sonnensystem bilden können, denn dazu waren sie ja viel zu jung. Aber welche waren es dann? Diese Frage leitet uns im folgenden. Aber an die Antwort auf diese Frage müssen wir uns - offenbar - über Umwege heran tasten, womöglich viele. So schnell kriegen wir hier die Zusammenhänge nämlich nicht zusammen gesetzt. Schauen wir uns erst einmal an, was ganz allgemein über die Kinderstuben von Sonnen und Planetensystemen außerhalb unseres eigenen Sonnensystems bekannt ist. Hier sind höchst erstaunliche Dinge zu erfahren (Wiki):

"Einige Sternentstehungsgebiete (H-II-Gebiete) sind so hell, daß man sie schon mit bloßem Auge sehen kann. Jedoch wurde ihnen vor der Erfindung des Teleskops im frühen 17. Jahrhundert kaum Beachtung geschenkt." "Im frühen 20. Jahrhundert bemerkte man, daß die H-II-Gebiete meist heiße helle Sterne enthalten. Diese haben ein Vielfaches unserer Sonnenmasse und sind die kurzlebigsten Sterne mit nur wenigen Millionen Jahren Lebensdauer (zum Vergleich: Unsere Sonne lebt etwa 10 Milliarden Jahre). Es wurde bald vermutet, daß in den H-II-Gebieten neue Sterne entstehen: Über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren bildet sich ein Sternhaufen aus einer H-II-Region, bevor der Sternwind der heißen jungen Sterne den Nebel zerstreut. Die Plejaden sind ein Beispiel solch eines Haufens, der seine H-II-Gasnebel, aus denen er entstanden ist, schon großteils weggeblasen hat. Nur ein kleiner Rest von ihnen blieb als Reflexionsnebel erhalten."

Die Plejaden, die Plejaden. Das macht uns jetzt aber neugierig ... (Wiki): 

Der Sternhaufen (...) umfaßt mindestens 1200 Sterne und ist etwa 125 Millionen Jahre alt. 

Erst 125 Millionen Jahre alt? Dann ist er ja wiederum viel jünger als man eigentlich so ohne weiteres hätte erwarten können!? Er entstand ja dann erst auf dem Höhepunkt der Dinosaurierzeit! Aber wie hat man das Alter herausbekommen? Professor Schwarmintelligenz von der Universität Wikihausen führt dazu das folgende aus (Wiki):

Das Alter von Sternenhaufen kann geschätzt werden, indem man das Hertzsprung-Russell-Diagram dieses Haufens mit theoretischen Modellen zur Sternenentwicklung vergleicht. Indem man diese Technik benutzt, wurde für die Pleiaden ein Alter zwischen 75 Millionen und 150 Millionen Jahren geschätzt.
Ages for star clusters can be estimated by comparing the Hertzsprung-Russell diagram for the cluster with theoretical models of stellar evolution. Using this technique, ages for the Pleiades of between 75 and 150 million years have been estimated.

Der Autor dieser Zeilen wußte bislang nicht, daß wir am Himmel heute Sterne sehen, die man in der Frühzeit der Dinosaurier noch gar nicht sehen konnte! Er dachte, die Sterne am Himmel sind im Allgemeinen so alt oder älter als die Sonne. Denkst du, du Winzling hier auf der Erde. Also noch einmal in anderen Worten (Wiki):

In H-II-Gebieten entstehen meist tausende neuer Sterne in einer Zeitperiode von einigen Millionen Jahren. Am Ende führen jedoch Sternwinde der massereichsten Sterne oder vereinzelte Supernova-Explosionen dazu, daß das Gas des H-II-Gebietes zerstreut wird. Zurück bleibt ein Offener Sternhaufen wie die am Winterhimmel sichtbaren Plejaden.

Also ist womöglich auch unsere "Lokale Blase" auf diese Weise entstanden? Wir müssen das vorerst als Frage im Raum stehen lassen.

Sternentstehung - Sie findet nicht in der "Öffentlichkeit" statt

Aber legen wir das Augenmerk noch einmal auf diesen Umstand, nämlich daß die Geburt eines Sternes nicht in der Öffentlichkeit statt findet (Wiki):

"Die Geburt eines Sternes in einer H-II-Region wird durch dichte Wolken und Staub um entstehende Sterne verdeckt."

In dichte Wolken und Staub ist also (auch) "unsere" Geburtsstunde eingehüllt. Die Sternenhaufen machen also - offenbar - ein Geheimnis aus dem, was in ihrem Innern geschieht. Sie "zaubern". Sie sind "schamhaft". Sie verbergen das Kostbarste (Wiki):

"Nur wenn der Sternenwind seinen 'Kokon' wegweht, wird der Stern sichtbar."

Erst wenn die Sterne also Sterne sind, wird die verhüllende Hülle abgeworfen, weggefegt. Sie werden in aller Pracht der "Öffentlichkeit", der Welt sichtbar. So wie die Plejaden - oder wie die Gürtel- und Schwertsterne im Orion. Sie sprechen dann: "Seht her, da sind wir. In die Knie mit Euch, betet uns an, uns, die Sterne, die so hell und strahlend und gütig leuchten, mitunter heller als tausend Sonnen (um einmal Bezug zu nehmen auf einen Buchtitel von Robert Jungk)." Man fühlt sich fast an das Aufblühen von Blumen erinnert. Man fühlt sich an die Verhüllung der Blüte in Knospen erinnert. Und an viele ähnlich anmutende Erscheinungen in der Biologie, an Vorgänge von Verhüllung und Enthüllung.

Ist das nicht alles Grund genug zu sagen: Habe acht vor den Sternen, du Winzling, du Mensch, der du durch die Gassen schreitest? Sie, die Sterne, sehen dich - ? Auch wenn du nicht zu ihnen aufschaust? Sie haben nämlich auch ihr eigenes "Leben". Sie sehen dich und - womöglich sogar: deine Schamlosigkeit. Denn ihr eigenes Leben ist ja in der Frühphase in geheimnisvolle Schamhaftigkeit gehüllt. Sie wissen deshalb um Schamhaftigkeit, um Umhüllung bei der Zeugung, bei der Geburt neuer Welten, neuer Grundlagen für etwaiges Leben.

Weißt Du Winzling, Du Mensch, wenn Du durch die Gassen schreitest, dich zu benehmen - "im Angesicht der Sterne"? Weißt Du es? Erzeigst Du Dich ihrer würdig? Bist Du würdig, sie in all ihrer Entschleierung sehen zu dürfen? In all ihrer Pracht und Herrlichkeit? All diese "jungen" Sterne, all diese Pracht, dieses Glitzern und Glänzen aus der Dinosaurierzeit?

Was Hoimar von Ditfurth noch nicht wußte ...

Ja, man versteht es schon, warum man in Jugendzeiten nichts von diesen Dingen erfahren hat, die man hier auf Wikipedia jetzt zu seiner eigenen Überraschung findet. Warum man nichts von ihnen erfahren hat, obwohl man doch eine breite naturwissenschaftliche Grundbildung genossen hatte. Man versteht es schon, warum die Physiker der 1980er Jahre, auch die philosophisch Interessierten, einem davon nichts erzählt haben. Warum man davon noch so wenig hat lesen können in "Im Anfang war der Wasserstoff" oder in "Kinder des Weltalls" von Hoimar von Ditfurth. Hoimar von Ditfurth starb 1989. Und erst 1990 gab es den empirischen Beleg dafür, daß die Geburtsstätten der Sterne in Dunkel gehüllt sind. Erst 1990.

Aber warum erfährt der Autor dieser Zeilen - und womöglich auch der Leser - erst jetzt davon, 30 Jahre später? Weil die ganze Welt - womöglich - mit Irrsinn beschäftigt ist? Und weil auch von dem Autor dieser Zeilen immer und immer wieder erwartet wird, daß er sich mit Irrsinn beschäftigt, statt mit dem Erhabenen, Großen, Wertvollen, Prächtigen, Glänzenden, Funkelnden und Geheimnisvollen, mit dem sternenübersäten Nachthimmel? Hat irgendetwas anderes Sinn, als sich mit dieser erhabenen Pracht zu beschäftigen? In "heutigen Zeiten"? Wer möchte das gar so kühn und schlankweg behaupten in einer Welt, die in den reinen Irrsinn versunken ist. Also noch einmal, wohlgemerkt:

"Die ersten protoplanetaren Scheiben wurden 1994 von C. Robert O’Dell und Mitarbeitern mit dem Hubble-Weltraumteleskop im Orionnebel beobachtet."

Was hat der Autor dieser Zeilen im Jahr 1994 gemacht, daß diese und ähnliche Entdeckungen an ihm hatten vorbei gehen können und ihm seither niemals mehr hatten bedeutsam werden können? In welchen dunklen Gassen war er unterwegs, mit Blick zum Boden anstatt mit Blick zu den Sternen? In welcher Schamlosigkeit war er befangen, in welcher Nichtbeachtung der Sterne? Oh, ihr Sterne, verhüllt eure Häupter. Ist denn nun nicht genug von der Schande die Rede gewesen? Genug, genug. Ja, wir sprechen mit Hölderlin:

"Wär ich mit Themistokles aufgewachsen, hätt ich unter den Scipionen gelebt, meine Seele hätte sich wahrlich nie von dieser Seite kennen gelernt."

Von dieser Nachtseite der Welt, die die Sterne Sterne sein läßt. Wie darf das sein? Unsere Seele hätte schon vor 30 Jahren von diesen faszinierenden Erkenntnisfortschritten in der Wissenschaft Kenntnis nehmen müssen und die Augen zu den Sternen richten müssen, anstatt - anstatt sich mit so viel überbordender Blödsinnigkeit während unserer eh nur viel zu kurzen Lebenszeit zu beschäftigen. Wenn ich einstmals auf dem Sterbebett liege, wenn ich einstmals auf dem Totenbett liege, erzählt mir vom Ursprung der Sterne, von den wabernden Gaswolken, von den geheimnisvollen und von ihrem geheimnisvollen Wirken. Davon zu wissen, ist genug. Mehr als genug. Was über die Kindheit der Menschen zu sagen ist, ist das nicht noch um so viel mehr von der Kindheit der Welt, unserer Welt, von der Kindheit der Sterne zu sagen?

"Da ich noch ein stilles Kind war und von dem allem, was uns umgibt, nichts wußte, war ich da nicht mehr, als jetzt, nach all den Mühen des Herzens und all dem Sinnen und Ringen?"

Und:

"Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken!"

Um wie viel leichter ist es uns nun geworden, die Ruhe der Kindheit, die Kindheit in der erhabenen Sternenwelt zu denken - "in liebender Betrachtung".

1947 wurden sogenannte "Globule" als Sternentstehungsgebiete vermutet, 1990 wurde diese Vermutung empirisch bestätigt

Fahren wir also fort. Wir lesen über den Orionnebel (Wiki):

Anfang der 1990er Jahre gelang es durch hochaufgelöste Aufnahmen des Hubble-Weltraumteleskops, eine Vielzahl in Entstehung begriffener Sterne anhand ihrer zirkumstellaren Scheibe (Proplyd) zu identifizieren. Der Orionnebel selbst war vermutlich noch vor 50.000 Jahren nicht sichtbar, da die jungen O- und B-Sterne von der Molekülwolke umschlossen waren.

Vor 50.000 Jahren. Genauer gesagt, heißen die Geburtsstätten der Sterne übrigens "Globule" (Wiki). Über sie lesen wir (Wiki):

Die dichten Nebelregionen, die die Sterne enthalten, sind oft als Schatten vor dem Rest des ionisierten Nebels zu sehen. Diese Dunklen Flecke nennt man Globule (engl. Bok globules), nach dem Astronom Bart Bok, welcher in den 1940ern (1947) vorschlug, daß sie Geburtsstätten von Sternen sind.  Boks Hypothese wurde 1990 bestätigt, als Infrarotbeobachtungen den dicken Staub durchdrangen und junge Sterne offenbarten. Heute nimmt man an, dass ein Bok Globule etwa die zehnfache Masse der Sonne besitzt, welche sich auf einen Durchmesser von ungefähr einem Lichtjahr verteilt. Meistens entsteht aus ihm eine Formation aus einem Doppel- oder Mehrfachsternensystem.

Nur durch Infrarotbeobachtungen können wir in die Kinderstube der Sterne blicken. Nur durch sie. Das macht uns auch Professor Ralf Klessen klar (4). Und von seinem Heidelberger Kollegen, dem Astrophysiker Philipp Girichidis, erfahren wir, daß diese Dunkelwolken - im Gegensatz zu dem heißen sonstigen interstellaren Medium - "eiseskalt" sind, so kalt, daß sie fast den absoluten Nullpunkt erreichen. Denn nur Kinderstuben, die so eiskalt sind, können aus sich neue junge Sterne gebären (5). Aber zunächst lesen wir weiter (Wiki):

In den 1940er Jahren beobachtete Bok in der Milchstraße zum ersten mal kleine, dunkle Wolken von dichtem kosmischen Staub und Gas, die später als Bok Globule bekannt geworden sind. In einer Studie, die 1947 veröffentlicht wurde, vermuteten Bok und E. F. Reilly, daß diese Wolken "ähnlich den Kokon's der Insekten" einen Gravitationskollaps durchlaufen, in dem sich neue Sterne und Sternhaufen formen. Diese Hypothese war sehr schwer zu verifizieren, weil es Schwierigkeiten in der Beobachtung gab, um herauszubekommen, was innerhalb einer dichten, dunklen Wolke, die alles sichtbare Licht, das innerhalb derselben abgestrahlt wurde, verdunkelte, geschah. Aber nach dem Tod von Bok wurden seine Ideen bestätigt, als 1990 Analysen von Beobachtungen im Nahinfrarotbereich bestätigten, daß Sterne innerhalb der Bok Globule geboren wurden.
In the 1940s, Bok first observed small, dark clouds of dense cosmic dust and gas which would later become known as Bok globules in the Milky Way. In a paper published in 1947, Bok and E.F. Reilly hypothesized that these clouds were "similar to insect's cocoons" that were undergoing gravitational collapse to form new stars and star clusters. This hypothesis was difficult to verify due to the observational difficulties of establishing what was happening inside a dense dark cloud that obscured all visible light emitted from within it, but after Bok's death his ideas were confirmed when analyses of near infrared observations published in 1990 confirmed that stars were being born inside Bok globules.

Der Aufsatz von 1947 wurde eingeleitet mit den Worten (2):

In den letzten Jahren haben mehrere Autoren die Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit der Entstehung von Sternen in Kondensationen im interstellaren Medium gelenkt. Es ist deshalb notwendig, nach Hinweisen für das Vorhandensein von relativ kleinen, dunklen Gaswolken in unserer Milchstraße zu suchen, denn diese repräsentieren womöglich das evolutionäre Stadium, das der Entstehung eines Sterns voraus geht.
Original: In recent years several authors have drawn attention to the possibility of the formation of stars from condensations in the interstellar medium. It is therefore necessary to survey the evidence for the presence in our galaxy of relatively small dark nebulae, since these probably represent the evolutionary stage just preceding the formation of a star. 

Die geradezu philosophische Formulierung "ähnlich den Kokon's der Insekten" ("similar to insect's cocoons"), die wir in dieser Studie suchen, weil sie mit dieser Herkunftsangabe in dem zitierten Wikipedia-Artikel enthalten war, finden wir in ihm allerdings so schnell nicht. Vielleicht stammt sie von woanders.

Unsere Existenz - Sie hing an dem seidenen Faden einer "Jeans-Länge"

Wenn wir nun versuchen, noch weiter zurück zu gehen zu den Ursprüngen der Sternenentwicklung, so werden wir über die sogenannte Jeans-Masse (Wiki) belehrt, benannt nach dem britischen Astrophysiker James Jeans (1877-1946) (Wiki, engl). Von diesem hatten wir schon zuvor gehört. Er war seinen Zeitgenossen durch interessante philosophischen Deutungen des physikalischen Weltbildes bekannt geworden, über die damals auch in der deutschen Wissenschaftspresse berichtet wurde. Wir lesen über "Molekülwolken" (Wiki):

Unter irdischen Bedingungen breiten sich Gase aufgrund der kinetischen Energie der Moleküle und ihrer damit verbundenen Kollisionen in dem zur Verfügung stehenden Raum gleichmäßig aus. Im freien Weltall dagegen werden größere Ansammlungen von Gasen durch ihre Schwerkraft zusammengehalten und sind deswegen räumlich begrenzt. Nach Überschreiten der Jeans-Masse zieht sich die Wolke immer weiter zusammen, bis ein neuer Gleichgewichtszustand erreicht wird (Sternentstehung).

Die Jeans-Masse hatte James Jeans aus der Jeans-Länge berechnet (Wiki):

Eine von Jeans' Hauptentdeckungen, benannt Jeans-Länge, ist ein kritischer Radius von interstellaren Wolken im Weltraum. Die Jeans-Länge hängt ab von der Temperatur und der Dichte der Wolke, sowie der Masse der Teilchen, aus denen die Wolke besteht. In einer Wolke, die kleiner ist als ihre Jeans-Länge, wirkt nicht genügend Gravitationskraft, um größer zu sein als die abstoßenden Kräfte des Gasdruckes und um deshalb kondensieren zu können, um dadurch einen Stern bilden zu können, während eine Wolke, die größer ist als ihre Jeans-Länge, kollabieren wird.
One of Jeans' major discoveries, named Jeans length, is a critical radius of an interstellar cloud in space. It depends on the temperature, and density of the cloud, and the mass of the particles composing the cloud. A cloud that is smaller than its Jeans length will not have sufficient gravity to overcome the repulsive gas pressure forces and condense to form a star, whereas a cloud that is larger than its Jeans length will collapse.

Mensch, der Du ins Weltall blickst: Alles nur Gas. Langsam sich formendes, langsam sich bewegendes, langsam sich wandelndes Gas, vielmehr: Gasgemische. Oft nur sehr dünn verteilt, kaum zu sehen. Ob jene Elemente, die dich später formten, sich überhaupt bilden konnten - all das hing damals - unter anderem - ab von der Jeans-Länge jener Wolke, in der sich zunächst Wasserstoff, Helium und Lithium, später schwerere Elemente gasförmig bewegten und waberten. An einem so seidenen Faden hing deine Existenz. Sie hing an einer Jeans-Länge.

Diese Molekülwolken sind jedenfalls die Vorstadien der Globule, von denen zuvor die Rede gewesen war, die in ihrer Bedeutung als Kinderstuben der Sterne 1946 erahnt, theoretisch vorausgesagt worden waren, die empirisch aber erst 1990 durch Nahinfrarotbeobachtungen als solche nachgewiesen werden konnten. Wir lesen (Wiki):

Die Periode der Kontraktion dauert insgesamt etwa 10 bis 15 Millionen Jahre.

Das ist - gemessen in astronomischen Zeiten - eine vergleichsweise kurze Zeit. Es ist die Zeitspanne eines durchschnittlichen Erdzeitalters. In einem solchen Erdzeitalter also bilden sich auch junge Sterne. Ist das nicht bewegend, faszinierend? Ein solches "Rhythmus-Gefühl" für Sternentstehung bekommen zu können? Wir lesen dann über eine Entdeckung des japanischen Astrophysikers Chushiro Hayashi (1920-2010)(Wiki):

Hayashi entwickelte die ersten Modelle sich zusammenziehender junger Sterne, in einem Stadium noch bevor sie die Hauptreihe des Hertzsprung-Russell-Diagramms erreicht haben. Nach ihm ist die Hayashi-Linie benannt. 

Das so wichtige "Hertzsprung-Russell-Diagramm" wird einem von Professor Ralf Klessen recht gut erklärt (4). Wir lesen weiter (Wiki):

Die Hayashi-Linie spielt eine wichtige Rolle bei der Sternentstehung. Betrachtet man die Entwicklung der kollabierenden Materie, aus der der Stern entsteht, im Farben-Helligkeits-Diagramm, so nähert sich diese der Hayashi-Linie von rechts. Der Kollaps der Wolke im freien Fall ist bei Erreichen der Hayashi-Linie beendet. Dieser Zeitpunkt kann also in gewissem Sinne als Geburtsstunde des Sternes angesehen werden. Die weitere Entwicklung des Sterns verläuft entlang der Hayashi-Linie nach unten, d. h., bei gleichbleibender Oberflächentemperatur verringert sich durch die Kontraktion die Oberfläche und somit auch die Leuchtkraft.

Die betreffende Arbeit erschien im Jahr 1961 (3). Es heißt darüber (Wiki):

Seine vielleicht berühmteste Arbeit war die astrophysikalische Berechnung, die zu der Hayashi-Linie der Sternenentstehung führte, und zu der Hayashi-Grenze, die eine Begrenzung des Sternenradius festlegt.
Probably his most famous work was the astrophysical calculations that led to the Hayashi tracks of star formation, and the Hayashi limit that puts a limit on star radius.

Und (Wiki):

Bei der weiteren Kontraktion der Globulen nimmt die Dichte zu und wegen der freiwerdenden Gravitationsenergie (wie des damit erhöhten Gravitationsdrucks) steigt die Temperatur weiter an (Virialsatz; die kinetische Energie der Teilchen entspricht der Temperatur). Der freie Kollaps kommt zum Stillstand, wenn die Wolke im Farben-Helligkeits-Diagramm die so genannte Hayashi-Linie erreicht, die das Gebiet abgrenzt, innerhalb dessen überhaupt stabile Sterne möglich sind. Danach bewegt sich der Stern im Farben-Helligkeits-Diagramm zunächst entlang dieser Hayashi-Linie, bevor er sich auf die Hauptreihe zubewegt, wo das sogenannte Wasserstoffbrennen einsetzt, das heißt die stellare Kernfusion von Wasserstoff zu Helium durch den Bethe-Weizsäcker-Zyklus oder die Proton-Proton-Reaktion. Als Folge des Drehimpulses der Globule bildet sich eine Scheibe aus, die den jungen Stern umkreist, und aus der er weiter Masse akkretiert. Aus dieser Akkretionsscheibe können ein oder mehrere Sterne sowie Planeten entstehen. Diese Phase der Sternentwicklung ist jedoch bisher noch nicht so gut verstanden. Aus der Ebene der Scheibe wird die Ekliptik. Bei der Akkretion aus der Scheibe bilden sich auch in beide Richtungen der Polachsen Materie-Jets (siehe Bild), die eine Länge von über 10 Lichtjahren erreichen können.

Im folgenden Astronomischen Kurzvortrag von Professor Ralf Klessen ist nun zusätzlich zu dem bis hier von uns Zusammengetragenen noch zu erfahren (4) (1'50): Im  Sternbild des Orion befinden sich riesige Molekülwolken aus molekularem Wasserstoff, die viele hunderttausende von Sonnenmassen schwer sind, und die sich über 50 bis 60 Lichtjahre hinweg erstrecken. Im "Schwertbereich" des Sternbilds Orion befindet sich nun ein Sternentstehungsgebiet mit etwa 2000 jungen Sternen. All das kann man nur im Infrarot-Wellenbereich des Lichtes sehen (4).
 



Sterne bilden sich niemals allein, so erfahren wir von Ralph Klessen. Sie sind sehr "gesellig", sie bilden sich in Grüppchen, Haufen und Superhaufen. Die 2000 jungen Sterne im Schwertbereich des Orion sind etwa 1 Million Jahre alt. Also schon zur Zeit unseres Vorfahren, des Homo habilis hat es sie nicht in dieser Form gegeben. Der zentrale Stern Zeta 1c Orionis ist nun so massereich und strahlt so hell, daß er es schafft, das umgebende Gas zu ionisieren, das heißt, Proton und Elektron in den Wasserstoff-Atomen zu trennen und damit eine heiße Blase ionisierten Gases zu schaffen, mit dem er sozusagen eine "Höhle" in das dahinter liegende (nicht ionisierte) Gas hinein brennt. Diese Ionisierung beeinflußt auch "Gasklumpen", die in diesem Bereich schon vorhanden sind (4'15). Wenn man an diese "Gasklumpen" nun aber näher heran "zoomt", sieht man Scheiben um einen jungen Stern herum, Scheiben aus Gas und Staub, aus deren einer auch unser eigenes Sonnen- und Planetensystem entstanden ist. Klessen:

"Das heißt, die Bildung von Sternen ist eng verkoppelt mit der Bildung von Planeten und Planetensystemen."

8'07 (4): Molekülwolken sind hochgradig inhomogen. Sterne bilden sich in den dichtesten und kältesten Teilen der Wolke. Man könnte nun meinen, die Graviationskräfte innerhalb dieser Wolke wirken dahingehend, daß sich die ganze Wolke zu einem einzigen riesigen Stern zusammen ballt. Ob dies geschieht, hängt von der Schnelligkeit ab, mit der sich einzelne ,kleinere Regionen im Verhältnis zur Gesamtregion zusammen ballen. Überschall-Turbulenzen bewirken dabei nämlich komplexe Dichtestrukturen, die Schwereanziehung überwindet den Gasdruck dann nur in bestimmten Bereichen. Und zwar in einigen Bereichen früher als in anderen. Dadurch fragmentiert sich das gesamte Wolkengebiet und bildet Haufen, aus denen dann jeweils einzelne Sterne entstehen. Da diese Sterne aber über Materieflüsse innerhalb der Wolke noch miteinander im Austausch stehen, ist der Prozeß bis zu diesem Zeitpunkt sozusagen immer noch "turbulent", einzelne Massepunkte entziehen anderen Massepunkten die Materie. Wenn aber dann der zentrale Stern dieses Sternentstehungsgebietes - in dem hier behandelten Beispiel Zeta 1c Orionis - so massereich geworden ist, daß er ionisierende Strahlung aussenden kann, fegt er seine Umgebung und auch die Umgebung der ihn umgebenden etwa 2000 Sterne von Staub und Molekülwolken frei, so daß im wesentlichen kein kontinuierlicher Austausch von Materie mehr zwischen ihnen stattfinden kann und sich nun jeder Stern für sich weiter entwickelt und in aller Pracht und Herrlichkeit erstrahlen kann.

So lautet also die moderne Sternentstehungstheorie. Und zwar scheint das der Stand der Erkenntnisse des Jahres 2011 gewesen zu sein. 

Geburt der Sterne nur dicht am absoluten Temperatur-Nullpunkt

Im Jahr 2020 referiert wiederum ein Wissenschaftler der Universität Heidelberg, Philipp Girichidis, schon sehr viel konkretere Vorstellungen zu diesem Sternentstehungsprozeß (5).

Aber zunächst sei noch festgehalten: Die Sternentstehungsrate nimmt im Laufe des Bestehens einer Galaxie ab. Und die Sternentstehungsrate wird deutlich erhöht, wenn zwei Galaxien miteinander zusammen stoßen (5). Vermutlich deshalb, weil es einfach mehr Turbulenzen und damit mehr Materie-Ungleichgewichte gibt. Die dunklen Regionen in einer Galaxie, die Staubwolken, die man in jeder Galaxie sieht ,das sind nun die Sternentstehungszentren (6). Sie unterscheiden sich in entscheidenden Merkmalen von dem übrigen interstellaren Raum innerhalb einer Galaxie.

Teile der interstellaren Materie innerhalb von Galaxien sind nämlich im Allgemeinen vom Molekularen Dichtegrad her gesehen sehr dünn. Sie sind gleichzeit auch sehr, sehr heiß, nämlich mehrere hunderttausend oder mehrere hundert Millionen Grad heiß. Sie werden aufgeheizt von Sternen, sehr heißen Sternen und von Supernovi. Andere Regionen einer Galaxie hingegen, nämlich die dunklen Molekülwolken, stehen von der Temperatur her gesehen im größtmöglichen Gegensatz zu diesem dünnen, interstellaren Medium. Ihre Temperatur beträgt nämlich Minus 250 Grad Celsius, bewegt sich also dicht am absoluten Nullpunkt. Es sind das damit zugleich auch die kältesten Regionen in der Galaxie. Und ist sogar deshalb so, obwohl dort die Atome viel dichter gepackt sind. Das liegt daran, daß die Atome im dünnen interstellaren Medium sich sehr schnell bewegen, aber trotzdem nur sehr selten mit anderen Atomen zusammen stoßen. Deshalb können sie jene Strahlung, die bei Zusammenstößen abgegeben wird, gar nicht abgeben und bleiben heiß. Wenn die Atome aber dichter gepackt sind aufgrund von Gravitationskräften, stoßen sie viel häufiger zusammen und geben dabei Strahlung (Wärme) ab, die die Galaxie verläßt. Deshalb ist es in Molekülwolken so eiseskalt (6). Dieser Vorgang wird von der Wissenschaft "Strahlungskühlen" genannt.

Nur weil in diesen Molekülwolken der thermische Druck in Form von Temperatur so niedrig ist, nur deshalb kann es dort zu Sternentstehungen kommen (6). Nur dort herrschen dafür die idealen Voraussetzungen. Das heißt, die Kinderstube der Sterne muß nahe am absoluten Nullpunkt kalt sein.

Das "Herausperlen" neuer Sterne aus eiskalten, turbulenten Materie-Filmanenten in allen Armen einer Muttergalaxie

Aber diese dunklen Molekülwolken können auch voller Turbulenzen sein (6) (14'00):

"Starke Explosionen durch Supernovi durchmischen das Gas."

Außerdem dreht sich die ganze Galaxie, wodurch die Molekülwolken ebenfalls in Bewegung bleiben, in Turbulenzen kommen. In filamentartigen Strukturen, Armen dieser Turbulenzen, obsiegt nun in allen Teilen der Galaxie immer wieder die vor Ort wirkende Gravitation der dort vorliegenden Molekülmassen gegenüber dem dort ebenfalls vorliegenden thermischen Druck der Molekülwolke. Und dieser zufällige "Sieg" der Gravitation gegenüber dem thermischen Ausdruck der Gaswolke, dieser Sieg bewirkt das Entstehen der Sterne.

Ab 15'57 (6) sieht man in einem geradezu "bezaubernden" Modell, wie aus turbulenten Materie-Strömungen, wo die Gravitation jeweils nur punktuell gegenüber dem thermischen Druck "gewinnt", Sterne entstehen. Was für ein Geschehen. Es wird erkennbar, daß die oben schon genannten Überschall-Turbulenzen tatsächlich notwendig sind, um aus den dabei verwirbelten Materieströmen sich eine Fülle von Proto-Sternen heraus "kristallisieren" zu lassen, geradezu wie an einer Schnur entlang "herausperlen" zu lassen (wie Bläschen aus dem Wasser heraus), wie die Materieströme die jungen Sterne aus sich selbst heraus "sprühen" zu lassen. Welch ein aufregender Geburtsvorgang! Wenn sich denn diese Simulationen wirklich an den eigentlichen Beobachtungen bewähren sollten, was offenbar noch nicht ganz sicher zu sein scheint.

Aber gäbe es dann irgend etwas Richtungweisendes, Neues im Universum, das ohne "Erhabenheit", ohne "sprühende" Schönheit geschieht? So wie hier? Dieses "Herausperlen" von Sonnen aus tief kalten, verwirbelten Materieströmen, dieses "Herausperlen" von Planetensystemen aus diesen tiefkalten, turbulenten Materieströmen - ist dies nicht voller wirbelnder, sprühender Schönheit? Voller wirbelnder Freude? Werden Sterne hier nicht wie in einem wirbelnden Strom von Freude geboren? Wirft die Galaxie nicht aus sich in unterschiedlichen Strömungsarmen, Filamenten Sterne aus sich selbst heraus hinaus in die Existenz, geradezu wie in Übermut und Freude? Wurden einstmals womöglich auch "wir" so geboren? Wir "Kinder des Weltalls"? Mit unserem Sonnen- und Planetensystem? Vor 4,7 Milliarden Jahren? Welche Freude, auf solche Weise von einer herrlich sich drehenden Muttergalaxie heraus in die Existenz gewirbelt worden zu sein, hinaus geworfen zu sein in die Existenz. Danke, Weltall, daß Du nicht "langweilig" bist, daß Du das in solcher Herrlichkeit tust. Daß Du uns nicht armselig und glücklos, "unmutig" und gelangweilt in die Welt hinaus geworfen hast. Weltall - wie bist Du herrlich.

In den jungen, neuen Sternhaufen kommt es dann dabei zu ganz komplizierten, wirbelnden Bewegungen der jungen Sterne zueinander. All das geschieht innerhalb von 30.000 Jahren. Der Geburtsvorgang einer solchen Sternengruppe von mehreren hundert oder tausend Sternen, so kann gesagt werden, dauert also nicht nur ungefähr so lang wie eine Erdepoche (so wie oben gesagt) von 10 bis 20 Millionen Jahren, nein er dauerte so lang, bis sich der archaische Homo sapiens aus sich selbst heraus zum anatomisch modernen Homo sapiens entwickelte oder bis sich der Mensch der Eiszeit im Vorderen Orient aus sich selbst heraus - in Glück und Freude, in Übermut und Lachen - zum seßhaften, Ackerbau treibenden Menschen weiter entwickelte.

Die hier vorgelegte Sternentstehungstheorie (6) läßt es auch erst verständlich erscheinen, weshalb Sterne niemals - oder selten - einzeln und allein für sich, quasi als "Einzelkinder" geboren werden, weshalb sie fast immer in glückliche, freudesprühende Sternenfamilien hineingeboren werden wie der Sternfamilie der Plejaden, wie der Sternfamilie der Gürtel- und Schwertsterne des Orions. Mit vielen anderen Kindern gemeinsam werden sie geboren und nicht gar zu selten dabei sich herum gruppierend um einen zentralen "Mutterstern", bzw. sich herum gruppierend um die "älteste" "Schwester" all dieser Sternen-Kinder (oder auch um den "ältesten" "Bruder"). Die größten der Geschwister sorgen dann für sich und alle anderen, indem sie sie ihrer Hülle entledigen.

In diesen turbulenten Materiefilamenten eines Arms einer Spiralgalaxie werden nämlich nun gleichzeitig auch noch Sterne ganz unterschiedlicher Größe geboren. Es entsteht eine große Vielfalt unterschiedlicher "Sternpersönlichkeiten".

Wir brechen an dieser Stelle erst einmal ab. Um Atem zu schöpfen vor diesen bezaubernden Vorgängen am Sternenhimmel. Wir werden die Ausführungen dieses Blogartikels noch fortsetzen. Uns interessieren zum einen insbesondere die Rhythmen der Sternenentstehung in ihren zeitlichen Abläufen. Zum zweiten wüßten wir gerne ganz konkret um jene Vorgänge, die unsere eigene "Lokale Blase" schufen, bzw. das Lebensschicksal dieser Lokalen Blase in den letzten 4,7 Milliarden Jahren gestalteten. Vielleicht bekommen wir über solche Dinge noch einiges heraus.

Weltall, du bist herrlich. Danke für Deine Existenz, für Deine blühende, funkelnde, strahlende, leuchtende, erhabene Existenz.

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*) Vorlesungsmitschriften aus einer Ringvorlesung im Rahmen des "Studium generale" der Universität Wikihausen, Fachbereich Astrophysik.
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  1. Bading, Ingo: Wir sind Sternenstaub - Das Entstehen der chemischen Elemente in den Sternen - Ein Ausflug in die Wissenschaftsgeschichte, ein Vortrag, um zu verstehen, wie unsere Welt "tickt ... 20.12.2020 (Yt
  2. Bok, Bart J.; Reilly, Edith F.: "Small Dark Nebulae", Astrophysical Journal, 105: 255, March 1947 
  3. Hayashi, C. (1961). "Stellar evolution in early phases of gravitational contraction". Publications of the Astronomical Society of Japan. 13: 450–452 
  4. Klessen, Ralf: Wie entsteht ein Stern? Uni(versum) für alle! Astronomische Kurzvorträge der Universität Heidelberg, 2011, https://youtu.be/g3XJpgzhtwg
  5. Girichidis, Philipp: Entstehung von Sternen. Babelsberger Sternennächte. November 2020, https://youtu.be/nqtbZVbws88
  6. Hahn, Hermann-Michael: Sternentstehung in der Milchstraße. Die Geburtenrate von Sternen. Sternzeit, Deutschlandradio, 10.02.2019, https://youtu.be/Dk0sU_yQ-yA

Sonntag, 20. Dezember 2020

Wir sind Sternenstaub

Das Entstehen der chemischen Elemente in den Sternen

"Geheimnisse der Welt des unsichtbar Kleinsten", so lautet das zweite Kapitel des Buches "Der Siegeszug der Physik" von Mathilde Ludendorff, das im Frühjahr 1941 entstanden ist. Am Ende dieses Kapitels wird über die Frage des Werdens der Elemente das folgende ausgeführt (1, S. 61):

Die Physik, die das Zerfallen der schwersten Elemente in leichtere, wie wir noch sehen werden, beobachtet, ja künstlich hervorruft, und die auch annimmt, daß Wasserstoff das erste der Elemente war, kann uns nicht sagen, welche Kraft denn aber das Werden der schweren Elemente aus dem leichtesten auslöste!

Ein solcher Satz macht zweierlei deutlich: Erstens wie dicht am jeweiligen aktuellen Forschungsstand entlang sich Mathilde Ludendorff in ihrem Philosophieren bewegte, zweitens aber auch wie viel sie noch gar nicht wußte, wissen konnte von dem, was wir heute wissen. Aus dem wissenschaftsgeschichtlichen Rückblick wissen wir, daß die hier gestellte Frage im Jahr 1957 im Wesentlichen geklärt worden war (2-4).

 


Es könnte nun gefragt werden, ob dieser Umstand von Seiten von Mathilde Ludendorff oder von Wissenschafts-Interessierten in ihrem Umfeld in den 1950er oder 1960er Jahren irgendwo noch einmal behandelt - und vielleicht auch in Bezug zu ihrer philosophischen Deutung - gestellt worden ist.

Wie "tickt" unsere Welt?

Abb. 1: Fred Hoyle (aus: 2)

Schauen wir uns aber, um hier die Zusammenhänge zu verstehen, die zugehörigen Details aus der Wissenschaftsgeschichte zu diesem Thema noch etwas genauer an. (Diesen Blogbeitrag gibt es auch als Videovortrag [12].)

Im folgenden also ein Ausflug in die Wissenschaftsgeschichte, wobei wir sehr schnell merken, daß wir uns hier in einem Bereich bewegen, mit dem zu beschäftigen sogar dazu dienen kann zu verstehen, wie unsere Welt insgesamt "tickt". Denn schon das Entstehen der Elemente zu erklären, erfordert so viel Abstraktion, ist mit so viel Unanschaulichkeit verbunden, daß man das Thema vielleicht sehr gut als "Einführung" in die moderne Physik überhaupt nutzen kann, als Hinführung zu den noch viel unanschaulicheren Themen.

Es wird schon an einem solchen simplen Thema deutlich, wie "Theorie-belastet" moderne, menschliche Erkenntnissuche sein kann. Diesen Umstand zu benennen und zu erläutern, dürfte heute immer noch - oder auch: heute wieder besonders - sehr notwendig sein.

Denn das, auf was wir hier stoßen, ist die Art wie unsere moderne Welt "tickt". Und zwar sowohl einerseits von ihren Erkenntnis-Möglichkeiten her, wie zum zweiten von den gewonnenen Erkenntnissen her und schließlich auch zum dritten von den Anwendungen her, die aus diesen Erkenntnissen dann abgeleitet werden, seien sie nun technischer Art oder handele es sich um "Anwendungen" dahingehend, wie wir von diesen Erkenntnissen her unser Weltbild und unsere Moral, also schlicht unser Leben und Alltagsleben "formen" lassen.

Wir sind also hier dicht an dem zu verstehen, wie unsere Welt im Innersten "tickt". Wir bewegen uns nicht mehr in Äußerlichkeiten.  Ob wir es nun gerne so haben, daß unsere Welt so und nicht anders - also durch die Köpfe von Wissenschaftlern hindurchgehend - "tickt" oder nicht. Sich jedenfalls persönlich mit diesem "Ticken" unserer Welt in Verbindung zu setzen, dürfte jedem Einzelmenschen und auch ganzen Gesellschaften jenen Energieschub geben, der notwendig ist, um sich im gesellschaftlichen Diskurs so zu positionieren, um gesellschaftliche Diskurse so sich ausformen zu lassen, daß die beteiligten Gesellschaften dabei zukunftsbereit, zukunftsoffen und zukunftsfähig sind, bleiben - oder auch überhaupt erst einmal: werden. 

Wie sind die chemischen Elemente entstanden?

Nach solchen grundlegenderen Worten wieder zurück zum eigentlichen Thema: Es war vor allem der britische Astrophysiker Fred Hoyle (1915-2001) (Wiki), der den Gedanken aufbrachte, daß die schwereren Elemente dadurch entstanden sind, daß sie im Innern von Sternen "zusammen gebacken" werden (Wiki):

Eine Hypothese zum Ursprung der schweren Elemente schlug Fred Hoyle vor. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1946, die er 1954 erweiterte, schlug er vor, daß alle Atomkerne, die schwerer als Lithium sind, in Sternen synthetisiert wurden.
Original: Fred Hoyle offered a hypothesis for the origin of heavy elements. Beginning with a paper in 1946, and expanded upon in 1954, Hoyle proposed that all atomic nuclei heavier than lithium were synthesized in stars.

In jener Zeit, in der auch das Modell vom Urknall immer mehr Anerkennung in der Wissenschaft erfuhr, gab es durchaus auch noch andere Theorien zur Entstehung der schweren Elemente. So unter anderem von Seiten des Atomphysikers George Gamow. Der britische Wissenschaftsjournalist Marcus Chown hat darüber ein Buch geschrieben, das 2004 auch ins Deutsche übersetzt wurde (10). Darüber erfahren wir (11):

Wie Marcus Chown schreibt, hatte sich der Astronom Fred Hoyle schon im Jahr 1945 der Ansicht angeschlossen, daß die Sterne vor Zeiten die Hochöfen waren, in denen die Atome hergestellt wurden.

Was in einem Astronomischen Kurzvortrag der Universität Heidelberg recht gut erklärt wird (5), kann auch noch einmal in folgenden Worten wiedergegeben werden (2):

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es schon recht verbreitet, die Anfänge des Universums als eine Expansion aus einem sehr dichten Stadium heraus anzunehmen. Aber die Versuche, die Elemente aus dieser Situation heraus entstehen zu lassen, die das ursprüngliche Ziel waren, erwiesen sich als erfolglos; sie versandeten allmählich. 1946 änderte Hoyle das Nukleosynthese-Paradigma, indem er zeigte, daß das Innere von evoluierten, massereichen Sternen eventuell sehr hohe Temperaturen und Dichten sollte erreichen können. In dieser Situation könnte die natürliche Dominanz von Eisen in dem Eisenanteil-Spitzenwert verstanden werden als die Konsequenz eines statistischen Gleichgewichts, vorausgesetzt daß ein geeignetes Verhältnis von Neutronen und Protonen gewählt wurde. (...) Wenn die Explosion des Sterns erfolgte, könnte das interstellare Gas mit Eisen angereichert worden sein. Diese Arbeit verschob die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Nukleosynthese von Atomkernen hin zu den Sternen. Sie schuf das Arbeitsgebiet der galaktischen chemischen Evolution.
Original: After World War II, it was already popular to envision the beginnings of the universe as an expansion from a very dense state. But attempts to create the elements in that setting, which was the initial goal, were unsuccessful; so the picture languished. Hoyle changed the nucleosynthesis paradigm in 1946 by showing that the interiors of evolved massive stars should eventually reach very high temperature and density. In that setting, the natural dominance of iron in the iron abundance peak could be understood as a consequence of statistical equilibrium, provided the neutron/proton ratio was properly chosen. (...) If explosive disruption of the star followed, the interstellar gas would be enriched in iron. This paper shifted attention to nucleosynthesis in the stars and created the field of galactic chemical evolution.

Und weiterhin ist dazu zu erfahren (Wiki):

Thermonukleare Kernfusionsreaktionen hängen sehr stark von der Temperatur im Inneren des Sterns ab. Daher bestimmt die Masse des Sterns, in welchem Maß die schwereren Elemente im Laufe des Sternenlebens gebrannt werden können. Leichtere Sterne kommen durch den geringeren Druck im Inneren oft über das Heliumbrennen nicht hinaus, Sterne wie unsere Sonne produzieren hauptsächlich die leichteren Elemente bis zum Kohlenstoff, während Sterne, die deutlich schwerer sind als die Sonne, sämtliche Elemente bis hin zum Eisen erzeugen können. Hier endet die positive Energiebilanz der Fusionsreaktionen. Der innere Kern solcher Riesensterne besteht dann aus Eisen, ihm folgen die anderen Elemente in Schichten nach außen, ein Wasserstoff-Helium-Gemisch bildet die äußerste Schicht.  
Daß Sterne in ihrem Aufbau zuletzt einem Zwiebelschalenmuster entsprechen, erkannte in den 1940er Jahren Fred Hoyle. Seine Berechnungen zeigten, daß Sterne mit der fortschreitenden Aufzehrung ihres nuklearen Brennstoffs in ihrem Aufbau zunehmend uneinheitlicher werden und daß dies wieder höhere Temperaturen und Dichten in ihrem Inneren bedingt. Das Modell stimmt überraschend gut mit den gemessenen Elementhäufigkeiten im Universum überein. Wie oft sich der Zyklus aus Kontraktion, Aufheizung und Entzündung neuen, schwereren Brennstoffs wiederholt, hängt nur von der Masse des Sterns ab. Die Sternentwicklung treibt die Nukleosynthese an, und gleichzeitig treibt die Nukleosynthese wieder die Sternentwicklung. 

Und noch genauer (Wiki):

Schwerere Sterne können einen höheren Gravitationsdruck aufbauen, was die Fusion von schwereren Elementen bis zur Massenzahl 60 ermöglicht. Im Zentrum von Sternen ab 0,4 Sonnenmassen wird nach dem Wasserstoffbrennen zunächst die Kernreaktion von Helium zu Kohlenstoff möglich. Ab 0,7 Sonnenmassen wird die Kohlenstoff-Fusion, bei der je zwei Kohlenstoff-Atome zu Neon, Helium oder Natrium und Protonen sowie Magnesium und Protonen oder Neutronen fusionieren, möglich. Nach Wasserstoff und Helium sind daher die Elemente Kohlenstoff, Neon, Natrium und Magnesium die nächst häufigsten Grundstoffe im Universum, gefolgt von den Elementen Sauerstoff, Silicium, Phosphor und Schwefel. Im Zuge des Heliumbrennens entsteht auch Sauerstoff. Ab etwa 1,4 Milliarden Kelvin verschmelzen je zwei Sauerstoff-Atomkerne (unter Abgabe von Helium, Wasserstoff, Protonen und Neutronen) zu Silicium-28, Phosphor-31 oder den beiden Schwefelisotopen Schwefel-31 und -32, unter Umständen auch zu Chlor und Argon. Beteigeuze, der rote Schulterstern im Sternbild Orion, ist vermutlich ebenso ein solcher Stern wie Antares, der tiefrot strahlende Hauptstern im Skorpion. Beide gehören zur Kategorie Roter Riese, haben fast allen Wasserstoff verbraucht und das Heliumbrennen begonnen. Ein solcher Stern rußt: Kohlenstoff wird in ihm gebildet, und Ruß wird auch durch den Sternenwind aus ihm freigesetzt. 

Daß das Element Kohlenstoff zu den häufigsten chemischen Elementen in diesem Universum gehört, dürfte ein nicht ganz unwichtiger Umstand sein. 1957 veröffentlichte Fred Hoyle - zusammen mit drei weiteren Astrophysikern - eine Studie, die den damaligen Forschungsstand zusammen faßte und bis heute als ein "Landmark-Paper" gilt: "Synthesis of the Elements in Stars" ("Die Entstehung der Elemente in Sternen") (3) (Wiki). Wir erfahren (Wiki):

In einer seiner frühen Arbeiten über die Abläufe der stellaren Nukleosynthese stellte er (Fred Hoyle) fest, daß eine bestimmte Kernreaktion - der 3α-Prozess, bei dem Kohlenstoff erzeugt wird - voraussetzt, daß der Kohlenstoff-Kern dafür ein sehr spezifisches Energieniveau besitzen muß. Basierend darauf machte er eine Vorhersage über die Energieniveaus im Kohlenstoffkern, 1954 wurde der Hoyle-Zustand experimentell bestätigt und konnte 2011 mit JUGENE berechnet werden. 1957 verfaßte er zusammen mit Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge und William Alfred Fowler die B2FH-Theorie zur Entstehung der leichten Elemente durch Kernfusion in Sternen.

Nachdem 2011 mit "JUGENE", dem Supercomputer am Forschungszentrum Jülich, neue, vollständigere Berechnungen des instabilen Kohlenstoff-Isotops C12 hatten angestellt werden können, wurde berichtet (4):

... der sogenannte Hoyle-Zustand. Diese energiereiche Form des Kohlenstoffkerns, genauer: des Isotops C12, bildet sozusagen die alles entscheidende Zwischenstufe, um bei der Bildung der Elemente im heißen Inneren großer Sterne vom Helium zum herkömmlichen Kohlenstoff und weiter zu schwereren Elementen zu gelangen. Bereits im Jahr 1954 hat man den Hoyle-Zustand experimentell nachgewiesen, aber seine Berechnung scheiterte stets - zumindest bis heute. Diese Form des Kohlenstoffs besteht lediglich aus drei sehr lose gebundenen Heliumkernen - ein eher wolkiger diffuser Kohlenstoffkern. Und er liegt nicht einzeln vor, sondern stets zusammen mit anderen Formen von Kohlenstoff. Gäbe es den Hoyle-Zustand nicht, hätten im Weltall nur sehr wenig Kohlenstoff oder andere höhere Elemente wie Sauerstoff, Stickstoff und Eisen entstehen können.

Aus Sicht der Philosophie von Mathilde Ludendorff, in der dem Element Kohlenstoff als dem "genialsten" aller Elemente eine besondere Bedeutung zugesprochen wird, dürften all diese Forschungsergebnisse doch von großem Interesse sein. In demselben Bericht heißt es übrigens auf genau dieser Linie auch weiter (4):

Sogar philosophische Fragen sind in Zukunft möglicherweise wissenschaftlich zu beantworten. Seit Jahrzehnten gilt der Hoyle-Zustand als Paradebeispiel für die Theorie, daß die Naturkonstanten bei der Entstehung unseres Universums genauso und nicht anders aufeinander abgestimmt sein mußten, da wir sonst nicht hier wären, um das Universum zu beobachten. Man spricht hier vom anthropischen Prinzip. "Für den Hoyle-Zustand heißt das: Er muß genau diese Energie haben, die er hat, weil es uns sonst nicht gäbe", sagt Meißner. "Wir können jetzt berechnen, ob in einer veränderten Welt mit anderen Parametern der Hoyle-Zustand im Vergleich zur Masse von drei Heliumkernen tatsächlich eine andere Energie hätte." Wenn dem so ist, spräche das für das anthropische Prinzip.

Mathilde Ludendorff hat sich in einem ganz eigenen Buch mit der "Genialität" des Kohlenstoff-Atoms beschäftigt. Es wäre noch einmal zu überprüfen, ob ihr dabei die "Zentralität" des Kohlenstoff-Atoms für das Entstehen schwerer Elemente bekannt gewesen ist. Daß der Hoyle-Zustand im Rahmen des Anthropischen Prinzips eine wichtige Rolle spielt, konnte ihr noch gar nicht bekannt sein.

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  1. Ludendorff, Mathilde (Dr. med. v. Kemnitz): Der Siegeszug der Physik. Ein Triumph der Gotterkenntnis meiner Werke. Ludendorffs Verlag GmbH, München 1941 (263 Seiten) (Google Bücher) (mit einem Anhang aus dem Jahr 1955, 31 Seiten) 
  2. Clayton, D. D.: Fred Hoyle (1915–2001). Bulletin of the AAS, 33(4), 2001. Retrieved from https://baas.aas.org/pub/fred-hoyle-1915-2001.
  3. Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge, William Alfred Fowler, Fred Hoyle: Synthesis of the Elements in Stars. In: Review of Modern Physics 29. 1957, S. 547 
  4. Rätselhafter Hoyle-Zustand - Physiker lösen grundlegende Frage zur Kohlenstoff-Entstehung - Berechnungen ermöglichen damit Einblick in die gesamte Kette der Elemententstehung. In: Der Standard, Mai 2011, https://www.derstandard.at/story/1304551497349/raetselhafter-hoyle-zustand-physiker-loesen-grundlegende-frage-zur-kohlenstoff-entstehung.
  5. Lisker, Thorsten: Sind wir wirklich aus Sternenstaub gemacht? - Uni(versum) für alle! Astronomische Kurzvorträge des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg, 8.6.2011, https://youtu.be/Tkn1SC92ylM.
  6. Lorenzen, Dirk: Fred Hoyle und die Schande des Nicht-Nobelpreises. Deutschlandfunk, 24.6.2020, https://www.deutschlandfunk.de/englischer-astropyhsiker-fred-hoyle-und-die-schande-des.732.de.html 
  7. Freistetter, Florian: Fred Hoyle, ein genialer Astronom mit Hang zum Absurden, 2017, https://www.derstandard.at/story/2000059489914/fred-hoyle-ein-genialer-astronom-mit-hang-zum-absurden
  8. Schnabel, Ulrich: Unbeirrbarer Urknallrebell - Fred Hoyle. In: Die Zeit, 5. Januar 1994, https://www.zeit.de/wissen/astronomie/urknall_011994.
  9. Lambourne, Robert: Besprechung von "Home is where the wind blows" von Fred Hoyle. In: Phys. Educ., Volume 32, Number 4, 1997, https://iopscience.iop.org/article/10.1088/0031-9120/32/4/031
  10. Jentsch, Horst: Weltgeschichte zwischen Wissenschaft und Glaube. Evolution aus naturalistischer Weltsicht oder Schöpfung. BoD, 3. Aufl 2020, https://books.google.de/books?id=XN_sDwAAQBAJ.
  11. Chown, Marcus: Die Suche nach dem Ursprung der Atome. Marix-Verlag, Wiesbaden 2004
  12. Bading, Ingo: Wir sind Sternenstaub, 20.12.2020, https://youtu.be/pWWSTcGNt-c.

Werner Heisenberg als "religiöser Physiker"

Eine philosophische Aufgabe, die die Physiker des 20. Jahrhunderts nicht geleistet haben

Von all den vielen Vorträgen und Interviews, die man sich inzwischen von Werner Heisenberg im Internet anhören kann, ist es vor allem eine Radiosendung aus dem Jahr 1969, in der uns die philosophischen und religiösen Probleme rund um die Atomphysik besonders deutlich hervorzutreten scheinen (1).

 


 

Und zwar insbesondere auch deshalb, weil in dieser Sendung nicht nur ein Physiker, sondern sehr viele verschiedene Physiker zu Wort kommen und dabei auch die unterschiedlichen Haltungen zu den philosophischen und religiösen Fragen, die sich aus der Quantenphysik ergeben können, deutlich werden.

Der Sprecher dieser Sendung, der in derselben auch die Interviews mit Werner Heisenberg und anderen Physikern führt, ist einstweilen nicht bekannt. Er läßt aber sowohl philosophische wie christlich-theologische Interessen erkennen. Einmal kommt er auch auf den Papst zu sprechen. Vielleicht ist er Katholik. Aber dieser Umstand drängt sich nicht in den Vordergrund. Vielmehr läßt er alle Stimmen zu Wort kommen, auch ernstzunehmende Gegenstimmen aus dem Bereich des Atheismus. Sie können ja auch geradezu als Stachel zur Erkenntnis genutzt werden.

In dieser Sendung wurde ein Interview geführt mit Werner Heisenberg, ebenso ein kurzes mit dem Hamburger Atomphysiker Pascal Jordan. Es werden beider Aussagen einander gegenüber gestellt (bis 27'12). Es werden dann interessanterweise auch junge Physiker an der Universität Heidelberg mit den Aussagen von Heisenberg konfrontiert (27'13-33'06).  Auch am Ende der Sendung kommen einige dieser jungen Physiker noch einmal zu Wort.

Insbesondere die Reaktionen der jungen Physiker im Jahr 1969 in Heidelberg machen deutlich, daß Physiker wie Werner Heisenberg damals immer noch - oder schon wieder - eine Ausnahmestellung innegehabt haben innerhalb der Physik und daß sie diese bezüglich der philosophischen Ausdeutung der Quantenphysik bis heute letztlich auch irgendwie immer noch innehaben.

Aber die Teile der Sendung nach diesem Abschnitt sind noch aufwühlender.

Der Autor dieser Zeilen ist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr, zwischen 1985 und 1996 in immer wiederkehrender Konfrontation mit dem so selbstverständlichen Gottvertrauen eines deutschen Physikers, Biophysikers und Hochschullehrers aufgewachsen. Dieser wiederum war wissenschaftlich sozialisiert worden im Umfeld des Biophysikers Max Delbrück, einem Umfeld (in dem sich damals übrigens auch einer der Söhne von Werner Heisenberg bewegte). Dieser Biophysiker konnte dem Verfasser dieser Zeilen auch eine Fülle von naturwissenschaftlichen Sachbüchern der 1980er und 1990er Jahre empfehlen, aus denen dieses Gottvertrauen ganz ebenso herauszulesen war. So daß der Verfasser dieser Zeilen derzeit fast mit ein wenig Befremden auf die "Probleme" schaut, die in dieser Radiosendung und in Interviews mit führenden deutschen Physikern um 1969 herum behandelt worden sind (1).

Die Radiosendung scheint nicht zuletzt angestoßen worden zu sein durch das Erscheinen des Buches "Der Teil und das Ganze - Gespräche im Umkreis der Atomphysik" von Werner Heisenberg (2). 

Desinteresse einer neuen Physiker-Generation an philosophischen Fragen im Jahr 1969

Aber das ist - insbesondere im zweiten Teil der Radiosendung - ein Stottern, das ist ein "Raten", das ist ein "Meinen", das ist ein Herumtasten, daß es nur so eine Art hat. Und am Ende steht man - fast - mit leeren Händen dar. Ergebnis der Sendung ist: Eine Minderheit der Physiker aus der Gründergeneration der Quantentheorie und der Relativitätstheorie können "religiöse Physiker" genannt werden. Insbesondere fast alle der bedeutendsten und namhaftesten unter ihnen (Max Planck, Albert Einstein, Werner Heisenberg und andere). Alle anderen waren und sind - wenn es um die Physik und ihre philosophischen Schlußfolgerungen geht - sozusagen bloße "Techniker", die sich für religiöse und philosophische Fragen gar nicht interessieren. 

So ähnlich formuliert es dann auch Carl Friedrich von Weizsäcker in dieser Sendung ausdrücklich. Er war über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg der engste Mitarbeiter von Werner Heisenberg (1). von Weizsäcker wird von dem Interviewer nun interessanterweise konfrontiert mit der Aussage des damaligen atheistischen DDR-Philosophen Olof Klohr (1927-1994) (Wiki). Dieser war von 1963 bis 1969 Professor für "Religionssoziologie und wissenschaftlichen Atheismus" an der Universität Jena. Interessanterweise wurde Klohr nach 1969 sogar in der DDR aufgrund seiner Christentums-Feindlichkeit ins geistige Abseits geschoben. Ob nicht an diesem Umstand der Einfluß der monotheistischen Hintergrundmächte sogar in der DDR erkennbar wird? War die philosophische Auseinandersetzung, die Klohr führte, unerwünscht? Er hatte eine sehr interessante Beobachtung gemacht (1) (36'41):

Kirchliche Kreise berufen sich auf die Religiosität berühmter Naturwissenschaftler wie zum Beispiel Carl Friedrich von Weizsäcker, Werner Heisenberg, Pascual Jordan, Albert Einstein. Das häufig angeführte Standardbeispiel für den religiösen Naturwissenschaftler ist Max Planck. Bei näherer Überprüfung ergibt sich jedoch, daß bei keinem Naturwissenschaftler eine Einheit von Wissenschaft und Religion vorhanden ist. Denn bei keinem der angeführten Wissenschaftler ergeben sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen religiöse Schlußfolgerungen.

Das sind starke Worte. Ist man nicht unmittelbar veranlaßt zuzustimmen? Aber was für ein harter Satz. Mit einem Schlag klärt er sofort die Dinge. Der Verfasser dieser Zeilen muß ihn jedoch - mit dem oben genannten Hintergrund - auch fast mit einem Lächeln lesen. Zu ihm sagt nun Carl Friedrich von Weizsäcker etwas eigentlich sehr Wesentliches. Er sagt (38'10):

Ich finde, die Beschreibung des durchschnittlichen Zustands der Wissenschaft durch diesen Satz, den Sie hier zitieren, ist ziemlich richtig. Ich glaube allerdings, daß die Beziehung zwischen dem religiösen Empfinden und vielleicht auch Glauben der Leute, die Sie zitiert haben, und ihrer Wissenschaft, in Wirklichkeit besteht. Das klar zu machen, ist eine philosophische Aufgabe, die keiner der Wissenschaftler, die Sie genannt haben, geleistet hat.

Da wäre sofort die Frage zu stellen: Hat diese Aufgabe denn dann nun endlich der Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker geleistet? Das wird man vorderhand bezweifeln dürfen. Aber dieser Frage kann ja noch einmal nachgegangen werden. von Weizsäcker sagt etwas später über den Antrieb zum Philosophieren oder zur Auseinandersetzung mit religiösen Fragen (41:00):

Was ich jetzt meine, das ist, daß die - ich will es mal nennen: religiöse Wirklichkeit nur dort in den Blick kommt, wo der Schein einer Kohärenz, eines ungebrochenen Zusammenhangs der Wirklichkeit, der täglichen Welt zerreißt.

Dies kann bei völlig unterschiedlichen Anlässen geschehen, technische Anwendungen wie die Atombombe würden hier einen sehr konkreten Anlaß geben für ein solches Zerreißen. Aber bevor diese technische Anwendung wichtig wurde, waren es andere Anlässe, so von Weizsäcker (42:50):

Als ich anfing zu studieren, (...) standen die großen Grundsatzprobleme im Vordergrund. Und wenn jemand über die grundlegenden Fragen so nachdachte und darin so erschüttert wurde in seinen Selbstverständlichkeiten wie das in der Zeit der Entstehung der Relativitätstheorie und der Quantentheorie der Fall war, dann konnte ihm da eine religiöse Frage sehr wohl auftauchen. (...) Wenn man eine saubere Methodologie der Wissenschaft betreibt, wenn man das macht, was man heute etwa Wissenschaftstheorie nennt, dann würde ich bereit sein, die These durchzufechten - aber das geht nicht in wenig Worten - daß die Wissenschaftstheorie zu keinem anderen Resultat kommt und zu keinem anderen kommen kann, als daß schon die Möglichkeit von Erfahrung ein tiefes Rätsel ist.

An dieser Stelle würde natürlich die Evolutionäre Erkenntnistheorie einsetzen, auf die von Weizsäcker im nachfolgenden aber gar nicht rekurriert. 

Der Verfasser dieser Zeilen möchte sagen, daß er aufgewachsen ist in Konfrontation mit dem stetigen Bemühen, genau das klar zu machen und zu klären, was hier gefordert ist, nämlich der Beziehung nachzugehen zwischen dem religiösen Empfinden der Wissenschaftler und der Wissenschaft, die sie betreiben.

Bei der Klärung dieser Beziehung hat geholfen Hoimar von Ditfurth, hierbei hat geholfen die Evolutionäre Erkenntnistheorie von Konrad Lorenz, hierbei haben geholfen die Bücher von Paul Davies (z.B. "Die Urkraft"), hierbei hat geholfen Manfred Eigen ("Das Spiel"), hierbei hat geholfen Stephen Hawkings ("Eine kurze Geschichte der Zeit"). Und hierbei haben so viele andere Sachbücher, die damals gelesen wurden und zu lesen waren, geholfen. Es haben dabei vor allem auch geholfen wissenschaftlich-philosophische Aufsätze, die erschienen sind in der Zeitschrift "Die Deutsche Volkshochschule", die von dem Hintergrund dieser genannten breiten Literatur ausgehend verfaßt worden waren und die zu dieser genannten Literatur auch wieder zurück geführt haben.

Eingreifen Gottes durch die Quantenphysik?

Im vorderen Teil der Sendung waren vielleicht noch ein wenig "banalere" Dinge besprochen worden. Aber gerade auch bezüglich dieser Dinge ist es doch einmal gut, klare Worte von Werner Heisenberg zu hören. Die Quantentheorie zu benutzen, um ein "Eingreifen Gottes" in diese Welt als möglich zu erklären oder auch die Willensfreiheit des Menschen als möglich zu erklären, weist Werner Heisenberg hier entschieden und klar zurück. 

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  1. "Wir reden auch nur in Gleichnissen" (Werner Heisenberg). Gespräche mit Werner Heisenberg, Pascual Jordan, Carl Friedrich von Weizsäcker und jungen Atomphysikern. Etwa 1969, https://youtu.be/nfFnbBUkxes.
  2. Heisenberg, Werner: Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper-Verlag, München 1969.
  3. Heisenberg, Werner: Atomphysik und Philosophie. Vortrag 1967, https://youtu.be/mvLDNHQLFcg, https://youtu.be/xhNS3cJX5EU.
  4. Troschke, Harald von: Interview Werner Heisenberg. Etwa 1967, https://troschke-archiv.de/interviews/werner-heisenberg; 30.3.1968, https://youtu.be/SJSmdErgcHs, https://youtu.be/b57qe1esX4o.
  5. Egloff Schwaiger, Martin Posselt: Porträt Werner Heisenberg. Deutschland, 1968 (30 Minuten). Neu gesendet vom Bayerischen Rundfunk im Januar 2019 in der Reihe "alpha-retro" bei ARD-alpha. (Veröffentlicht auf dem Videokanal  "dete38".) 1. Teil: https://youtu.be/zio9r1lXL9Q, 2. Teil: https://youtu.be/kov2890PEHM.
  6. Bading, Ingo: Werner Heisenberg privat. Ein wertvolles Filmdokument aus dem Jahr 1968, 28. November 2020, https://studgenpol.blogspot.com/2020/11/werner-heisenberg-privat.html.

Samstag, 28. November 2020

Werner Heisenberg privat

 Ein Filmdokument aus dem Jahr 1968

Auf unserem Videokanal haben wir uns in der letzten Woche mit Ausschnitten aus dem Leben des Begründers der Quantentheorie, mit Werner Heisenberg (1901-1976), beschäftigt, sowie mit dem damit verbundenen Denken auf den Gebieten von Wissenschaft, Philosophie und Ethik (1). Dies lies einmal erneut danach fragen, ob es in Videoform weitere Beiträge gäbe, die man als besonders geeignet ansehen und empfehlen könnte, sich dem Leben und Denken von Werner Heisenberg anzunähern. Überraschenderweise wurden wir fündig (2):

 


 
Für die Zugänglichmachung eines solchen 30-minütigen Filmdokumentes aus dem Jahr 1968, in dem Werner Heisenberg offenbar die volle Freiheit hat, das von ihm zur Darstellung zu bringen, was er darstellen möchte, darf man sehr dankbar sein. Denn die grundlegende Wende im menschlichen Denken, die mit der Quantenphysik in die Welt getreten ist - sie mag doch für Nichtphysiker schwer nachvollziehbar sein, insbesondere in ihrer Bedeutung für unser heutiges Weltverständnis.
 
Der tiefere Grund dafür mag sein, daß hier die strengste Rationalität - wie sie in der modernen Wissenschaft üblich ist - auf eine nicht mehr hintergehbare nichtrationale Seite der Wirklichkeit stößt. Während über die rationale Seite der Wissenschaft jeder Wissenschaftler ganz "nüchtern", ja, geradezu "plappernd" sprechen kann, ohne daß dabei ein Verlust allzu deutlich spürbar werden muß, wird es insbesondere dann auffällig, wenn Wissenschaftler "nur" rational über jene nichtrationale Seite der Wirklichkeit sprechen. Nämlich wenn sie - zum Beispiel - im Bereich der Quantentheorie auf diese wieder und wieder stoßen und sich dann - vielleicht ein wenig hohl - bemühen, diesen Umstand gar zu wortreich zu erläutern.
 
So bescheiden nun Werner Heisenberg im persönlichen Leben auftreten mag - wie man es in diesem Filmdokument (2) erleben kann - oder vielleicht gerade deshalb - ist er eben als Person und als der eigentliche Begründer der Quantenphysik dann doch nicht jemand, der "nur" rational über das spricht, was ihm das wesentlichste Anliegen seiner Wissenschaft ist. Fast meint man sagen zu wollen, Heisenberg wirke "schamhaft", wenn er über die tieferen Gehalte seiner Wissenschaft spricht. Seine Annäherung an das Nichtrationale ist jedenfalls immer wieder so behutsam, daß viele Menschen diese Annäherung gar nicht richtig wahrnehmen mögen.

Er spricht zum Beispiel einleitend - wie hier in diesem Filmdokument (2) - über die Musik. Wer nicht genau hinhört, bekommt gar nicht mit, daß diese Musik für ihn Ausdruck dessen ist, auf was er an Nichtrationalem in seiner Wissenschaft von der Quantenphysik ebenfalls gestoßen ist. Das ist doch eine philosophisch sehr grundlegende Aussage - oder Vermutung. Diese andeutende Vermutung ist hier geradezu versteckt in dem kleinen Nebensatz (2'00): "... Aber vielleicht ist da doch eine Verwandtschaft" - nämlich gemeint zwischen der Musik und der Natur. Über so etwas dürfte doch wohl nicht gar zu oberflächlich und schnell hinweg gegangen werden, wenn man es in der Auseinandersetzung mit der Quantentheorie ernst nehmen sollte.

Da von Werner Heisenberg derzeit nur ganz wenige Filmdokumente im Internet zugänglich sind, mag man ein solches Filmdokument als um so kostbarer erachten. Es ist erst seit einem Jahr im Internet zugänglich (2).

Von den zahlreichen Schülern von Werner Heisenberg und den zahlreichen und "Erklärern" der grundlegenden Wende im menschlichen Denken, die mit der Quantentheorie verbunden ist - es seien etwa Namen genannt wie: Hans-Peter Dürr, Carl-Friedrich von Weizsäcker, Ernst Peter Fischer - finden sich recht zahlreich Filmdokumente. Es mag jeder für sich entscheiden, ob all diese - als Menschen - jenen nichtrationalen Gehalt der Wissenschaft wirklich gelungen selbst verkörpern, über den sie dabei immer wieder zu sprechen versuchen. Oder wenigstens so wie man das bei Werner Heisenberg - aufgrund eines solchen Filmdokumentes (2) - ansatzweise erahnen mag.
 
Besonders schön ist vielleicht auch, daß an einer Stelle in dieser Filmdokumentation die Ehefrau von Werner Heisenberg zu Wort kommt. Durch sie wird vielleicht gleich viel deutlicher, von wie viel Innenleben das Leben von Werner Heisenberg getragen gewesen sein muß. Dazu ist schon in zwei anderen Beiträgen etwas gesagt worden (3, 4).
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  1. Bading, Ingo: Ausschnitte aus dem Leben und Denken von Werner Heisenberg - Nach seinem Buch "Der Teil und das Ganze", November 2020, https://youtu.be/J7qrbgVen8I, https://youtu.be/mhQSbOW1-RM, https://youtu.be/VUgV2VjQPDc, https://youtu.be/JSYKOsGmSZI.
  2. Egloff Schwaiger, Martin Posselt: Porträt Werner Heisenberg. Deutschland, 1968 (30 Minuten). Neu gesendet vom Bayerischen Rundfunk im Januar 2019 in der Reihe "alpha-retro" bei ARD-alpha. (Veröffentlicht auf dem Videokanal  "dete38".) 1. Teil: https://youtu.be/zio9r1lXL9Q, 2. Teil: https://youtu.be/kov2890PEHM.
  3. Bading, Ingo: Die Liebe, die Wissenschaft und Max Delbrück - Wie fühlt es sich an, wenn man einen genialen Wissenschaftler als Freund hat?,  3. Januar 2019, https://fuerkultur.blogspot.com/2019/01/max-delbruck-und-sein-sex-life.html.
  4. Bading, Ingo: Werner Heisenberg - Seine erste große unerfüllte Liebe - "Ich muß viel Glück haben, wenn aus meinem Leben noch etwas werden soll" (Februar 1936) ,10. Januar 2019, https://fuerkultur.blogspot.com/2019/01/werner-heisenberg-und-seine-liebe-zu.html.

Donnerstag, 12. November 2020

"Wenn junge Eltern sterben" - Eine Dokumentation

Eine Fernseh-Dokumentation, in der der Tod - unser aller Tod - einmal seine Würde zurück erhält

 

Vorschaubild zur Dokumentation

Sogar im "Mainstream"-Fernsehen ist diese Dokumentation gelaufen. Selten genug geschieht das.


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  1. Renate Werner: Das will ich dir noch sagen - Wenn junge Eltern sterben. WDR Doku, 09.07.2019, https://youtu.be/hRaNu4DdCco.

Sonntag, 26. April 2020

Warum Wissenschaft?

Wissenschaft für Anfänger
- Die Wissenschaft und ihr Platz in der heutigen Welterfahrung

Wer sich für Philosophie interessiert und innerhalb derselben insbesondere naturwissenschaftsnahe philosophische Ansätze verstehen oder gar nachvollziehen will, sich für sie einsetzen will, muß sich zunächst klar machen, daß es sich bei moderner Philosophie immer nur um eine solche auf wissenschaftlicher Grundlage handeln kann.*)

Aber was heißt "wissenschaftliche Grundlage"?

Wissenschaft ist ein Gemeinschaftsunternehmen vieler Völker, vieler Generationen, ja, ganzer Jahrtausende. Der wissenschaftliche Erkenntnisprozeß erstreckt sich über Jahrhunderte, nein, Jahrtausende. Wissenschaft im engeren, konkreteren Sinne begann in der griechischen Antike. Natürlich können zahllose "Vorläufer" benannt werden (siehe Himmelsscheibe von Nebra, Stonehenge, sprich: Astronomie, Zahlen- und Schriftsysteme, Heilkunde der Bronzezeit). Insbesondere ist Wissenschaft aber an Schriftkultur gebunden und an die Weitergabe von Wissen über Schriftdokumente.**)

Erstmals erschienen 2006 (aus dem Englischen)
Abb. 1: Tessloffs Sachbilderbuch "Wissenschaft einfach erklärt" (als Beispiel) - Erstmals erschienen 2006 (aus dem Englischen)

Deshalb bedeutete es einen ungeheuren Einschnitt in der Wissenschaftsgeschichte, als mit Einbruch des Frühmittelalters der größte Teil der bis dahin angesammelten Schriftdokumente der Antike verloren ging. Nur bruchstückhaft sind einzelne Bestandteile der wissenschaftlichen (und natürlich auch Dicht-)Werke der Antike über das Mittelalter hinweg auf uns überkommen. Es beruhte das zum Teil auf andächtiger Pflege dieser Schriftüberlieferung durch einzelne wenige Gelehrte und Schriftkundige, zum Teil im arabischen Raum, zum Teil in Byzanz, zum Teil in diversen europäischen Klöstern und anderwärts.

"Wissenschaftliche Grundlage" heißt weiterhin, daß Wissenschaft immer im Kampf gegen die Unvernunft, gegen den "Glauben", gegen "gefühlte Wahrheiten", gegen Dogmen, gegen Maulkörbe und Denkverbote langsam, Schritt für Schritt an Boden gewinnen konnte. Nur langsam und über lange Jahrhunderte hinweg gewannen Menschen und Völker zunehmend mehr Vertrauen zur wissenschaftlichen Erkenntniswelt. Kam den Menschen anfangs der Blitzableiter als ein abergläubischer Spuk vor, vertrauen sie heute ganz selbstverständlich auf seine Wirksamkeit.

Der Mensch und menschliche Kultur, auch die menschliche Seele wurzeln in "Unwissenschaftlichkeit". Seien wir uns dessen klar.  Was ist damit gesagt? In der Wissenschaft ist am Anfang selten klar, was eigentlich das Ergebnis der Forschung sein wird. In der Wissenschaft tritt immer wieder "Unerwartetes" ein. Man stößt auf Dinge, die völlig unerwartet sind. Warum eigentlich sind sie unerwartet? Weil wir alle in uns bestimmte Vorannahmen über die Wirklichkeit tragen. Von Kindheit an versucht unsere Vernunft, die uns umgebende Welt zu verstehen. Und das kindliche Gemüt nimmt zunächst alles für "bare Münze". Der Weihnachtsmann ist der Weihnachtsmann, der Osterhase der Osterhase. So hat der vorwissenschaftliche Mensch durchgehend gedacht. Man muß, um sich davon zu überzeugen, nur in die "Ilias" des Homer schauen. Oder in die germanischen Heldensagen. Eine Wunder- und Märchenwelt.

Hier hat sich überall die Vernunft und die Seele der Menschen eine Welt so "gebastelt" wie sie ihnen auf den ersten Augenschein hin am schlüssigsten erschien und wie sie sie sich - über ihre noch bestehenden Lücken der Erkenntnis hinweg - märchenhaft "ergänzten". Die Wissenschaft und Philosophie traten demgegenüber zweitausend Jahre lang immer nur wieder als Kräfte der "Entzauberung" auf. Der Blitz wird nicht von Göttern gesendet, sondern kann durch eine simple Metallstange folgenlos in die Erde gelenkt werden. Die ungeheure, gewaltige Kraft des Blitzes ist dieselbe und bietet Anlaß für Erstaunen wie schon immer. Aber diese Kraft ist dem Menschen "beherrschbar" geworden. Und manche Menschen können ja nur das "bestaunen", was ihnen unbeherrschbar erscheint. Aber weiter: Der Teufel, an den Martin Luther noch als einen "Leibhaftigen" geglaubt hat, und nach dem er auf der Wartburg sein Tintenfaß warf, weil er glaubte, dieser wolle ihn verführen, dieser Teufel ist eine Phantasiegestalt, entstammt der Märchenwelt der Menschheitsgeschichte.

Und so können unglaublich viele Dinge unserer alltäglichen Welt durchgegangen werden, deren "Märchenhaftigkeit" wir schon seit vielen Jahrhunderten eingesehen haben, und über die sich der allergrößte Teil der Menschheit heute nicht mehr großartig "aufregt". Es halten sich allerdings zähe Überreste von Aberglaube und Unwissenschaftlichkeit auch in der heutigen, modernen Welt. Soweit ich das erkennen kann, liegt ein Hauptgrund für dieses zähe Weiterbestehen von Aberglaube in der modernen Welt in dem Umstand begründet, daß Wissenschaft gerade in den letzten hundert Jahren komplexer und immer komplexer geworden ist. Es ist hier in der modernen Wissenschaft eine "befremdliche", "abstrakte" Welt entstanden. Allerdings sind sogar für diesen Umstand schon wieder - von Seiten der Wissenschaft - Erklärungen möglich geworden.

Menschliche Erkenntnis stößt an Grenzen 


Die wissenschaftliche Erkenntniswelt ist in Teilen abstrakter geworden, weil sie an die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens gelangt ist. Und auch, weil sie an die beiden Grenzen gestoßen ist jener Kategorien, in die unsere Welt eingeordnet ist, nämlich an die Grenzen von Raum und Zeit. Was für ein ungeheures Geschehen. Wir sind bis zum Allergrößten und bis zum Allerkleinsten vorgestoßen und haben beide male erkannt: Hier geht es nicht weiter. Wir sind bis zum zeitlich Allerlängsten und Allerkürzesten vorgestoßen und haben erkannt: Noch weiter kommen wir nicht. Aber wir erkennen auch: Dort, an den Grenzen unseres Erkenntnisvermögens wird es auffallend komplex und auch - für unseren Alltagsverstand - auffallend "absurd". 

Beispiel: Alles gegenwärtige Sein, alle Materie soll aus dem Nichts entstanden sein. Geht es - für den Alltagsverstand - absurder? Aber andererseits: Haben Philosophen nicht immer schon über das Wechselverhältnis von Sein und Nichts nachgedacht? Welche Steilvorlagen bietet hier die moderne Naturerkenntnis für uraltes philosophisches Denken.

Die Physiker haben erkannt, daß sie dort, an den Grenzen, mit der Mathematik noch ein Stück weiter kommen als sie es auch selbst mit ihrem eigenen Alltagsverstand noch können. Und sie sagen deshalb, daß die Schönheit der modernen Physik nur der wirklich nachvollziehen kann, der die Schönheit der ihr zugrundeliegenden Mathematik nachvollziehen kann. Da wir Alltagsmenschen das nicht können, bleibt uns hier ein Zugang zur Schönheit der Welt versperrt. Unglaublich, daß so etwas im Weltall vorgesehen ist. Daß nur wenige Superkluge eine Schönheit sehen können, "dürfen", die viele andere nicht sehen können. Immerhin, ein Trost: Viele Physiker haben sich schon Jahrzehnte lang bemüht, die Schönheit der Dinge, auf die sie bei ihren Forschungen gestoßen sind, auch denen zugänglich zu machen, die nicht so mathematisch begabt sind wie sie selbst. Aber daß moderne Physik ein wesentlicher Bestandteil unseres Kulturlebens ist oder sein könnte, davon werden nur die wenigsten heutigen Menschen ein Bewußtsein haben.

Allerdings ist ein Bewußtsein davon ein Bestandteil dessen, wenn gesagt wird: Philosophie auf wissenschaftlicher Grundlage. Auch die Philosophie hat ihren gut strukturierten Platz in der Gesamtheit aller Wissenschaften. Sie steht in Bezug zu allen übrigen Wissenschaften, sie steht weder über ihnen, noch unter ihnen, sondern sie kommuniziert auf Augenhöhe mit ihnen. Und sie ist unentbehrlich - auch zur Einordnung der wissenschaftlichen Erkenntniswelt in die Gesamtheit der menschlichen Erfahrung.

Die Wissenschaft ist ein einheitlicher, in sich widerspruchsfreier Bau. Hegel benannte das mit seinem berühmten Satz: "Die Wahrheit ist das Ganze." Wenn Teilbereiche des menschlichen Wissens in logischem oder empirischem Widerspruch stehen zu einem anderen Teilbereich des menschlichen Wissens, ist das ein Hinweis darauf, daß in einem dieser beiden Teilbereiche noch nicht alles vollständig widerspruchsfrei geklärt ist, daß hier noch Dinge vorliegen, die von der Wissenschaft zu klären sind. Die Wissenschaft steht also quasi - soweit sie die Dinge in den letzten Jahrhunderten tatsächlich schon geklärt hat - monolithisch anderen menschlichen Erfahrungsbereichen gegenüber. Sie spricht diesen anderen menschlichen Erfahrungsbereichen gegenüber "mit einer Stimme".  Warum spricht sie mit "einer Stimme"? Weil das, was sie erforscht mit "einer Stimme" spricht, nämlich die Natur.

Die Naturwissenschaft ist immer und immer nur wieder auf die durchgehende Gültigkeit der von ihr erforschten Naturgesetze im gesamten Weltall, im Größten wie im Kleinsten gestoßen. Eine Durchbrechung von gut erforschten Naturgesetzen hat sie niemals feststellen können. Das ist der Grund, weshalb die Naturwissenschaftler in Südamerika mit derselben Stimme sprechen wie die Naturwissenschaftler in Sibirien oder Australien. Die Wissenschaft ist "Eines", ist eine Einheit. Man kann sich aus diesem großen Bau der Wissenschaft nicht einen Teil heraus brechen und sagen: Der Rest stimmt schon - aber dieser Teil, da haben sich die Wissenschaftler aber gewaltig geirrt.

Eine Sache um ihrer selbst willen tun


Diese große Macht der Naturwissenschaft wirkt auf all jene, die in ihrem Alltag seltener mit ihr in Berührung kommen, befremdlich. Sie fühlen sich von diesem allmächtigen Erklärungsprinzip eingeschränkt. Sie wollen - womöglich - "auch noch mitreden". In ihrem Bildungsgang hat man sie womöglich selten mitreden lassen, selten nachvollziehen lassen, was da - in der Wissenschaft - eigentlich alles so an umwälzenden Dingen geschieht. Deshalb fühlen sie sich nach und nach "entmachtet". Wie sollen sie noch mitreden können, wenn nur noch Wissenschaftler das Sagen haben? Wenn Wissenschaftler das letzte Wort haben? Wenn Wissenschaftler die Welt "beherrschen"?

Diese monolithische Erklärungskraft moderner Wissenschaft ruft also - weil sie so unerbittlich und monolithisch auftritt - Widerspruch hervor, Widerstreben hervor. Dieses Widerstreben wird aber auch noch durch einen anderen Umstand hervor gerufen: Die große Begeisterung, die Wissenschaftler beflügelt, die unglaubliche emotionale Anteilnahme, die sie bei ihrem Erkenntnisstreben "gepackt" hat, die innere Erfülltheit, die sie bei ihrem Erkenntnisstreben beseelt, all solche sehr menschlichen Dinge, die auch Bezug haben könnten zu wertvollen sonstigen menschlichen Erfahrungen, diese "innere Erfahrungswelt" der Wissenschaft wird nur noch selten an die Öffentlichkeit weiter gegeben.

Wissenschaft wird stattdessen wahrgenommen als würde sie nur um Anwendungen willen betrieben, als ginge es nur um irgendeinen "Nutzen". Der tiefere Antrieb der Wissenschaft ist aber jener Antrieb, der alle wertvolleren menschlichen Handlungen, der alle menschliche Kultur antreibt: eine Sache um ihrer selbst willen tun. Nicht um ihrer Folgen willen. Wissenschaft um der Wissenschaft willen, um der Erkenntnis willen, nicht um daraus irgendeinen persönlichen oder gar wirtschaftlichen Nutzen zu ziehen.

Wer diese so außerordentlich wertvolle und dem sonstigen Kulturleben so außerordentlich nahestehende Seite der Wissenschaft nicht berücksichtigt, wird ihr niemals gerecht werden können. Diese Seite der Wissenschaft steht dem Kulturleben nicht nur nahe, nein, sie ist Bestandteil, womöglich sogar Kernbestandteil von menschlicher Kultur. Wer Wissenschaftler ständig und fortlaufend eigensüchtige Motive unterstellt - was für ein Bild von Wissenschaft würde dann gezeichnet? Ist das nicht eine Herabwürdigung aller großen Wissenschaftler, die jemals gelebt haben - von Aristoteles und Platon an? Sie alle sollen nur eigensüchtige Motive verfolgt haben? Wie flach wäre das Bild, das hier gezeichnet werden würde.  - Soweit erste Überlegungen zum Thema.

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*) Die Philosophie ist umgekehrt ja schließlich auch nichts anderes als selbst ein Teil der Wissenschaft.
**) Inzwischen ist erahnbar geworden, daß die Gott- und Weltauffassung des Homer um 700 v. Ztr. und der heidnischen Germanen aus der Zeit zwischen 0 und 1200 n. Ztr. eine gemeinsame bronzezeitliche Wurzel hat, der die schriftliche Überlieferung des Homer deutlich näher zu stehen scheint als die mündliche Überlieferung der heidnischen Germanen über viele Jahrhunderte nach 700 v. Ztr. hinweg.