Dienstag, 1. Januar 1991

Antworten auf Grundfragen zur menschlichen und kosmischen Existenz

In den Folgen 62 und 67 unserer Zeitschrift wurden zwei Aufsätze veröffentlicht, die sich nach Umfang und Gehalt von den anderen Beiträgen wesentlich unterscheiden. Es sind dies:

"Warum ist das Weltall so, wie es ist? Das Anthropische Prinzip der Kosmologie und seine philosophische Bedeutung" (1), sowie

"Äther und Quantenvakuum. Der Ätherbegriff in Naturwissenschaft und Philosophie" (2).

Es erscheint (auch auf Leserfragen hin) dringend notwendig, den Sinn und die Tragweite von derartigen Beiträgen noch einmal kurz zu erläutern.

Erich Sperling - Trauernde Mooreiche
Abb.: Erich Sperling - Trauernde
Mooreiche

Der Verfasser (wie auch die Schriftleitung) waren und sind sich bewußt, daß sie damit dem Leser einen anspruchsvollen, für viele auch schwierigen Stoff zugemutet haben. Zu der naheliegenden Frage des Warum sei hier ein Abschnitt aus dem von Hegel notierten (aber wohl von Hölderlin verfaßten) "Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus" (3, S. 234) wiedergegeben:
"Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewußten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt - aus dem Nichts hervor - die einzige wahre und gedenkbare Schöpfung aus Nichts. - Hier werde ich auf die Felder der Physik herabsteigen; die Frage ist diese: Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein? Ich möchte unserer langsamen, an Experimenten mühsam schreitenden Physik einmal wieder Flügel geben.
So, wenn die Philosophie die Idee, die Erfahrung die Data angibt, können wir endlich die Physik im Großen bekommen, die ich von späteren Zeitaltern errwarte. Es scheint nicht, daß die jetzige Physik einen schöpferischen Geist, wie der unsrige ist oder sein soll, befriedigen könne.”
Hier werden Grundgedanken geäußert, die dann 120 Jahre später den Ausgangspunkt der Philosophie von Mathilde Ludendorff bilden, daß nämlich die Entstehung eines bewußten Lebewesens Sinn und Ziel des Weltalls ist, und daß das Entstehen wie auch die Beschaffenheit der uns umgebenden Welt als “Schöpfung aus dem Nichts” von diesem sinngebenden Ziel her bestimmt sein muß. Und Hölderlin stellt enttäuscht fest, daß die Naturwissenschaft (“die Physik”) seiner Zeit nicht in der Lage ist, etwas Wesentliches zur Prüfung oder genaueren Fassung dieses philosophischen Konzeptes beizutragen. Eine fast ebenso resignierende Feststellung hätte man auch noch zum Zeitpunkt des Ersterscheinens des Werkes “Schöpfungsgeschichte” von Mathilde Ludendorff treffen können.

Aber heutzutage ist die Lage eine ganz andere; die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind nunmehr soweit vorangeschritten, “daß die jetzige Physik einen schöpferischen Geist … befriedigen” kann! Dies darzustellen ist ja die Aufgabe, der die Aufsatzreihe “Die Evolution aus der Sicht der Naturwissenschaft und der Philosophie” dienen soll.

Sinn und Ziel der Schöpfung


So galt der Aufsatz “Warum ist das Weltall so, wie es ist?” (1) letztendlich der beunruhigenden Frage, ob nicht die philosophische Aussage, ein bewußtes Lebewesen sei Sinn und Ziel der Schöpfung, geradezu eine Selbstüberhebung des Menschen darstelle. In diesem Aufsatz konnte nun anhand des “Anthropischen Prinzips der Kosmologie” (das eine Fülle von modernen Erkenntnissen der Physik und Astronomie zusammenfaßt) gezeigt werden, daß Aufbau und Abläufe des Weltalls in staunenswerter Weise genau so beschaffen sind, daß die Entstehung eines Bewußtseins (im Menschen – anthropos) möglich wurde. Auch nur geringe Abweichungen in irgend einem der Naturgesetze oder einer Naturkonstanten würde die Existenz bewußten Lebens ausschließen. Die tiefgehende Frage Hölderlins “Wie muß eine Welt für ein moralisches Wesen beschaffen sein?” konnte also im Rahmen des Anthropischen Prinzips von der Physik dahingehend umfassend beantwortet werden, daß tatsächlich unser Weltall bis in feinste Details seiner “Konstruktionsprinzipien” auf das Entstehen eines bewußten Lebewesens “ausgelegt” ist.

Schöpfung aus dem Nichts?


Der Aufsatz “Äther und Quantenvakuum – Der Ätherbegriff in Naturwissenschaft und Philosophie” (2) und daran anschließende, kommende Aufsätze sind dem gleichfalls beunruhigenden Problem einer “Schöpfung aus dem Nichts” gewidmet. Dieser von Hölderlin nur angedeutete Gedanke findet dann in der “Schöpfungsgeschichte” von Mathilde Ludendorff (4) seine Entwicklung und philosophische Begründung. In diesem Werk wird die philosophische Erkenntnis dargestellt, daß das Göttliche aus dem Jenseits von Raum, Zeit und Ursächlichkeit über eine Vorstufe in die Erscheinung eingetreten ist. Diese Vorstufe, “Äther” genannt, schwindet nicht wieder, sondern bleibt und durchdringt alle Erscheinung, die dann nach und nach aus dieser Vorstufe entstanden ist. Der Äther hat im Gesamtrahmen der philosophischen Erkenntnis von M. Ludendorff eine außerordentlich große, ja zentrale Bedeutung. Er ist der schöpferische Urgrund alles Werdens im Weltall. Nach der philosophischen Erkenntnis ist die Erscheinungswelt in wenigen, großartig einfachen Schritten entstanden, die zielklar auf das Schöpfungsziel, ein bewußtes Lebewesen, hingeführt haben. Diese Schritte können als zunehmende Einordnung des Göttlichen in die Erscheinungsformen Raum, Zeit und Ursächlichkeit, oder auch als “Willensoffenbarungen des Göttlichen” aufgefaßt werden (4). Hierbei kommt dem Äther eine ausschlaggebende Rolle zu. Diese wurde in dem Aufsatz über das Quantenvakuum (2) für den ersten Schritt der Gesamtentwicklung, den Willen Gottes in Erscheinung zu treten, anhand von naturwissenschaftlichen Ergebnissen veranschaulicht.

Nach der philosophischen Aussage führte diese erste Willensoffenbarung zum Entstehen der Materie/Energie (die als “Urstoff” bezeichnet wird) im Weltall (4, S. 78):
“Am Anfang war der Wille Gottes zur Bewußtheit. Bewußtheit aber bedingt Erscheinung, und so ward der Wille Gottes, in Erscheinung zu treten. Da ward der Äther und aus ihm bewegter Urstoff im Äther.”
Das im zuletzt zitierten Satz kurz zusammengefaßte Geschehen wird in der “Schöpfungsgeschichte” (4, S. 69ff) dahingehend genauer erläutert, daß der Äther zunächst nur eine Vorstufe der Erscheinung bildet, und daß in ihm und aus ihm als erste Erscheinung der “Urstoff” als Folge der ersten göttlichen Willensenthüllung entsteht.

Zu dem genannten Aufsatz über das Ätherproblem (2) wurden nun diese philosophischen Aussagen in einem ersten (und noch weiter auszubauenden) Ansatz mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen über das Quantenvakuum verglichen. Dabei konnte gezeigt werden, daß überraschend tiefgreifende Entsprechungen zwischen den philosophischen Aussagen über den Äther und den naturwissenschaftlichen Einsichten über das Quantenvakuum vorliegen. Insbesondere konnte anhand der modernen physikalischen Entwicklungen veranschaulicht und belegt werden, daß der Äther (das Quantenvakuum) nur insoweit den Erscheinungsformen Raum, Zeit und Ursächlichkeit eingeordnet ist, als er mit einer Willenserscheinung des Göttlichen (hier: der als “Eichfeld” beschriebenen sog. Urkraft) in Verbindung steht (2). Also auch zu dem Problem einer Entstehung der Erscheinungswelt aus dem Nichts liefert die moderne Physik an den Grenzen des Vernunfterkennens Einsichten, die mit den philosophischen Erkenntnissen so eng übereinstimmen, daß beide Erkenntniswege zu einer höheren Einheit zusammenwachsen, die von Hölderlin/Hegel als “Physik im Großen … von späteren Zeitaltern” zu schaffen erwartet wurde.

Offensichtlich handelt es sich bei diesen modernen Entwicklungen um tiefe, und damit zwangsläufig nicht ganz einfache Einsichten sowohl der Elementarteilchen-, bzw. Astrophysik als auch der philosophischen Erkenntnis. Wie die Hinweise auf das (zitierte) “Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus” aber andeuten, sind es zugleich auch “Jahrhunderterkenntnisse” zu den Grundfragen  nach der Existenz des Menschen und des Kosmos. Dieser reiche Einklang und die tiefgehende gegenseitige Ergänzung zwischen naturwissenschaftlicher und philosophischer Erkenntnis war zur Zeit von Hölderlin und Hegel, aber auch zur Zeit des Ersterscheinens der philosophischen Werke von M. Ludendorff noch nicht möglich. Wir hoffen daher, daß diese begrüßenswerte Entwicklung, die eine Bestätigung der Gotterkenntnis darstellt und daher auch Vertrauen zu dieser wecken kann, nicht in folge eines vordergründigen Zurückschreckens vor ungewohnten Begriffsbildungen übersehen wird. Überdies sind die faszinierendsten Einsichten im Zusammenhang der frühsten Schöpfungsstufen hier bisher noch nicht dargestellt worden. Wir wollen daher diesen Fragen in zwei Aufsätzen weiter nachgehen und dabei einerseits die modernen Einsichten nachzeichnen, die einen tiefen inneren Zusammenhang zwischen Kosmologie und Elementarteilchenphysik, d.h., im Verständnis der globalen und der submikroskopisch kleinsten Aspekte der Erscheinungswelt, aufgezeigt haben, und andererseits die geheimnisreiche Rolle des Äthers aus der Sicht der Philosophie darstellen.
Hermin Leupold

Schrifttum:
  1. Leupold, Hermin: Warum ist das Weltall so, wie es ist? Das Anthropische Prinzip der Kosmologie und seine philosophische Bedeutung. In: Die Deutsche Volkshochschule, Folge 62 (1990), S. 1-19
  2. Leupold, Hermin: “Äther” oder “Quantenvakuum”. Der Ätherbegriff in Naturwissenschaft und Philosophie. In: Die Deutsche Volkshochschule, Folge 67 (1990), S. 1-14
  3. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke I, Frühe Schriften. Herausgeber E. Moldenhauer, K.M. Michel, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1971, S. 234, s. auch S. 618
  4. Ludendorff, Mathilde: Schöpfungsgeschichte, Verlag Hohe Warte, Pähl 1954 (Erstaufl. 1923)
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5. Beitrag in der Reihe zum Rahmenthema “Die Evolution aus der Sicht der Naturwissenschaft und der Philosophie”.
Entnommen:
Die Deutsche Volkshochschule,
Folge 71, Januar 1991, S. 1-4

Hier eingestellt: 16.6.2017