Freitag, 25. März 2016

"Herr General Tilli, diß seind Unglücksblumen, vnd in solchen Gärten pflückt man keine andere."


Eine Gedenktafel aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges


Abb. 1: Teutsche Grabinschrift
Ein Beispiel für deutsche Frakturschrift ist die Gedenktafel für einen deutschen Reitergeneral aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, die viele Jahrhunderte an der Marktkirche von Hannover hing (1). Sie erinnert an den General Hans Michael von Obentraut (1574-1625) (Wiki). Ihr Text lautet (Inschriften.net):

Teutsche Grabschrifft
VON OBERTRAUT HANS MICHAEL
Bestattet ist an dieser Stell.
Ein auffricht teutscher Edelman
Fromm, redlich, tapffer, lobesahm.
Keck, freudig, treu, klug, unverzagt
Welches Ihn zu hohen Ehren bracht.

Auß der Churfürstlichen Pfaltz bey Rein
Sein Ursprung war, mit hellem Schein.
Adlicher Tugend gezieret rein
Daher der löbliche Nahme sein.
Mit Ruhm durchwandert manche Land
Seim Churfürsten in Gefahr beystand.
War ihm getreu biß in den Todt
Und schäuet weder Feind noch Noth.
Den Edlen Herren von Venedig
War Er verwand in Eydes Pflicht.
Hat hoch Bestallung von selben Herren
Worzu sie Sein waren begehren.
Hat sich erzeigt als ein Fest=Mann
Kein Tück noch Falschheit zugethan.
Wie für alters die Teutschen waren
Redlich, kühn, thätig, und Ehrbar.

Der königlichen Mayestädt
Auß Dennemarck gedienet hat.
Er auch, mit Hand und klugem Rath
Sich praesentiret mit kühner That.
Als unser liebes Vaterland
Geplaget war mit Schwerdt, mit Brand.
Als ein Felß da, stand dieser Mann
Für seinem Feind wol auff dem Plan.
Bey dem Edlen Fürsten Friedrich
Zu Sachsen, welche dann zugleich.
Bey Hannover am Wasserfluß
Der Laine, gefochten ohn Verdruß.
Biß sie wie starcke Lewen und Helden
Ein seeliges Ende nahmen im Felde.
Der Leib nun hie begraben leit
Die Seel für Gottes Angesicht steit.
Sein löblich Nahme füllet gantz Teutschland
Und zieret schön sein Adel=Stand.
So lang die Welt fort stehen kan
Da rühmt man diesen herrlichen Mann.
Bei Worten einer so urwüchsigen Sprache und mit solchem Inhalt wird leicht erkennbar, dass sie zu einer gebrochenen Frakturschrift viel besser passen als zur lateinischen Druckschrift. Oberntraut starb nach einer "glänzenden" Karriere 1625 in den Armen seines Kriegsgegners und vormaligen Waffenkameraden, des Generals Tilly. Die letzten Worte, die er dabei gesprochen haben soll, die jedenfalls im Volk weiter erzählt wurden, spiegeln das Unglück wieder, das der Dreißigjährige Krieg auch noch nach 1625 über Deutschland bringen sollte, nicht zuletzt der General Tilly selbst:
Herr General Tilli, diß seind Unglücksblumen, vnd in solchen Gärten pflückt man keine andere.
Eine Hauptantriebskraft für die lange Dauer dieses Krieges waren auf jeden Fall die Jesuiten, die unter anderem als Erzieher und Beichtväter des Kaisers Ferdinand (1578-1637) (Wiki) viel Einfluss auf seine Politik der Rekatholisierung Deutschlands nahmen. Sie gehörten sicher zu jenen Unglücksblumen, von denen Oberntraut - bewusst oder unbewusst - sprach. Wobei natürlich auch anklingt, dass hier der Krieg an sich, der Religions- und Bruderkrieg als Unglücksblume angesprochen ist.   
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  1. Schellack, Gustav: Wo der “Deutsche Michel” starb und wo er begraben wurde. Hunsrück-Zeitung, http://www.hunsrueck-zeitung.com/Dt%20Michel/michel.htm

Sonntag, 13. März 2016

Alkestis - Eine Dichtung von Rainer Maria Rilke

Eine der eindrucksvollsten Dichtungen des deutschen Dichters Rainer Maria Rilke (1875-1926) ist "Alkestis". Sie beschreibt, wie das Göttliche in Form des Todes mitten in eine trunkene Hochzeitsgesellschaft einbricht und wie nur wenige ihm gerecht werden, nur eine: Alkestis.

Abb. 1: Rainer Maria Rilke im Palais Biron, Paris 1908 - als Sekretär Rodins aufgenommen von Harry Graf Kessler (pdf)

Alkestis

Da plötzlich war der Bote unter ihnen,
hineingeworfen in das Überkochen
des Hochzeitsmahles wie ein neuer Zusatz.
Sie fühlten nicht, die Trinkenden, des Gottes
heimlichen Eintritt, welcher seine Gottheit
so an sich hielt wie einen nassen Mantel
und ihrer einer schien, der oder jener,
wie er so durchging. Aber plötzlich sah
mitten im Sprechen einer von den Gästen
den jungen Hausherrn oben an dem Tische
wie in die Höh gerissen, nicht mehr liegend,
und überall und mit dem ganzen Wesen
ein Fremdes spiegelnd, das ihn furchtbar ansprach.
Und gleich darauf, als klärte sich die Mischung,
war Stille; nur mit einem Satz am Boden
von trübem Lärm und einem Niederschlag
fallenden Lallens, schon verdorben riechend
nach dumpfem umgestandenen Gelächter.
Und da erkannten sie den schlanken Gott,
und wie er dastand, innerlich voll Sendung
und unerbittlich, – wußten sie es beinah.
Und doch, als es gesagt war, war es mehr
als alles Wissen, gar nicht zu begreifen.
Admet muß sterben. Wann? In dieser Stunde.
Der aber brach die Schale seines Schreckens
in Stücken ab und streckte seine Hände
heraus aus ihr, um mit dem Gott zu handeln.
Um Jahre, um ein einzig Jahr noch Jugend,
um Monate, um Wochen, um paar Tage,
ach, Tage nicht, um Nächte, nur um Eine,
um Eine Nacht, um diese nur: um die.
Der Gott verneinte, und da schrie er auf
und schrie's hinaus und hielt es nicht und schrie
wie seine Mutter aufschrie beim Gebären.
Und die trat zu ihm, eine alte Frau,
und auch der Vater kam, der alte Vater,
und beide standen, alt, veraltet, ratlos,
beim Schreienden, der plötzlich, wie noch nie
so nah, sie ansah, abbrach, schluckte, sagte:
Vater,
liegt dir denn viel daran an diesem Rest,
an diesem Satz, der dich beim Schlingen hindert?
Geh, gieß ihn weg. Und du, du alte Frau,
Matrone,
was tust du denn noch hier: du hast geboren.
Und beide hielt er sie wie Opfertiere
in Einem Griff. Auf einmal ließ er los
und stieß die Alten fort, voll Einfall, strahlend
und atemholend, rufend: Kreon, Kreon!
Und nichts als das; und nichts als diesen Namen.
Aber in seinem Antlitz stand das Andere,
das er nicht sagte, namenlos erwartend,
wie ers dem jungen Freunde, dem Geliebten,
erglühend hinhielt übern wirren Tisch.
Die Alten (stand da), siehst du, sind kein Loskauf,
sie sind verbraucht und schlecht und beinah wertlos,
du aber, du, in deiner ganzen Schönheit –
Da aber sah er seinen Freund nicht mehr.
Er blieb zurück, und das, was kam, war sie,
ein wenig kleiner fast als er sie kannte
und leicht und traurig in dem bleichen Brautkleid.
Die andern alle sind nur ihre Gasse,
durch die sie kommt und kommt –: (gleich wird sie da sein
in seinen Armen, die sich schmerzhaft auftun).
Doch wie er wartet, spricht sie; nicht zu ihm.
Sie spricht zum Gotte, und der Gott vernimmt sie,
und alle hörens gleichsam erst im Gotte:
Ersatz kann keiner für ihn sein. Ich bins.
Ich bin Ersatz. Denn keiner ist zu Ende
wie ich es bin. Was bleibt mir denn von dem
was ich hier war? Das ists ja, daß ich sterbe.
Hat sie dirs nicht gesagt, da sie dirs auftrug,
daß jenes Lager, das da drinnen wartet,
zur Unterwelt gehört? Ich nahm ja Abschied.
Abschied über Abschied.
Kein Sterbender nimmt mehr davon. Ich ging ja,
damit das Alles, unter Dem begraben
der jetzt mein Gatte ist, zergeht, sich auflöst –.
So führ mich hin: ich sterbe ja für ihn.
Und wie der Wind auf hoher See, der umspringt,
so trat der Gott fast wie zu einer Toten
und war auf einmal weit von ihrem Gatten,
dem er, versteckt in einem kleinen Zeichen,
die hundert Leben dieser Erde zuwarf.
Der stürzte taumelnd zu den beiden hin
und griff nach ihnen wie im Traum. Sie gingen
schon auf den Eingang zu, in dem die Frauen
verweint sich drängten. Aber einmal sah
er noch des Mädchens Antlitz, das sich wandte
mit einem Lächeln, hell wie eine Hoffnung,
die beinah ein Versprechen war: erwachsen
zurückzukommen aus dem tiefen Tode
zu ihm, dem Lebenden –
Da schlug er jäh
die Hände vors Gesicht, wie er so kniete,
um nichts zu sehen mehr nach diesem Lächeln.
                                                Rainer Maria Rilke
(>)





Abb. 2: Emil Orlik - Rainer Maria Rilke