Dienstag, 17. März 2020

Eine Malerin aus Westpreußen - Clara Siewert

Zugehörig der "Berliner Secession" - Erst 2008 wieder entdeckt

Die Hexe auf dem Dichterpferd Pegasus, 1910-20 
(Ostdeutsche Galerie, Regensburg)

Der Kulturgeschichte Westpreußens (Wiki) wird selten gedacht. So mag man eher nur durch Zufall auf die "Siewert-Schwestern" stoßen. Dabei handelt es sich um eine Schriftstellerin und eine Malerin, die aus Budda im Landkreis Preußisch Stargard in Westpreußen stammen. Budda war ein Landgut, das einsam inmitten von Wäldern 56 Kilometer südlich von Danzig lag.

Die ältere der beiden Schwestern war Clara Siewert (1862-1945)(Wiki, engl). Sie war eine Malerin, die 1900 bis 1912 - zusammen mit Käthe Kollwitz - der Berliner Secession angehört hat und auch sonst an vielen Kunstausstellungen teilgenommen hat.

Weiblicher Halbakt

An sie soll im vorliegenden Beitrag erinnert werden, vor allem mit einigen ihrer Werke. Im Oktober 1945 ist Clara Siewert mit 83 Jahren verarmt in Berlin gestorben. Der Berliner Secession hatte sie als eine von wenigen weiblichen Künstlerinnen angehört. Es ist aber nicht klar, warum sie dieser nach 1912, also nach ihrem fünfzigsten Lebensjahr nicht mehr angehört hat. Käthe Kollwitz hat 1916 in ihrem Tagebuch festgehalten (Wiki):

"Den ganzen Tag juriert. Nicht geglückt, Clara Siewert hereinzubringen."

Die jüngere der beiden genannten Schwestern, Elisabeth (1867-1930) (Wiki), hat vor dem Ersten Weltkrieg mit ihren Romanen einige Erfolge gehabt (Wiki):

Daß die Texte von Elisabeth Siewert bis 1916 eine große Resonanz in frauenbewegten und noch bis 1923 in einer sozialistischen Zeitschrift fanden, liegt darin begründet, daß die Texte, zumindest bis zu dieser Zeit, bei aller Heimatverbundenheit im gesellschaftlichen Kontext und dem Frauenbild der Zeit ausgesprochen modern waren. Immer wieder handelten die Geschichten von verrückten Mädchen/Schwestern aus dem Bildungsbürgertum, die in die große Stadt aufbrachen, um sich künstlerisch selbst zu verwirklichen und auf eigenen Füßen zu stehen. Auch die übrigen Frauengestalten Siewerts waren von der traditionellen Geschlechterrolle in der Regel weit entfernt oder scheiterten an dieser Rolle. Ein weiterer Grund war, daß Siewert ihre Figuren immer wieder betonen ließ, wie wenig ihr Autoritäten, Prediger oder der Glaube an ein höheres Wesen zu geben vermochten.

Sitzender weiblicher Akt

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 waren sie Schwestern schon 52 und 47 Jahre alt. Sie hatten den Höhepunkt ihrer Lebensbahn bis dahin schon überschritten. Und beide hatten dabei ja auch schöne Erfolge erzielt. Es mag also gar nicht so viel Sinn machen, den Umstand gar zu sehr zu gewichten, daß die beiden Schwestern nach 1914 und nach der Überschreitung ihres fünfzigsten Lebensjahres nicht mehr an die künstlerischen Erfolge anknüpfen konnten, die sie bis dahin erreicht hatten.

Immerhin aber scheinen beide Schwestern selbst unter diesem Umstand sehr gelitten zu haben. Von dem Lebensbild beider Schwestern bleibt als Eindruck zurück, daß sie niemals ganz im Leben angekommen waren und ein Teil ihrer Seele immer noch einer glücklichen Kinderzeit verhaftet blieb, von der es ihnen nicht gelang, sie in ein reifes künstlerisches Schaffen hinüber zu "transponieren". Die beiden Schwestern lebten mit einer dritten Schwester, die ebenfalls Malerin war, zusammen in Berlin in einer Wohnung. Aber keine von ihnen hat jemals geheiratet und Kinder gehabt. Elisabeth, die Schriftstellerin, ist dann schon im Jahr 1930 mit 63 Jahren gestorben.

Stehender weiblicher Akt

Frauen wie Gertrud Bäumler oder Lulu von Strauß und Torney haben sich in Rezensionen anerkennend mit den Romanen von Elisabeth Siewert beschäftigt (Wiki):

Im Zentrum von Elisabeths oft autobiographischem Werk stehen Figuren, vielfach Schwestern, die immer wieder der Frage nachgehen, wie es geschehen konnte, daß das glückselige Himmelreich der Kindheit verlorenging. Gleichzeitig läßt sie ihre Figuren ahnen, daß ihre Sehnsucht nach der versunkenen Kinderwelt nur der Boden zur Weiterentwicklung sein kann. Wie sie selbst suchen ihre Figuren nach Wegen, aus der seligen, aber auch einengenden Erinnerung auszubrechen und im Leben zurechtzukommen. Siewerts Sprache ist eher herb und spröde, vornehmlich in den Romanen aber auch humorvoll. Zu Lebzeiten als "protestantische Droste" bezeichnet, war sie mit ihren Novellen bis zum Ende der 1910er-Jahre vor allem in Zeitschriften der Frauenbewegung und in den Sozialistischen Monatsheften vertreten. In diesen Medien wurde sie auch mehrfach ausführlich rezipiert.

Danach geriet Elisabeth in Vergessenheit und ihres Werkes wurde in den 1920er Jahren nur noch in den - freilich nicht unbedeutenden - "Ostdeutschen Monatsheften" gedacht. Beide Schwester haben also ein irgendwie ähnliches Schicksal erlebt was einen Rückgang in der künstlerischen Geltung und Anerkennung in den 1920er Jahren betrifft. Der Novelle "Die Abenteuer der Oijamitza", die 1928 erschienen ist (Wiki), ist vielleicht auch zu entnehmen, daß die Autorin und ihre beiden Schwestern in ihrem Leben wenig Erfahrungen im Umgang mit der Männerwelt gesammelt haben, vielmehr dem Zusammensein untereinander verhaftet geblieben sind. Auch in den Werken der Malerin findet sich Männer selten dargestellt.

Zwei weibliche Akte

Elisabeth Siewert konnte immerhin noch viele Jahre von den Verkäufen ihrer Romane leben, die schon vor dem Ersten Weltkrieg erschienen waren. Und sie konnte damit auch ihre Schwester Clara, die Malerin unterstützen. Über die Malerin nun ist zu erfahren (Wiki):

Als sie 1930 im Begriff war, nach vier aufeinanderfolgenden Beteiligungen an der Großen Berliner Kunstausstellung wieder Fuß zu fassen, starb die Schwester Elisabeth. Der Tod ihres "Lebensmenschen" im Juni 1930 stürzte Clara in eine Depression und erneute materielle Krise.

1930 war Clara nun schon 68 Jahre alt. Es entsteht dennoch der Eindruck, daß sie das Gefühl hatte, künstlerisch nicht das erreicht zu haben, was sie hätte erreichen sollen. Immerhin war sie ja zeitweise mit Käthe Kollwitz befreundet und hatte persönliche Kontakte zu Lovis Corinth, Walter Leistikow, Max Liebermann, Max Slevogt und Alfred Kubin gepflegt.

Stehender weiblicher Akt

Vermutlich auch aus diesen Gründen hat sie noch in späteren Lebensjahrzehnten mehr von ihrem künstlerischen Erfolg erwartet (Wiki):

Sie bezeichnete sich selbst als "Kleinrentnerin" und stellte 1939 beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda einen Antrag auf Beihilfe. Das Ersuchen um die sogenannte Spende "Künstlerdank" begründete sie damit, daß sie "ganz ohne Gelderwerb" sei und "mit etwas Ruhe [ihre] letzten Arbeiten vollenden" wolle. Sie war zwar Mitglied der Reichskulturkammer, nie aber der NSDAP. Immerhin war der Berliner Kunsthändler und Galerist Wolfgang Gurlitt auf die Malerin aufmerksam geworden. Er organisierte 1936 in seiner Galerie den letzten großen Auftritt Siewerts. Die bis dahin mit 174 Werken umfangreichste Ausstellung zu ihrem Schaffen blieb allerdings ohne große Resonanz. Eine geplante Folgeausstellung verhinderte der Beginn des Zweiten Weltkrieges.

1944 fiel ihr Haus und Atelier dem Bombenkrieg zum Opfer. Dabei ging auch ein großer Teil ihres Werkes unwiderbringlich verloren. Erst seit dem Jahr 2008 wird das Werk von Clara Siewert - zunächst insbesondere durch die Ostdeutsche Galerie in Regensburg - wiederentdeckt!

Sitzender weiblicher Akt

Wenn man es recht versteht, kennzeichnete die Siewert-Geschwister von Jugend an ein gewisser übertriebener Unernst, von dem man auch in Schilderungen über ihre Jugend in Westpreußen wieder findet. Dieser findet sich dann auch in manchem weniger gültigen Werk von Clara Siewert wieder.

Vielleicht hat dieser Unernst dazu geführt, daß ihr künstlerisches Schaffen nach ihrem 50. Lebensjahr nicht mehr so dauerhafte und stetige Erfolge aufweisen konnte wie zuvor. 

Zum Beispiel hat sie sich künstlerisch häufig mit dem Hexen-Thema auseinander gesetzt. Dabei bleiben diese Werke - bei aller dennoch vorhandenen Gültigkeit der Aussage - doch oft auch einem gewissen Zug von spielerischem Unernst verhaftet, der der Gesamtaussage des Werkes dann wieder schadet. Womöglich bewegte sich das künstlerische Leben beider Schwestern in diesem Zwiespalt.

Sitzender weiblicher Akt

Diese Uneinheitlichkeit in der Aussage findet sich allerdings in den besten Werken von Clara Siewert keineswegs. Als diese erachten wir insbesondere ihre zahlreichen Akt-Zeichungen. Hier ist künstlerischer Ernst vorherrschend, künstlerische Begeisterung vorherrschend und gar nichts anderers. Hier ist also die künstlerische Aussage gültig und zeitlos. So zumindest will es uns scheinen.

Ihre Themenwahl ist durchaus sehr berührend. Eine Hexe, die auf dem Dichter-Roß Pegasus reitet, das ist ein außerordentlich erregendes Thema, ganz ohne Frage. Der Gedanke kann nicht ausbleiben, daß sie bei diesem Thema an ihre Schwester Elisabeth gedacht haben könnte.

Aber man wünschte sich nun noch einen Zug mehr Erschütterung in dem Werk über diesen krassen, dargestellten Gegensatz - den Gegensatz zwischen teuflischen weiblichen Antrieben ("Hexe") und dem Bemühen um reife künstlerische Aussage ("Pegasus"). Diese künstlerisch und menschlich zutiefst aufwühlende Thematik ergreift. Noch heute.

Hexe

Abschließend ...

Welchen einleitend erwähnten Zufällen kann man es verdanken, auf die Siewert-Schwestern aufmerksam geworden zu sein? 

Wenn einer von uns müde wird,
der andere für ihn wacht.
Wenn einer von uns zweifeln will,
der andere gläubig lacht.
Wenn einer von uns fallen sollt',
der andere steht für zwei,
Denn jedem Kämpfer gibt ein Gott
den Kameraden bei.

Dieses Gedicht hatte man irgendwann irgendwo einmal vor Jahren gelesen. Das Gedicht drückt ja einen sehr allgemeinen Gedanken aus und in einer so knappen und gelungenen Wortverdichtung, daß damit viel "auf den Punkt" gebracht sein könnte und dies einem deshalb mit guten Gründen in Erinnerung bleiben könnte. Wünscht sich nicht jeder Mensch einen solchen Kameraden, einen solchen Freund? Vermutlich hatten die Siewert-Schwestern aneinander einen solchen Freund und Kameraden, einen solchen "Lebensmenschen". Freilich, mit Kampf und Sterben haben es die Menschen heute nicht mehr so wie man es noch in früheren Zeiten gehabt haben mag. Fragt man nun jdeoch nach dem genauen Text dieses Gedichtes, findet man diesen - und auch noch den Namen des Dichters desselben (ingeborg):

Herybert Menzel, 1944 (1906-1945)

Was für Jahreszahlen - schießt einem sofort durch den Sinn. 1944 ein solches Gedicht gedichtet, 1945 tot. Und der Dichter stammt aus der Provinz Posen und ist auch dort gestorben: Herybert Menzel (geb. 1906 in Obornik bei Posen; † Februar 1945 in Tirschtiegel bei Posen) (Wiki; weitere Angaben: Metapedia). Sofort ist die Aufmerksamkeit geweckt. Und indem man sich mit Leben und Schaffen von Herybert Menzel beschäftigt - darüber soll demnächst noch ein Beitrag hier auf dem Blog erschienen, wird man darauf gestoßen, daß er befreundet war mit den Siewert-Schwestern und daß er 1930 einen Nachruf auf Elisabeth Siewert geschrieben hat, über den man noch heute vieles über die beiden Schwestern erfahren kann. - Fast alles vergessen heute. Denn es handelt sich um Menschenleben, die in der Heimat des deutschen Weichsellandes wurzelten, des verlorenen.

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  1. Werke von Clara Siewert, https://www.kunstkopie.de/a/siewert.htm
  2. Zieglgänsberger, Roman u.a.: Clara Siewert. Zwischen Traum und Wirklichkeit. Ausstellungskatalog. Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg, Regensburg 2008

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