Dienstag, 30. März 2021

Der Freudengott kommt im Triumph

... in die Völkerwelt
                              - Wann beginnt sein Triumphzug?

[ Leitwort ] 

An unsere großen Dichter

Des Ganges Ufer hörten des Freudengotts
   Triumph, als allerobernd vom Indus her
      Der junge Bacchus kam, mit heil'gem
         Weine vom Schlafe die Völker weckend.
 
O weckt, ihr Dichter! weckt sie vom Schlummer auch,
   Die jetzt noch schlafen, gebt die Gesetze, gebt
      Uns Leben, siegt, Heroën! ihr nur
         Habt der Eroberung Recht, wie Bacchus.

                                                                   Friedrich Hölderlin, 1798 

Ein Aufruf an die Dichter und kulturell Schaffenden seiner Zeit von Seiten des Dichters und Geschichtsphilosophen Friedrich Hölderlin (1770-1843).

Abb. 1: Dionysos - Geschaffen in Ergriffenheit vor unantastbarer, heiliger Jugend - Mamorbüste aus Knossos, 2. Jhdt. n. Ztr.

Ob diese nicht auch noch Aufruf für heute sein können. Haben wir nicht auch heute noch "der Eroberung Recht, wie Bacchus"? Ist es denn nicht tatsächlich so, daß nur noch auf diese Weise das Überleben des Göttlichen auf dieser Erde gesichert werden kann?

Ist ein solcher Aufruf nicht sinnvoll, um als Leitwort zu dienen für einen modernen, gesellschaftlichen Aufbruch?

In diesen - wenigen - dichterischen Zeilen ist - wie in einer großen Zahl von Dichtungen von Friedrich Hölderlin - die Rede von einem neuen Zeitalter, das herauf kommt gemeinsam mit einer neuen Lebensanschauung, einem neuen Zeitgeist, einer neuen philosophischen und dichterischen Gesamtdeutung der Welt. Einer Gesamtdeutung, die zu Freudentaumeln Anlaß gibt.

Es geht um eine erneute Wieder-Heraufkunft der untergegangene Antike, um eine Wieder-Heraufkunft in  einer neuen, modernern, womöglich noch lebendigerer Form.

Viele Künstler, Denker, Philosophen, Wissenschaftler haben dieser Wieder-Heraufkunft über viele Jahrhunderte hinweg vorgearbeitet.

Abb. 2: Silenus (Wiki) - Römische Skulptur, Rom

Sie arbeiten ihr gegenwärtig vor, gebannt, vereinnahmt von den Möglichkeiten menschlicher, gesellschaftlicher Entwicklung, gebannt von den Möglichkeiten philosophischer Gesamtdeutung unserer Welt im Angesicht der Moderne. 

Der hier genannte Bacchus (Wiki) ist ein Beiname des Dionysos, des Gottes des Weines, aber mehr noch, des Gottes der Freude, des Tanzes, des Taumels, der Trunkenheit. Jenes Gottes, der eine Verkörperung ist der Beseeligung durch das Erleben des Göttlichen.

Bacchus/Dionysos und ihre Begleiter, die Bacchanten und all die anderen Fabelwesen - immer und immer wieder aufs Neue haben sie Darstellungen in der bildenden Kunst gefunden.

Von der Antike (s. Abb. 1 bis 4) über die Niederländer der Frühen Neuzeit (siehe z.B. Peter Paul Rubens), über die Deutschen des 19. Jahrhunderts (siehe z.B. Lovis Corinth) - bis heute. 

Als wir nach einer angemessenen Bebilderung dieses Beitrages suchten, wurde uns das wieder klar.

"Die Stadt der Freude, das jugendliche Korinth"

Ebenso haben sie wieder und wieder Behandlung in der Philosophie gefunden, etwa in "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik", jener Schrift, in der Friedrich Nietzsche anfing, zu taumeln, zu tanzen, sich zu freuen, exzentrisch zu sein, übermütig zu sein, um der Bigotterie seiner Zeit zu entkommen.

Abb. 3: Maske des Silenus, 1. Jahrhundert, Seidenstraße, Afghanistan (Begram)

Als Lehrer und Begleiter des Dionysos gilt auch der Silenus. Und auch er ist dementsprechend ein beliebter Gegenstand künstlerischer Darstellung seit mehr als zweitausend Jahren gewesen (Abb. 2 und 3). Seine Verehrung reichte - wie von Hölderlin ausgesagt - in der Antike von der Seidenstraße und von Indien im Osten (Abb. 3), vom Ganges und vom Indus im Osten bis an den Tiber, bis nach Rom im Westen (Abb. 2), bis an den Rhein und die Elbe und die Themse im Norden.

Und sie alle wurden auch in Pompeji in Skulpturen und in Wandmalereien gefeiert. Und verehrt. Als Gleichgesinnte. In jenem Pompeji, von dem dasselbe gesagt werden könnte wie das, was Friedrich Hölderlin über "die Stadt der Freude, das jugendliche Korinth" gesagt hat (Hyperion, 1. Buch, 1. Brief). 

Abb. 4: Cupido, Wandmalerei in Pompeji

Auch über Pompeji wäre zu sprechen als von der "Stadt der Freude", von dem "jugendlichen Pompeji" (Abb. 4).

So wie über alle Städte im Mittelmeerraum der damaligen Zeit (1, 2).

Es fragt sich, wann der Triumphzug des Freudengottes durch die Völkerwelt, dem durch so viele Generationen von Künstlern, Philosophen, Dichtern und Wissenschaftlern vorgearbeitet worden ist, seinen Anfang nimmt.

Zwei Menschen dürften für den Zeitpunkt eine besondere Rolle spielen: Du, Leser - und Du, Verfasser dieser Zeilen.

/ überarbeitet, 
mit Abb. 1 ergänzt: 
26.3.23 /

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  1. Bading, Ingo:  "... Iss, trink und scherze - das übrige ist nicht SO viel wert ..." Ein Ausflug in die Kultur- und Philosophiegeschichte der südtürkischen Küste, 3-2016, https://studgendeutsch.blogspot.com/2016/03/iss-trink-und-scherze-das-ubrige-ist.html
  2. Bading, Ingo:  "Damals war nichts heilig als das Schöne" Side - Die Hauptstadt Pamphyliens, 6-2016, https://studgendeutsch.blogspot.com/2016/06/damals-war-nichts-heilig-als-das-schone.html

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